Ralf Reinders bei der Veranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof
am 3. Mai 1996 im Auditorium Maximum der TU Berlin
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Ich hab jetzt hier ein paar deutliche Probleme mit all dem, was hier gesagt wurde, weil ich bin nicht von der RAF, ich bin vom 2. Juni und gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der RAF. Es geht, find ich, hier vieles daneben. Kunzelmann bringt die Alt-68er-Stimmung in den Saal. Ist nicht schlecht. Ich finde, alles, was hier gesagt wird, ist Zeitgeschichte, ohne den Zeitgeist rüberzubringen. Ich krieg den Eindruck, als ob wir damals durchgeknallt waren, als ob wir die waren, die aus irgendwelchen merkwürdigen Situationen heraus Aktionen gemacht haben, und das war nicht so. Es kommt hier die Stimmung nicht rüber, einfach die optimistische Stimmung, die damals herrschte. Es gibt als Beispiel immer so diesen lockeren Spruch – wir saßen in Kneipen, und es kamen Leute rein, haben was getrunken, gingen wieder raus und sagten: Wir treffen uns wieder zur Revolution. Und das war vom Gefühl her genau, was die meisten Leute betraf. Ich denk, vielleicht wirds ein bißchen lang, die Differenzen zur RAF aufzuzeigen. Es ging um Punkte, daß die Bewegung 2. Juni nicht den Avantgarde-Anspruch hatte und nicht den Anspruch hatte, für die Linke oder für die 3. Welt stellvertretend Aktionen durchzuführen. Wir wollten und waren, und ich denk aus den ersten Papieren der RAF, daß es auch bei ihr so war, Teil der Linken und wollten Aktionen im Zusammenhang mit der legalen Linken durchführen. Diese Diskussionen haben damals auch stattgefunden. Stattgefunden mit Personen, die sich heute von der RAF distanzieren, die sich von uns distanzieren, die uns sehr sehr sehr nahe gestanden haben, um nicht zu sagen, mit dem linken Fuß drin, mit dem rechten in ner andern Partei. Was ich nochmal kurz ansprechen will, weil hier die Frauenfrage gestellt wurde – ich würde sagen, mir fehlt die Klassenfrage hier, weil, hier sitzt, glaub ich, ein Arbeiter auf der Bühne, und die Bewegung 2. Juni und auch die RAF setzten sich personell ähnlich wie die Gesellschaft zusammen; beim 2. Juni war die Arbeiterklasse stärker vertreten, die Reinickendorfer, von mir aus auch die Tegeler. Es ist so, ich bin mit Ulrike Meinhof ein Stück des Weges gemeinsam gegangen, als wir alle noch viele Unklarheiten hatten, als Theorien für mich und für andere nicht so wichtig waren, sondern vielmehr anstand, daß wir diese Situation in Deutschland oder den Krieg in Vietnam, diese Verbrechen, daß wir dem irgendwas entgegenstellen. Ulrike Meinhof hat mich fasziniert, weil sie eine von den Intellektuellen war, die sich entschlossen hatten, mehr zu machen als nur zu sprechen, zu reden, und dadurch, daß sie was getan hat, hatten ich und andere nicht mehr den Eindruck, daß wir als Arbeiterkinder von diesen Intellektuellen verheizt werden. Das, was uns damals teilweise belastet hat, unser Verhältnis zu Intellektuellen, war eigentlich immer das Gefühl, über Jahrzehnte: Die Intellektuellen sind abgesprungen; die aus den ärmeren Schichten standen etwas dümmer da, die hatten nicht so ne finanzielle Grundlage. Ich will auch was zu dieser Mordnacht sagen. Als ich in meiner Zelle saß und diese Nachricht gehört hab, gings mir und anderen ähnlich: Es konnte sich keiner vorstellen, daß Ulrike Selbstmord gemacht hat. Auch zu dieser Nacht denke ich, daß man nicht darüber reden kann, ohne das Klima der Angst in der Bundesrepublik zu verbreiten. Diese Angst, die draußen geherrscht hat bei Leuten, die sich auf der Straße nicht bewegen konnten, weil sie permanent kontrolliert wurden, weil ihnen und ihren Kindern Maschinenpistolen ins Auto und den Kinderwagen gehalten wurden, weil Wohnungen durchsucht wurden, weil sie einfach terrorisiert wurden; weil Besucher in den Knästen terrorisiert wurden, Anwälte teilweise nicht hinkamen, nicht zugelassen wurden. Und erst in diesem ganzen Klima gab es auch diese Möglichkeiten, so wird man es besser verstehen. Ich hab schon mal bei einer anderen Veranstaltung ausgeführt: Es gab nachweisbar konkrete Mordvorbereitungen an den Gefangenen, die wir mit der Lorenz-Aktion befreit haben. Diese Aussage hat der damalige Pastor Albertz bei uns im Prozeß getan und diese Aussage wird von den Medien total unterdrückt, seit nun fast einem Jahrzehnt. Die Gefangenen, die von uns befreit wurden, waren auf einem Flug nach Aden, wo ihre Freilassung gesichert war. Der Flug sollte laut Bestimmung – wer dafür die Verantwortung trägt, wissen wir nicht – in Äthiopien zwischenlanden, die Maschine sollte gestürmt werden, und es sollten alle, inklusive Pfarrer Albertz, umgebracht werden. Das hat er bei uns im Prozeß ausgesagt, und wir wundern uns immer wieder, wieso nie Nachfragen kommen, oder wundern uns nicht. Ich denk, bei dem, was hier jetzt so geredet wurde, geht Ulrike, und da muß ich sie einfach wieder verteidigen, es geht einfach unter, daß sie diesen sozialrevolutionären Ansatz am Anfang hatte, daß sie sich selbst als Kommunistin begriffen hat, auch wenn heute diesen Ausdruck kaum noch jemand benutzt, und daß sie nicht nur für die Studentenbewegung stand, sondern für einen Teil der Jugendbewegung. Daß grade in den Jahren 70 – 72 wir nicht nur ganz alleine und nur isoliert dastanden, denk ich, ergaben Umfragen der Bundesregierung, wo gesagt wurde, daß 30 % der Jugendlichen bereit wären, jemand von uns aufzunehmen, wenn wir an der Tür klingeln. Und das war so. Ich hab an Türen geklingelt, andere haben an Türen geklingelt, und das waren nicht immer so die Leute, die die gro0en Worte geführt haben, die uns in die Wohnung gelassen haben; das waren oft Leute, die politisch nicht so bekannt waren, die unbekannt waren und die dafür teilweise in die Knäste gegangen sind. Es war auch nicht so, daß wir irgendwie das Gefühl hatten, alleine zu stehen, denn selbst in diesen komischen Studenten-Organisationen, KPD und wie sie alle hießen, war die Diskussion über bewaffneten Kampf und über die Vorbereitung einer Revolution breit angelegt. Sie war oft so angelegt, daß wir zwar das Falsche tun, aber daß natürlich irgendwann die Frage des bewaffneten Widerstands auf der Tagesordnung steht. Oft wurde diskutiert, daß wir viel zu früh dran sind, wobei wir manchmal den Eindruck hatten, zu spät dran zu sein. Ich will auch noch ein bißchen sagen zu diesem Bruch, den Ali erwähnt hat, mit der Reform-Bewegung. Ich find, es ist ein bißchen diffamierend, große Teile der Linken nur als Reform-Bewegung zu bezeichnen. Die Schwierigkeit zwischen Revolution und Reform, ich denk, die hat Rosa Luxemburg schon lange dargelegt, daß es immer so ein breites Feld gibt der Betätigung zwischen revolutionären Zeiten, zwischen reformistischen Zeiten, wie man Reformen nutzt, um weiter voranzukommen; ob man sie nutzt, ob sie uns schaden. Ich finde grad in diesem Zusammenhang diesen Raum als Veranstaltungsort sehr gut, weil die Studenten hier und in Berlin schon wieder son bißchen dabei sind, sich zu formieren; und bevor sie sich richtig formiert haben, möchte ich sie nicht als reformistisch bezeichnen, sondern ihnen erst die Möglichkeit der Entwicklung geben, und dann diskutieren wir drüber.
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Ich wollte zuerst auf die Frage von Christian eingehen. Isolation angeordnet von der Bundesanwaltschaft, von der Justiz, und ob wir die Isolation angenommen haben. Für einen großen Teil der Bewegung 2. Juni, für die Gefangenen, kann ich klar sagen: Wir haben diese Isolation nicht so angenommen. Wir hatten aber, und das darf man nicht vergessen, nicht ganz so grobe Haftbedingungen. Die alten Knäste wie Moabit haben mehr Möglichkeiten der Kommunikation mit anderen Gefangenen, und unser Ziel war es von Anfang an, die Isolation, die für uns verordnet war, zu durchbrechen, indem wir auch mit den sog. kriminellen Gefangenen zusammenkommen, weil wir für uns die Möglichkeit gesehen haben, nicht nur unsere politische Identität zu erhalten, sondern auch unsere menschliche; d.h. die menschlichen Bedürfnisse, die Gefangene, die sich nicht so politisch artikulieren können, rüberbringen, daß wir die mitleben können im Knast. Weil Knast halt immer ein Stück Leben ist, das man leben muß, zwangsverordnet, aber das man auch leben kann. Es hat, und da komm ich jetzt zu der Gewaltfrage, bei uns einen Bruch gegeben zwischen den Gefangenen, der zur Spaltung geführt hat. Konkretisiert hat er sich, und das bezieh ich jetzt wirklich nur auf die Bewegung 2. Juni erstmal, an der Flugzeugentführung nach Entebbe. Ich stand damals selbst mit auf der Liste der zu befreienden Gefangenen. Für viele, die es vielleicht nicht wissen: Es war eine Aktion palästinensischer Genossen und Genossinnen; an der Aktion waren eine Frau und ein Mann aus der RZ beteiligt. Für uns, den größten Teil der Gefangenen, haben wir Flugzeugentführungen, Aktionen gegen Unbeteiligte abgelehnt. Es kann und darf nicht sein, daß sich die Leute, mit denen wir irgendwann die Befreiung anstreben, daß die sich von uns bedroht fühlen. Es ist richtig, und vorhin haben ja einige gestöhnt, daß es natürlich im revolutionären Prozeß und im Kampf zu Verlusten auf beiden Seiten kommt; unser Bestreben als Organisation war immer stark darauf ausgerichtet, daß wir die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich halten, und daß die Gewaltanwendung so gering wie möglich gehalten wird. Ich denk, die größten Sympathien kriegen wir immer noch, wenn wir genau das richtige Augenmaß bewahren.
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Dann machen wir weiter. Ich will die Frage beantworten, was mit solchen Veranstaltungen bezweckt wird. Als die Leute hier an mich herangetreten sind, ob ich teilnehme, hab ich ja gesagt, weil ich denke, daß ein Teil unserer Geschichte verteidigt werden muß, selbst wenn Personen dabei sind, zu denen ich kritisch stand; daß es nicht gelingen darf, daß Ulrike Meinhof von bürgerlichen Kräften zurückgezogen wird, sie Ulrike für sich beanspruchen können, weil sie war Teil des Aufbruchs damals und so soll es stehenbleiben. (…) Die Frage, die kurz im Raum stand, über Reue: Es gibt Leute, die bei uns reuig abgetreten sind. Es wird immer Leute geben, die nach vielen Jahren andere Überlegungen haben, andere Wege gehen. Ich denk, für uns – und so wars für mich auch im Knast die ganze Zeit – ist entscheidend, wie sauber wir rauskommen, und entscheidend ist, daß wir mit solchen Veranstaltungen dazu beitragen, daß es wieder weitergeht und daß der Optimismus von damals eventuell zurückkehrt.
veröffentlicht in:
Ulrike Meinhof
20. Todestag
Abschrift der Beiträge
3. Mai 1996, TU Berlin Audimax
Veranstalter: Asta TU