Der Aufbruch war berechtigt

In Zuerich fand vom 15. bis 25. Mai eine Veranstaltungsreihe zur militanten und bewaffenten Politik der Linken in Deutschland, Italien und der Schweiz statt

Vernichtender haette die Berichterstattung ueber das Treffen in Zuerich nicht sein koennen. "Aber weil der bewaffnete Kampf passé ist und die Linke so gut wie tot, herrscht Ratlosigkeit, was gegen diese Zustaende zu tun sei. 'Wir wuerden ja weitermachen, wenn wir etwas finden wuerden', orakelt Dellwo. Zur Zeit sucht er einen Job", schrieb der Spiegel ueber die Veranstaltungsreihe "ZWISCHEN revolte, militanz & revolution BERICHTE" im Zuercher Kulturzentrum "Rote Fabrik", an der unter anderem VertreterInnen aus RAF, Bewegung 2. Juni und Brigate Rosse sprachen. Der Zuercher Tages-Anzeiger faselte von einem Treffen von Kriegsveteranen: "oede Selbstbespiegelungen", "Wehleidige Diskussionen zogen sich ins Endlose", "Der Verstand geht schlafen, mechanisch wird das Immergleiche wiederholt: System, Apparat, Bullen, Kapitalismus, Imperialismus und so weiter - Worthuelsen einer ideologischen Verknoecherung". Selbst die taz titelte: "Fruchtloser Frontalunterricht".

Wenn den Mainstream-Medien ein Thema unliebsam ist, gibt es kein Halten, ruecksichtslos wird denunziert. Nur fuer die Moderation fiel die Kritik nicht ganz so hart aus, wie sie es verdient haette: die Moderatorin zweier Abendveranstaltungen, die bereits die Podiumsdiskussion zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof 1996 in Berlin geleitet hatte, legte eine unpassend flapsige Art an den Tag: "von irritierender Ideenlosigkeit" schrieb der Tages-Anzeiger dazu nett.

Waeren die Podiumsdiskussionen wirklich so schlimm gewesen wie beschrieben, haetten die weit ueber 500 ZuhoererInnen sicherlich alle innert kuerzester Zeit den brechend vollen Saal verlassen. Doch insbesondere fuer die zahlreichen juengeren BesucherInnen aus der Schweiz, die die 70er Jahre nicht so direkt miterlebt haben, war dieser Austausch zwischen so vielen VertreterInnen aus Deutschland und Italien aeusserst spannend. Die Veranstaltungsreihe mit sieben Podiumsdiskussionen stellte ein Anfang dar, war ein voller Erfolg angesichts des grossen Interesses, und vermittelte positiv einen generationenuebergreifenden Willen zur Suche, wie es weitergehen soll.

Nach der Auftaktveranstaltung ueber militante linke Gruppierungen der siebziger Jahre in der Schweiz folgte die zweite Podiumsdiskussion mit dem Titel "Der Aufbruch war berechtigt" zu den Unterschieden zwischen der Bewegung 2. Juni und der RAF (Rote Armee Fraktion). Am naechsten Tag folgte eine Diskussion mit Frauen aus der Guerilla und Frauen aus der Frauenbewegung. Die Vertreterinnen kamen aus Italien, Deutschland und der Schweiz, wobei die Schweizerinnen etwas verloren wirkten. Viel interessanter und aussagekraeftiger war der zuvor gezeigte Film von Frauen aus Uruguay und Deutschland: "und ploetzlich sahen wir den Himmel".

In der darauffolgenden Woche befasste sich eine weitere Veranstaltung mit dem "Progetto Memoria" und damit der Frage "Wie kann linke Geschichte weitervermittelt werden?", und zum Abschluss wurde ueber die Situation der ueber 2000 politischen Gefangenen in verschiedenen Laendern Europas berichtet und eine Resolution verfasst, dass diese sofort freigelassen werden muessen - zehn Gefangene aus der RAF (Rote Armee Fraktion) sind in Deutschland in Haft, einige von ihnen seit beinahe 20 Jahren.

An der Podiumsdiskussion "Der Aufbruch war berechtigt" nahmen Gaby Rollnik (ehemals Bewegung 2. Juni), Roland Mayer, Karl-Heinz Dellwo und Knut Folkerts (alle ehemals RAF) teil. Knut Folkerts, der 20 Jahre Haft meist in Isolation im Hochsicherheitstrakt verbrachte und seit 1 1/2 Jahren frei ist, entschuldigte sich gleich zu Beginn, er habe leider im Knast keine Rhetorikseminare belegt - dennoch konnte er sein Anliegen, dass die "Geschichte nicht von denen definiert" werde, am beeindruckendsten darlegen. Die ReferentInnen erzaehlten zunaechst, wie sie 1967/68 oder Anfang der 70er politisiert wurden und anschliessend aktiv wurden, "um die Verhaeltnisse grundlegend zu aendern". So flog Knut Folkerts mit 15 Jahren von der Schule, weil er sich an einem Schulstreik gegen die Notstandsgesetze beteiligte. Er sei wie die anderen lange Jahre legal politisch taetig gewesen, habe Erfahrungen gewonnen und die Begrenzung dieser Legalitaet festgestellt. Gabriele Rollnik schilderte die Phase Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er, in der das Gefuehl da gewesen sei, alles koenne ausprobiert werden, dass die Veraenderung der Gesellschaft moeglich und notwendig sei, ein Aufbruch, in dem sich auch politisch etwas aenderte.

Knut Folkerts nannte Hintergruende wie Schuesse auf friedliche Demonstranten (Schuss auf Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967), das sehr reaktionaere Klima vor '68 und Bezugspunkte wie die Befreiungsbewegungen im Trikont, den Vietnamkrieg, die Folterungen und Ermordung des kongolesischen Praesidenten Patrice Lumumba (1961) und vor allem die faschistische Kontinuitaet nach den Leichenbergen der Nazis. Die Hauptverantwortlichen sassen im Nachkriegsdeutschland an fuehrenden Positionen. Es gehe um keine Gleichsetzung zwischen dem Nachkriegsdeutschland und dem Faschismus, aber die staerkste Arbeiterbewegung der Welt unterlag in Deutschland dem Faschismus. An die Stelle einer defensiven Haltung muesse eine offensive Position treten.

Es ging um Befreiung, aus allem rauszukommen und aufzubrechen. Es sollte mit allem neu angefangen werden, sagte Karl-Heinz Dellwo, am Ende des Neuanfangs habe aber eine umfassende Niederlage gestanden: "Wir wissen alle heute nicht genau, wie es weitergeht".

Gabriele Rollnik korrigierte die haeufige Einschaetzung, der Staat habe aufgrund des bewaffneten Kampfes verschaerfte Gesetze eingefuehrt: "Sie haetten auch jeden anderen Anlass genommen". Ende der 50er Jahre, fuehrte Folkerts weiter aus, geriet das Wirtschaftswunder in eine Krise, und 1968 wurden die Notstandsgesetze eingefuehrt, damals war ueberhaupt keine Idee des bewaffneten Kampfes vorhanden, die KPD war verboten.

Der Kontakt zur Basis sei nicht gelungen, merkte eine Frau aus dem Publikum kritisch an. Der Kampf sei aus der StudentInnen- und Lehrlingsrevolte entstanden, und abhaengig von einer breiten Bewegung des Aufbruchs und dem bereits erwaehnten Gefuehl, die Gesellschaft koenne veraendert werden. Wie sei das Scheitern zu begruenden, fragte einer anschliessend. Der Hauptpunkt, erklaerte Folkerts, sei der illegale Raum, es sei nicht gelungen, die scharfen Angriffe gegen Machtstrukturen mit den legalen Kaempfen zusammen zu verbinden, obwohl dies im "Konzept Stadtguerilla" (Fruehjahr 1972) eindeutig beabsichtigt worden sei. Eine objektive Bedingung des bewaffneten Kampfes sei die Verbindung von Kaempfen, aber die Umsetzung sei mangelhaft gewesen, zudem sei 1972 die gesamte erste Gruppe der RAF festgenommen worden. Mitte der 70er Jahre begann ein Prozess des Niedergangs, der Entradikalisierung, der Rueckbewegung, des Marschs durch die Institutionen. Letztlich sei ja, so Rollnik, die gesamte Linke mit ihrem Ziel einer revolutionaeren Veraenderung gescheitert. Der bewaffnete Kampf in der BRD, bzw. in den Metropolen bleibt im Rueckblick als wichtige Erfahrung - aber im Augenblick waere es nicht das richtige Konzept, erklaerte Roland Mayer. Er wolle nicht alles auf den Muell werfen, es gehe darum zu bewerten, "was von dem, was wir wollten, heute noch Gueltigkeit hat, und was von heute aus gesehen falsch ist". Schlimmer waere fuer ihn, "es nicht versucht zu haben". Und Lutz Taufer ergaenzte spaeter, die Aufgabe sei, "denen nach uns den Mut zu vermitteln, ihren Weg zu suchen".

Rike Mueller