Weathermen contra Black Panthers

Guerilla-Krieg in USA

Im Bewußtsein der Amerikaner, die die innenpolitische Szenerie verfolgen, sind die Namen Weathermen und Black Panthers fest als Symbole für revolutionären Umsturz und Gewalt verhaftet. Aber wie die meisten landläufigen Vorstellungen vom Guerilla-Krieg in den USA, so trifft auch dieser Eindruck für beide nur annähernd zu.

Die Weathermen erregten früher mit ihren Erfolgen im Guerilla-Krieg weites Aufsehen. Ihre führenden Köpfe überdenken aber zur Zeit sowohl die taktische Konzeption als auch die praktische Durchführung des Guerilla-Krieges mit dem Ziel einer zumindest geringfügigen Verlagerung zu mehr herkömmlicher und weniger militaristischer revolutionärer Aktivität. Von den Black Panthers nimmt man im allgemeinen an, sie seien verantwortlich für einen großen Teil der Bombenattentate und Heckenschützentätigkeit im Lande. Das allerdings entspricht nicht den Tatsachen. Eine gegenwärtig vom revolutionären Flügel der Partei getragene Auseinandersetzung innerhalb der Organisation könnte die Panthers jedoch bald dazu bringen, Guerilla-Verbände mindestens inoffiziell zu unterstützen, wenn nicht sogar selbst zu unterhalten, oder sich in zwei Guerilla-Parteien zu spalten. Die beiden revolutionären Organisationen zeigten wesentliche Unterschiede in der Beurteilung der Guerilla-Kriegführung. Es handelte sich um Unterschiede, deren Ursachen keinesfalls darin liegen, daß sich die eine Gruppe aus Weißen, die andere aus Farbigen zusammensetzt.

Während der Konferenz zur Bildung einer vereinigten Front gegen den Faschismus, die unterstützt von den Panthers im Herbst 1968 in Oakland stattfand, erfuhren die Weathermen, wie die Dinge tatsächlich standen. Mark Rudd hatte nach einer tumultartigen Zusammenkunft des SDS (Student's Democratic Society) im Jahre 1968 zu einer PoIitik der "zwei, drei, vielen John Browns" (John Brown, 1800-1859, der erste weiße Kämpfer gegen die Sklaverei. Er wurde gehängt.) aufgerufen. Im Laufe dieser VeranstaItung erkannten die Weathermen, daß sie zu Bahnbrechern der Revolution werden könnten. Unter diesen Voraussetzungen kamen sie nach Oakland. Die Weathermen träumten davon, die weiße, nach links ausgerichtete Stoßtruppe der schwarzen Stadtguerillas zu werden, denen ihrer Überzeugung nach die Aufgabe zufallen würde, im nahenden revolutionären Krieg in Amerika als erste offensiv zu werden. Die Panther-Führung jedoch war anderer Auffassung. Anstatt einen Guerilla-Krieg zu führen, entschied sie sich für die Bildung einer gemeinsamen, gemäßigten, nach links orientierten Front von Farbigen und Weißen unter der Führung ihrer Partei. Dies wiederum zwang die Weathermen, die sich auf das Konzept einer "weißen Streitmacht" festgelegt hatten, zu der Überlegung, gegebenenfalls allein in den Untergrund gehen zu müssen. Um den Konflikt zwischen Weathermen und Black Panthers ganz verstehen zu können, ist jedoch ein Rückblick auf die amerikanisehe Revolutionsgeschichte der sechziger Jahre erforderlich.

 


Die frühe amerikanische studentische Linke

In den frühen sechziger Jahren konnte die ursprüngliche politische Haltung der studentischen Linken kaum anders als liberal genannt werden. Ihre primären Ziele waren es, Farbige als Wähler registrieren zu lassen und die Aufhebung der Rassenschranken in öffentlichen Einrichtungen, vor allem in den Schulen, zu erreichen. Die Mittel bestanden aus gewaltlosen Maßnahmen. Im rassistischen Süden waren es Sitzstreiks gegen die Bundesbehörden mit ihrer Bürokratie aus der Zeit vor dem Sezessionskrieg und im Norden Straßendemonstrationen, bei denen Weiße und Farbige Hand in Hand den Protestsong "We shall overcome" sangen.

Die studentischen Arbeitsgruppen, die während der Semesterferien im Sommer in den Südstaaten für die Bürgerrechtsbewegung tätig waren, wurden dort von den Sheriffs und der Polizei herumgestoßen und lernten dabei den Faschismus kennen. Im Herbst kehrten sie mit einem Bild vom Totalitarismus in Amerika, der allein auf die Südstaaten beschränkt war, an ihre Universitäten im Norden zurück. Es war eine Zeit idealistischer Schwärmerei, und nur wenige Aktivisten unter den Studenten beschäftigten sich mit den Hetzartikeln in linksgerichteten Zeitungen, die das Verhalten Martin Luther Kings in Selma als Verrat bezeichneten.

Am Anfang der sechziger Jahre wurde die studentische Protestbewegung von der Sympathie getragen, die überall dort zu finden ist, wo einer dem anderen (oder unwissentlich einem Diskriminierten) hilft. Sie gedieh auf dem sorglosen Optimismus, der ein so guter Nährboden für den Liberalismus ist. Wie naiv die Leute waren, geht daraus hervor, daß sie meinten, es genüge, die schlechten Behörden und Gesetze anzuprangern und damit ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken; dann würde schon nach entsprechendem politischem Druck und zusätzlicher erzieherischer Einwirkung ein Gesetz erlassen werden, das die Mißstände beseitigt. Falls dies überheblich klingen sollte, so ist das nicht beabsichtigt. Man vergißt nur zu leicht, daß die allmählich erwachende linke Studentenbewegung Amerikas zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen liberal und völIig unbedarft in der Anwendung politischen Drucks war. Sogar als im Fernsehen die Bewegung für Redefreiheit eine erste Anspielung darauf machte, daß mit dem amerikanischen System etwas nicht in Ordnung sei, entschied sich die noch in der politischen Entwicklung stehende Studentenschaft, die für eine demokratische Gesellschaft eintrat, im Jahre 1964 immer noch dafür, L. B. Johnson zu unterstützen.

(Auch der SDS hatte liberale Anfänge. Tom Haydens Manifest von 1962, mit dem in Port Huron der SDS gegründet wurde, liest sich heute mehr wie Eisenhowers Abschiedsrede als wie eine revolutionäre Schrift - es warnt sogar vor dem Kriegsindustriekomplex und fordert ein Programm zur Abschaffung der Armut.)

Aber all das war bald vorbei. Johnson hatte sich kaum im Weißen Haus fest etabliert, als es auch den Dümmsten klar wurde, daß der Präsident der Vereinigten Staaten bestenfalls ein Lügner und schlimmstenfalls ein Mörder sein konnte. Die Bewegung für Redefreiheit, von der das weiße Fernsehpublikum annahm, es ginge ihr Iediglich um eine freie, drastische Ausdrucksweise, war in Wirklichkeit daran interessiert, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch in den Universitäten für politische Zwecke durchzusetzen. Denn die Universitätsleitung von Berkeley zeigte den Studenten, daß Repression kein ausschließliches Vorrecht der Sheriffs in den Südstaaten ist.

Die Ernüchterung der weißen studentischen Linken trat fast zum gleichen Zeitpunkt ein, als die jungen farbigen Kämpfer die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung bereits aufgegeben hatten. Bis dahin hatten die weißen Aktivisten eine Reihe von Erfahrungen machen müssen, daß nämlich die in den Himmel gehobene Bürgerrechtsgesetzgebung von John F. Kennedy und auch von Lyndon B. Johnson einer schnell zerplatzenden Seifenblase glich, daß die Verkündung von Gesetzen ohne entsprechende Durchsetzung soviel wert war wie ein Schwert ohne Schneide und daß die Gesetzgebung gegen den Rassismus im Bereich des amerikanischen Rechts- und Wirtschaftssystems nicht die mindeste Auswirkung zeigte. Sie erkannten auch, daß ein Präsident, der zur Erhaltung des Friedens gewählt worden war, das Volk in den Krieg stürzen konnte, daß Männer, die an den Hebeln der Macht sitzen, stets sehr einleuchtende Argumente für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung finden, um so den höchst ungerechten Status quo zu erhalten, dessen Existenz ihnen die Macht verschlafft bzw. verschaffen kann.

Aber als die Weißen noch diese bitteren Erfahrungen sammelten, hatten die Farbigen bereits darunter zu leiden. Es hatte während dieses kritischen Stadiums in der jüngsten Geschichte Amerikas den Anschein, als ob die weißen Studenten aufgrund der psychologischen und politischen Gegebenheiten bereit wären, sich mit den Farbigen zu verbünden, um auf mehr radikalem und revolutionärem Wege einen politischen Umschwung zu erreichen. Aber da war es bereits zu spät. Während die weiße Studentenbewegung allmählich Klarheit darüber gewann, daß sich die Ereignisse von Birmingham in Berkeley wiederholen könnten, hatten die in ihrer revolutionären Entwicklung weiter vorangeschrittenen und mehr unter der Unterdrückung leidenden militanten Farbigen ihren Platz in der Bürgerrechtsbewegung der NAACP (National Association for the Advancement of Coloured People - Nationale Vereinigung zur Förderung der Farbigen) überlassen und den auf die Farbigen beschränkten, revolutionären Nationalismus aufgegriffen, wie ihn Malcolm X in seiner mittleren Periode propagierte, als er noch nicht in Afrika gewesen war. Später warnte auch er vor einer Selbstisolieruung der Farbigen, aber zu dieser Zeit, etwa 1965, wie es gewissenhafte Historiker verzeichnen, gab es in der schwarzen Freiheitsbewegung einfach keinen Platz mehr für weiße Helfer. In Watts, einem Stadtteil von Los Angeles, bildeten die Farbigen eines Ghettos zum ersten Mal eine geschlossene revolutionäre Gruppe, und keiner ihrer alten weißen Freunde, mit denen sie früher gespielt hatten, wurde zum Beitritt aufgefordert.

Die Ursachen dieser ablehnenden Haltung sind tieferer Natur. Sie hätten in den Spannungen innerhalb des SNCC (Students' Nonviolent Coordination Committe - Studentischer Koordinierungsausschuß für gewaltlose Aktionen) in den frühen sechziger Jahren schon bemerkt werden können. Die Farbigen nahmen bereits damals daran Anstoß, daß gutmeinende und gutaussehende weiße Kommilitonen der Brandise- und Columbia-Universität ihrer Bewegung dadurch halfen, daß sie in ihre Rolle schlüpften. Diese Ablehnung ihres freundschaftlichen Angebots wirkte auf viele weiße Aktivisten ebenso schockierend wie der erste Ausschluß aus dem Studentenwohnheim. Damals vollzog sich in der weißen Studentenbewegung das heute allgemein bekannte Phänomen der Radikalisierung. Ob die Bewegung eine eigenständige radikale Politik entwickelt hätte, ist dank L.B.Johnsons geschicktem Eingreifen ein strittiger Punkt geblieben.

Der Krieg in Vietnam und seine Eskalation stellte sich plötzlich der nunmehr illusionslosen Studentenbewegung ~ als eine moderne Parallele zu den aus Geschichtsbüchern bekannten Beispielen von Neokolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Ausbeutung Plünderung und Militarismus dar. Die Studenten, die sich nur schwach an den Zweiten Weltkrieg erinnern konnten, wußten aus dem Geschichtsunterricht noch sehr wohl über die Guten und die Bösen Bescheid, und unversehens wurde Lady Bird Johnson zur Tokyo Rose (Moderatorin der bekannten japanischen Propagandasendung im Zweiten Weltkrieg, die die Moral der Truppen untergraben und die soldaten zur Desertion auffordern sollte), der Pedernales wurde zum Rhein und General Hershey (Chef der Rekrutierungsbehörde in den USA) zum faschistischen Mobilmacher Mussolini; auf der anderen Seite dieses magischen Spiegels nahm Ho Chi Minh die Gestalt George Washingtons an und wurden die Vietkong zu Fighting Seabees (Baubataillone der amerikanischen Marine, die insbesondere im zweiten Weltkrieg durch die wiederholte Anlage von Flugplätzen im Inselkrieg gegen Japan zu Ruhm kamen).

Das umfangreiche Engagement der Studenten in den Protesten gegen den Vietnamkrieg wirkte sich in zweifacher Hinsicht zu ihren Gunsten aus. Einerseits verdrängten sie damit die bisher tonangebenden, vorsichtigen Pazifisten, die unverbesserlichen Verfechter odes Kalten Krieges und die aufgeschreckten Sozialdemokraten aus den Positionen, von denen aus sie die amerikanische Friedensbewegung mit den Organisationen Turn Toward Peace und SANE in der Hand gehabt hatten, wobei Ietzterer noch gewisse Verdienste zugestanden werden müssen. Zum anderen gewann die studentische Linke wichtige Erkenntnisse für das immer klarer werdende Bild, das sie sich vom Wesen des amerikanischen Imperialismus machte. Sie erkannte eine seiner Formen nur allzu deutlich drüben in Vietnam, und allmählich öffneten sich ihr auch die Augen für seine Erscheinungsform in den USA, wo er den Deckmantel der wirtschaftlichen Ausbeutung der Farbigen trägt.

Nachdem der Kampf um die Bürgerrechte in den Hintergrund gerückt war, übernahm der Vietnamkrieg die Rolle einer Triebfeder in der studentischen Linken, revolutionierte sie aber nicht. Die Antikriegsbewegung war im Grunde genommen selbst auf ihrem Höhepunkt in den Jahren 1966 und 1967 nur ein höchst moralischer Protest, der danach verlangte, daß der gut eingespielte Mechanismus demokratischer Mittel und Wege den häßlichen Krieg in Vietnam beendete. Die Jahre 1966 und 1967 waren eine Zeit der Teach-ins und der Aufrufe zu Sympathiekundgebungen für Vietnam. Das öffentliche Verbrennen von Vorladungen zur Musterung war die schärfste Form radikalen Protestes. Erst nach 1968 entwickelte die studentische Linke revolutionäre Grundsätze und Taktiken, die von einem tieferen Verständnis des amerikanischen Imperialismus und Rassismus zeugten. Carl Oglesby, ein neuer Bahnbrecher der Linken, wagte zum erstenmal eine solche Analyse, als er sich im Jahr 1965 an die Teilnehmer der ersten Massendemonstration gegen den Vietnamkrieg in Washington wandte. Er blickte jedoch in eine Menge verdutzter Gesichter. Oglesby sagte den Zuhörern, sie seien in einem System wirtschaftlicher Ausbeutung gefangen. Dieses System sei nicht in der Lage, den grundlegenden Wandel herbeizuführen, der erforderlich sei, um die Unterdrückung in Amerika und im Ausland zu beenden. Von dem Durchschnittsstudenten der Protestbewegung konnte man damals sicher nicht behaupten, er hätte einer solchen Auslegung zugestimmt, geschweige denn sie in ihrem ganzen Umfang verstanden. Doch diese Interpretation war schon knapp vier Jahre später - Anfang 1969 - geistiges Allgemeingut und klang im Vergleich zu einigen anderen politischen Diskussionen an den Universitäten sogar etwas konservativ.

Aber in diesen vier Jahren des Protestes klammerte sich die bürgerliche Kerngruppe der Studentenbewegung meist hartnäckig an ihre liberalen Grundsätze. Es ist schon richtig, daß die Anwendung von Gewalt nun auch vor den Universitäten selbst nicht haltmachte, als die Universitätssenatsmitglieder übertrieben ablehnend auf die Forderungen der Studenten nach Mitspracherecht und nach Einstelluung der Mitarbeit an der Kriegsmaschinerie reagierten. Es trifft auch zu, daß die mit nichts zu vergleichenden und ständig weiter um sich greifenden Protestaktionen gegen den Krieg die Nation in einem Maße spalteten, wie es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr der Fall gewesen war. Aber es war keine Bewegung, die den Umsturz zum Ziel hatte. Es war vielmehr ein letzter, fast zügelloser Ansturm auf das System, um es zu einem Verhalten zu zwingen, wie es schon in den Lehrbüchern der Sozialkunde gefordert wird. Die Menschen verkündeten ihre Überzeugungen, auf der Straße, weil sie damit nirgendwo anders hingehen konnten und nicht etwa, weil sie imstande gewesen wären, den eingerosteten Mechanismus der amerikanischen Demokratie durch ein anderes Konzept abzulösen.

Infolgedessen stürzten die meisten Demonstranten mit geradezu affenartiger Geschwindigkeit davon, um Wähler auf die Wahllisten einzutragen, sobald sich durch die Rattenfängerkampagne von Eugene McCarthy und Robert Kennedy eine liberale Alternative bot. Sie ließen die dezimierten linken Revolutionäre innerhalb der Studentenbewegung im Stich, die nun ihre Ideologie nicht mehr unter das Volk bringen konnten. Aber Kampagnen dieser Art erwiesen sich bald als Potemkinsche Dörfer, die - im Rückblick - ganz aus falsch beschilderten Einbahnstraßen bestanden. Dann machten die Ereignisse von Chicago aus dem amerikanischen Traum einen Alptraum, und das auch noch tagsüber auf dem Bildschirm. Im Herbst 1968 akzeptierte die studentische Linke Gewaltakte a la Chicago als legitime politische Waffe gegen das System, das ihre gewaltlosen Aktionen während eines Zeitraums von fast zehn Jahren mit Gewalt beantwortet hatte. Dieser dramatische Übergang zu gewaltsamen Taktiken war aber nicht einfach ein Beispiel dafür, daß enttäuschte Idealisten schließlich mit den Schultern zucken und sich nach Steinen bücken. In dieser Phase der Vorbereitung auf die Revolution müssen wir uns der strategischen Funktion des SDS zuwenden, einer Gruppe, die man im allgemeinen ungerechhterweise als die "gemeinen Bösewichter" der Linken ansieht.

 


Die wichtigsten Schlachten des SDS

Eine Zeitlang wirkte es auf die SDS-ler wie eine kalte Dusche, wenn man sie daran erinnerte, daß sie noch im Jahr 1964 L.B.Johnson unterstützt hatten. Aber um 1966 war der SDS so erfolgreich mit der Aufgabe befaßt, als einziger ernstgenommener Kritiker von seiten der Linken aufzutreten, daß seine Mitglieder auf diese vorübergehende Parteinahme für L.B.Johnson mit dem abgeklärten Lächheln eines Erwachsenen zurückblicken konnten, der sich an eine peinliche Begebenheit aus der Kindheit erinnert.

Linksgerichtete Bewegungen in Amerika sind schon immer mehr ihrem Gewissen als ideologischer Theorie gefolgt, aber der SDS in seiner Strukturlosigkeit brachte es fertig, beides miteinander in Einklang zu bringen. Während der gesamten sechziger Jahre, in denen eine stürmische Politik mit einer einzigen Stoßrichtung betrieben wurde, beherrschte der SDS - d1e einzige weiße Studentenorganisation mit traditionellem Linksdrall - die Ausschmüsse in der dreifachen Machtposition des Erneuerers, des unruhigen Geistes und des Vertreters der amerikanischen Linken.

Die meisten studentischen Demonstranten, ob nun lauthals oder gemäßigt in der Ausdruckswveise, verurteilten den Vietnamkrieg aus moralischen Beweggründen, der SDS aber schrie: Imperialismus! Als die anderen Studenten davon in Anspruch genommen waren, die Wahl liberaler Kandidaten vorzubereiten, sprach der SDS über das Prinzip der wirtschaftlichen Ausbeutung, das dem amerikanischen System innewohne, und brachte auch andere zu dieser Überzeugung, indem er überall im Lande in bedürftigen weißen Wohngemeinden Armenhilfeprogramme aufzog. Die amerikanischen Liberalen waren noch entsetzt über die Proklamation der "Black Power" durch Stokeley Carmichael, als in den Veröffentlichungen des SDS bereits die geballte schwarze Faust als echtes Symbol der Kampfbereitschaft erschien. Die allem Anschein nach endlosen ideologischhen Debatten, die der SDS innerhalb und außerhalb der Universitäten führte, hatten keinerlei Anziehungskraft. Sie hatten aber zur Folge, daß die Proteste der Studenten gegcn den Krieg und gegen den Rassismus nach und nach dadurch in politisches Fahrwasser gerieten, daß in den Diskussionen nicht nur die Mißstände selbst, sondern auch deren tiefere Ursachen zur Sprache kamen. Der in der bekannten SDS-Zeitschrift New Left Notes im Sommer 1967 erschienene Artikel "Die kümmerliche Antwort der Weißen auf den Aufstand der Schwarzen" ist eine typische Darstellung des SDS-Standpunktes. In diesem Artikel heißt es wörtlich:

"Die Leute, die die Organisation JOIN gegründet haben (ein SDS-Armenhilfeprogramm in den weißen Wohngemeinden), und die Leute, die darin arbeiten, sind grundsätzlich der Ansicht, daß die eigentlichen Probleme Amerikas Kapitalismus und Rassismus heißen. Wir glauben, daß alle Armen, ob weiß oder schwarz, Spanier oder Indianer in gleicher Beziehung zu der herrschenden Schicht stehen und von ihr ausgebeutet werden. Um alle Zweifel zu beseitigen: Wir wissen sehr gut, daß alle Farbigen, ob Arme, Arbeiter oder sogar aus dem Mittelstand, in diesem Lande am stärksten ausgenutzt werden; aber es gibt andere Bevölkerungsgruppen, deren Stellung in der Gesellschaft dazu führen könnte, daß sie sich der radikalen Bewegung anschließen."

Zwei entscheidende Probleme waren für die studentische Protestbewegung, die immer mehr nachlinks geriet, um die Mitte der sechziger Jahre von großer Bedeutung. Das eine war der Trend zum Internationalismus, der sich in schwarzen Bewegungen nach dem Tode von Malcolm X in der Form einer überzüchtet antinationalistischen Außenpolitik der Partei der Black Panthers breitmachte. Diese Politik setzte den Freiheitskampf in Amerika mit den Kämpfen der Völker der Dritten Welt gleich, die sich auf der ganzen Erde in vielen sozialistischen Aufständen gegen die Kolonialmächte (zu denen in ganz besonderem Maße auch die Amerikaner gerechnet werden) erhoben.

Das andere Problem war der Einfluß des SDS. Obwohl der SDS wirklich nur eine "kleine Minderheit" von Aktivisten stellte, hatte er enormen Einfluß in der Studentenbewegung. Sogar Richard Nixon räumte den Studenten deshalb eine besondere Stellung in der Gesellschaft ein, weil sie zwar die meisten staatsbürgerlichen Pflichten und Verpflichtungen haben, aber selbst kein Wahlrecht besitzen. Nach dem Beispiel der europäischen Studentenbewegung wollte der SDS als erster die Studenten als eine Klasse für sich verstanden wissen - allerdings in einem mehr marxistischen Sinne, als Nixon es gemeint hatte. Der SDS bildete nun an den Universitäten Interessengemeinschaften, indem er Probleme aufgriff, die die Studenten unmittelbar angingen, wie zum Beispiel die Abschaffung der Zensuren und die Mitwirkung der Studentenschaft an der Gestaltung der Studienpläne. Der SDS war die erste Organisation, die die Studentenbewegung einer politischen Arbeit außerhalb der Universität zuführte - zum Beispiel Zusammenfassung der armen Weißen zu politischen Zwecken -, die keinen unmittelbaren Bezug mehr zum Rassismus und Vietnamkrieg hatte, den beiden großen Problemen der Zeit.

Während der SDS seine breit angelegte antirassistische, antiimperialistische politische Anschauung propagierte, um damit den Studenten den Rücken zu stärken, suchte er weiter nach einem Aufhänger, um das politische Interesse der Studenten für außerhalb der Universität liegende Vorgänge mit dem Anliegen der Hochschulreform zu verbinden. 1967-1968 fand der SDS in der Tatsache, daß die Universitäten militärische Forschungsaufträge übernahmen, das, was er suchte: der akademische Apparat wurde für gemeine Kriegszwecke mißbraucht. Die Hetzkampagne des SDS gegen das Institute of Defense Analysis in Columbia, die 1968 in dem blutig endenden Vorlesungsstreik an der dortigen Universität ihren Höhepunkt fand, war ein klassisches Beispiel dafür, wie man eine vorher amorphe Masse zu politischem Engagement bringen kann. Zum erstenmal in der Geschichte Amerikas hatte dieses ungeheure Ereignis von Columbia, bei dem der SDS die Hauptrolle spielte, die Schließung einer großen Universität aufgrund politischer Übereinstimmung der Studenten zur Folge. Es handelte sich um eine politische Aktion, die nicht nur gegen den Rassismus und Imperialismus, sondern in gleichem Maße auch gegen die Universitätsverwaltung gerichtet war. Die SDS-Führung plädierte für die Anwendung von Gewalt und setzte sie dann auch ein, um die politischen Ziele der Studenten zu verwirklichen. Gewalttätigkeiten bei Protestaktionen innerhalb der Universitäten nahmen am Ende der sechziger Jahre bis in das Jahr 1970 hinein immer mehr zu und hielten dabei Schritt mit dem ständig radikaler und revolutionärer werdenden Vorgehen der studentisehen Linken. Die zunehmenden Gewaltakte entsprachen dem Anwachsen des revolutionären und politischen Bewußtseins unter den Studenten.

Natürlich wurden in den Universitäten und innerhalb des SDS viele Gründe gegen die Einführung von gewaltsamen Methoden vorgebracht. Aber die Ereignisse von Chicago beendeten die Debatte über diese Frage. Man entschied sich dafür, zurückzuschlagen oder gegebenenfalls den ersten Schlag zu tun. Die Studenten, die in Chicago die Prügelknaben gewesen waren, kehrten in jenem Herbst zwar mit Narben am Körper an die Universitäten zurück, aber in ihren Augen war die Kampfbereitschaft zu lesen. So hatten die SDS-Ortsgruppen an vielen Universitäten ganz besonders starken Zulauf, ähnlich wie bei einem überbelegten Seminar über das Thema "Die Entwicklung des Sex im Film".

Wenn eine bronzene Gedenktafel an einem Kampfplatz aufgestellt werden sollte, um das Umschlagen innerhalb der studentischen Linken von liberaler Reform öffentlicher Einrichltungen zu tätlichen Angriffen auf diese zu kennzeichnen, müßte man sie wahrscheinlich am Musterungsgebäude in Oakland in Kalifornien anbringen. Während der Aktion "Stop the Draft Week" (stoppt die Einberufungen) im Herbst 1967 wechselten die radikalen Studentenführer erstmalig ganz klar die Form ihres Protestes und griffen zu Guerilla- Methoden. Die militärische Taktik der Studentenbewegung in Amerika war vorher auf dem Niveau der leichten Kavallerie gestanden - die Studenten pflegten so lange Sitzstreiks durchzuführen, Streikposten aufzustellen usw., bis die Geduld der Behörden zu Ende war. Wenn das Geschäftsleben zu sehr beeinträchtigt wurde, kamen gewöhnlich Polizisten und schleppten sie weg. Die Regeln für dieses Spiel bewegten sich voll und ganz in dem von der Gesellschaft gesteckten Rahmen, und die angewandten ethischen Grundsätze hätte nicht einmal Billy Graham anfechten können: Der Demonstrant war bereit, für einen hohen moralischlen Zweck die Strafen der Gesellschaft wegen der Überschreitung ihrer Gesetze auf sich zu nehmen. Er hoffte, durch sein Beispiel an Opferbereitschaft den vernünftigen Teil der Gesellschaft dazu bewegen zu können, sich zu ändern.

So war es immer gewesen, und dazu gehörte auch die stillschweigende Voraussetzung der Legitimität der amerikanischen Institutionen und die Annahme, daß es möglich sei, innerhalb des amerikanischen Systems Gerechtigkeit zu erlangen. Diese bisher übliche Verhaltensweise wurde während der Aktion "Stop the Draft Week" in Oakland endgültig über Bord geworfen. Einige Tage lang bildeten die Demonstranten vor dem Musterungszentrum in Oakland eine Kette von an sich friedlichen und freundlichen Leuten, die jedoch von der ebenfalls in Ketten anrückenden Polizei gekonnt zusammengeschlagen wurden. Daraufhin taten die Demonstranten den großen Sprung vorwärts zu Guerilla-Methoden. Das Kräftemessen allein mit Blicken hörte auf; statt dessen bildeten Tausende von Demonstranten kleine, bewegliche Angriffseinheiten und rannten wie Wilde überall in der unmittelbaren Umgebung herum. Die stürmischen Attacken der Terroristen machten aus dem Polizeiaufgebot lächerliche Figuren, die ziellos mit Knüppeln um sich schlugen und einer solchen Entwicklung nicht Herr werden konnten. Die Demonstranten waren ständig in Bewegung, brachten ihre Wut lauthals zum Ausdruck, warfen mit allem möglichen Abfall und blockierten mit umgeworfenen Autos Straßenkreuzungen, sie warfen Fensterscheiben ein, rollten mitten im Verkehr Mülltonnen auf die Straßen und störten ganz allgemein den normalen Ablauf des täglichen Lebens. Diese Vorgänge kennzeichneten den Anfang einer neuen, radikalen Methode, Straßenschlachten durchzuführen. Ihre Beherrschung stellten die Weathermen zwei Jahre später meisterlich unter Beweis, als sie Chicago demolierten.

Der Wechsel von normalen Demonstrationen zu unkonventionellem Kampf gegen das Gesellschaftssystem kündigte sich in dem SDS-Programm "Age of the Unconditional Demand" (Zeitalter der bedingungslosen Forderung) an. Der Gesellschaft und ihren Institutionen wurde keine Schonung gewährt, selbst wenn das (wie in Columbia, Chicago und anderen Vorposten des radikalen Protests und polizeilicher Repression) ein oftmals willkommener Anlaß für die Behörden war, mit Gewalt gegen die Aufrührer vorzugehen. Als die Weathermen im Laufe des Winters 1969 in den Untergrund gingen, waren Sitzstreiks und ähnliche Maßnahmen, die gewöhnlich Massenverhaftungen zur Folge hatten, bereits museumsreif. Politische Gewaltakte standen jetzt in den Universitäten auf der Tagesordnung.

 


Die Geburtsstunde der Weathermen

Wie alle Organisationen der Linken, so trug auch der SDS den Kern der Spaltung in sich. Zu dem Zeitpunkt, als er fast sein Ziel, den Krieg durch politische Gewaltakte an den Universitäten nach Amerika hineinzutragen, erreicht hatte brach der SDS selbst durch einen ideologischen Krieg auseinander der unsagbar erbittert und kompromißllos geführt wurde. Als Sieger aus diesem Kampf gingen die Weathermen hervor, die im übrigen die Guerilla-Vorhut der linken revolutionären Bewegung von weißen amerikanischen Studenten aus dem Mittelstand während der sechziger Jahre vertreten.

Die entschleidende Auseinandersetzung innerhalb des SDS erfolgte auf seinem nationalen Parteitag im Juni 1968. Mitten in all dem Geschrei und Gezänk der zerstrittenen Gruppen, die auf so bezeichnende Namen wie Pussy Power (Mietzekatzen-Macht) oder Rank and File Upsurge (Aufstand der Massen) hörten, war es für die Berichterstatter der Untergrundpresse außerordentlich schwierig, genau zu melden, welche Gruppe gerade die Oberhand hatte; es waren aber deutlich zwei Hauptströmungen erkennbar, die Blauen und die Grauen - die Blauen waren die Weathermen und die Grauen die Red Menace (rote Bedrohung), die sich nach Peking orientierende Progressive Labor Party (progressive Arbeiterpartei).

Die frühe politische Tätigkeit des SDS war pragmatisch, hatte kaum theoretische Grundlagen und war stark antiideologisch ausgerichtet. Dies darf allerdings nicht mit Daniel Bells Schrift "Das Ende der Ideologie" verwechselt werden, die mit allen anderen Ideologien Schluß machte, ausgenommen die von ihm selbst und seinen Anhängern vertretene liberale Ideologie des kalten Krieges. Der SDS war eher bei der noch heute gültigen antibürokratischen, antiinstitutionellen und antiideologischen Politik der Weltstudentenbewegung zu Hause, die den konservativen Kommunismus mit seinen sinnlos verschrobenen und gewissenlosen Grundsätzen verachtet. Aus diesem Abscheu vor der diktatorischen Parteibürokratie entwickelte sich die revisionistische Guerilla-Politik der späten sechziger Jahre. Der SDS diente in Amerika als bestes Beispiel für die Erkenntnis, daß sich revolutionäre Taktiken und die Revolution selbst dann am besten weiterentwickeln, wenn die Radikalen die Sache in die Hand nehmen und nicht die selbstgefällige Ideologie des Zentralkomitees dominiert. Aber leider waren die jungen Männer und Mädchen der progressiven Arbeiterpartei langhaarige Repräsentanten dieser "altmodischen" kommunistischen Grundsätze, und ihr Versuch, den SDS nach einigen Jahren vorsichtiger kommunistischer Unterwanderung zu übernehmen, stieß auf den gleichen Widerstand, wie ihn ein ähnliches Unternehmen des FBI gefunden hätte.

Die progressive Arbeiterpartei war überorganisiert und dem stark verhaftet, was sie unter maoistischer Ideologie verstand. Ihr Interesse galt in erster Linie der Arbeiterschaft, sie war in ihrem Lebensstil ziemlich bieder und grundsätzlich in steter Alarmbereitschaft. Ihr Revolutionsprogramm rief die Studenten auf, die Schulen zu verlassen, sich den Gewerkschaftlern und dem Proletariat anzuschließen und mit Hilfe der Mao-Bibel den unausweichlichen zukünftigen Aufstieg der Arbeiterklasse zur Macht vorzubereiten. Das einzige Zugeständnis an die neue Zeit, das in dem noch tief im 19. Jahrhundert steckenden Programm der Arbeiterpartei denkbar ist, wäre der massive industrielle Einsatz von linientreu kommunistisch programmierten Robotern im kommenden sozialistischen Staat.

Die Gruppe des SDS die sich in ihrem Widerstand gegen die progressive Arbeiterpartei zusehends versteifte, wurde unter dem Namen Revolutionary Youth Movement (RYM; revolutionäre Jugendbewegung) bekannt. (Die RYM selbst brachte einen kleinen Ableger hervor, der sogar noch mehr chinesisch orientiert war als die Arbeiterpartei und sich selbst RYM II nannte. Der Deutlichkeit halber w1rd die revolutionäre Jugendbewegung gewöhnlich als RYM I bezeichnet.) Ursprünglich war jedoch die revolutionäre Jugendbewegung keineswegs rein defensiv eingestellt. Die Gruppe innerhalb des SDS, aus der die Weathermen hervorgehen sollten, hätte ihre Strategie laufend weiterentwickelt und nach einer Bewegung verlangt, die den revolutionären Kampf aus der Universität hinaus in die reale Außenwelt tragen sollte. Dafür ein Beispiel. Die Forderungen des SDS nach einem Wandel der Funktion der Universität und ihrer inneren Struktur waren mittlerweile so hoch gesetzt, daß man ihnen nur mit entsprechenden einschneidenden Veränderungen in der gesamten Gesellschaftsstruktur begegnen konnte. Ein weiterer schwacher Punkt einer auf die Universität beschränkten revolutionären Bewegung war die klassenmäßige Stellung der Universität selbst, die hauptsächlich als eine Bastion des bevorrechtigten weißen Mittelstandes angesehen wurde. Die eigentlich ausgebeutete Klasse - das noch entwicklungsfähige revolutionäre Potential in Amerika - war ganz eindeutig bedürftiger und schwärzer und genausowenig an Fragen der Hochschulreform interessiert wie an den Diätvorschlägen der Töchter der Revolution (Frauenbund nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mit stark konservativen, patriotischem Einschlag, der heute nur noch in der Form von Kaffeekränzchen besteht). Aus dem geschilderten Sachverhalt leiten die Weathermen ihre Auffassung von dem Vorrecht ab, das die Weißen aufgrund ihrer Hautfarbe besitzen und das sie für den Rassismus verantwortlich machen, der im Unterbewußtsein aller weißen Amerikaner vorhanden sei. Und tatsächlich, es gab einen eindeutigen Beweis für diese beunruhigende Beobachtung der Weathermen. Er lag in dem Ausmaß und in dem rassistischen Unterton der Proteste, die den Schießereien im Jahre 1970 an der weißen Kent State University und der schwarzen Jackson State University folgten.

Die RYM sah auch den Lebensstil der Jugend als einen treibenden revolutionären Faktor an. Der neue Stil in der Kleidung, der Rauschgiftkonsum, das Leben in Kommunen und die Einstellung zum Leben überhaupt waren wesentliche Bestandteile des revolutionären Bewußtseins und der erste Schritt, sich von der Gesellschaft, die für sie eine andere Welt bedeutet, zu trennen. Dieser Standpunkt wird natürlich auch in den revolutionären Ansichten von Gruppen wie den Yippies und den White Panthers vertreten, die aus der RYM hervorgegangen sind.

Der Kampf gegen die progressive Arbeiterpartei erwies sich als das auslösende Moment dafür, daß sich die Stoßtruppe der RYM I in die Weathermen verwandelte. Der Angriff - das versteht sich von selbst - kam von links. Die RYM verurteilte die progressive Arbeiterpartei als eine konservative, wenn nicht sogar konterrevolutionäre Gruppe und trat selbst als die wahre revolutionäre Organisation auf. Sie spottete über das Programm der Arbeiterpartei für eine Revolution des Proletariats in Amerika und behauptete ihrerseits, die meisten Arbeiter des Mittelstandes und die Gewerkschaftler seien die bevorrechtigten Nutznießer der imperialistischen und kapitalistischen Gesellschaft und damit die eigentlichen Feinde. Anfänglich betonten die Weathermen, es sei sinnlos, unter den weißen Amerikanern eine revolutionäre Bewegung zu bilden, ausgenonmmen vielleicht die radikal gewordenen weißen Studenten und die jungen weißen Proletarier [vgl. 10.Kapitel, theoretischer Essay der Weathermen "Eine weiße Kampftruppe"]. Die Weathermen erklärten, die Farbigen seien die einzigen revolutionären Vorkämpfer in Ammerika und es sei Aufgabe der weißen Revolufionäre, ihre aufgrund der Hautfarbe erworbenen Vorrechte dadurch für einen guten Zweck einzusetzen, daß sie die farbigen Rebellen bei der Guerilla-Tätigkeit in den Städten unterstutzten. Außerdem könnten sie etwas gegen die amerikanische Regierung unternehmen, die vollauf mit der weltweiten kolonialen Ausbeutung und der Unterdrückung der unterentwickelten Völker beschäftigt sei, denn dadurch würde die Aufmerksamkeit der Regierung von dieser Tätigkeit abgelenkt und eine Zersplitterung ihrer Kräfte erreicht werden.

Die Weathermen jedoch, die ihren heute berühmten Namen aus den lyrischen Gedichten von Bob Dylan herleiten - "Man braucht kein Weatherman (Wetterprophet) zu sein, um zu wissen, aus welcher Richtung der Wind bläst" - haben, was sie selbst betrifft, den Wind der Revolution falsch eingeschätzt. Sie gewannen zwar den Kampf innerhalb des SDS (Nach diesem traumatischen Parteitag wurde der SDS organisationmäßig gesehen fast ein Arm- und Beinamputierter. Seine Lebenskraft scheint in einen hydraköpfigen politiichen Narzißmus degeneriert zu sein, dessen einziger einigender Faktor seine Irrelevanz ist. Daß sich seine eigenen neulinken Schöpfer gegen den SDS wandten, ist so wenig überraschend wie ihr Angriff auf die Weathermen, aber die Kritik scheint gelegentlich so überspannt oder zusammengestoppelt wie das angeprangerte Übel zu sein. Carl Oglesby traf den Nagel auf den Kopf, als er den heutigen SDS der "Avantgarditis" bezichtigte, aber Jack Newfields Auslassungen in der Evergreen Review klangen ein wenig, als träume er noch davon, Ghostwriter für Robert Kennedy zu sein; er klagte nämlich über die neue, merkwürdig richtstrahlähnliche Sünde, daß "der SDS den Weg nach Osten statt nach links" einschlage ... (Hervorhebungen von ihm)), aber als sie dazu übergingen, ihre Theorien in die Praxis umzusetzen, stellten sie fest, daß die Black Panthers anderer Auffassung darüber waren, was unter ernsthaften revolutionären Taktiken zu verstehen sei. Nach der aufschlußreichen Konferenz für eine vereinigte Front gegen den Faschismus, die in Oakland gerade einen Monat nach dem Parteitag des SDS stattfand, war es allen aufmerksamen Beobachtern klar, daß die Panthers ihr eigenes Konzept für das neue Vorkämpferprogramm entwickelt hatten. Es sah vor: Politische Bewußtseinsbildung, soziale Hilfsprogramme in den Wohngemeinden, eine vereinte Front mit den revolutionären Weißen, bewaffnete Selbstverteidigung, eine Politik der Abkehr vom Nationalismus, Information und Propaganda als Stimulans für revolutionäre Pläne, Selbstverwaltung für die Ghettos und eine Auswahl verschiedener Methoden zur Entlarvung und Bekämpfung des Imperialismus. Aber auf ihrem langfristig vorgezeichneten Weg zur Revolution hatten die Panthers den Guerilla-Krieg erst für die Zukunft eingeplant, für den Zeitpunkt nämlich und den Fall, daß bei der Umbildung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft Guerilla-Methoden erforderlich sein sollten. Die Panthers waren sogar für die Weathermen nicht die Diskussionspartner, mit denen man sich lange auseinandersetzt. Deshalb begannen die Weathermen, als die Parteiführung die Bildung von Guerilla-Kadern in den Städten zumindest vorläufig abgelehnt hatte, auf eigene Faust Versuche anzustellen und gingen dann schließlich in den Untergrund, um die erste berufsmäßige weiße Guerilla-Truppe Amerikas zu werden. Die Bedeutung der Weathermmen soll durch das Aufzeigen der Differenzen, die sie mit den Panthers hatten, nicht heruntergespielt werden, denn letzten Endes gründeten sie die erste Organisation in der Protestbewegung, die eine auf lange Sicht geplante revolultionäre Strategie einführte und sich konseqent danach richhtete. Die im 1. Kapitel beschriebenen Guerilla-Aktionen der Weatmermen waren ebenso dreist wie erfolgreich. Der Guerilla-Krieg in Amerika veranlaßte den FBl im Jahr i970 dazu, seine berüchtigte Liste der zehn dringendst Gesuchten auf sechzehn zu erweitern. Es war das erste Mal seit den Tagen der Prohibition, als für Schwarzbrenner und Schmuggler Hochsaison war daß die Bunddespolizei wieder eine solch umfangreiche Steckbriefliste veröffentlichte. Über die Hälfte der Gesuchten im Jahre 1970 waren Guerrilleros, und davon der überwiegende Teil aus der Gruppe der Weathermen.

Aber der strategisch wichtigste Beitrag der Weathermen zur Entwicklung der Guerilla-Tätigkeiten in Amerika spielte sich im Verborgenen ab. Ihre unverschämten Aktionen zerstörten einen weitverbreiteten Mythos über Amerika und schufen gleichzeitig einen neuen. Zerstört wurde der Mythos von der Unverwundbarkeit der Regierung mit ihrer Macht, Übeltäter zu fangen. Die fast lächerliche Mühelosigkeit, mit der die Weathermen bedeutende Bombenanschläge durchführten, gab Tausenden von weißen Radikalen des Mittelstandes ein aufmunterndes Beispiel, nun selbst Guerilla-Methoden anzuwenden, nachdem sie erst einmal gesehen hatten, daß man ungestraft davonkommen konnte. Der Mythos, den die Weathermen schufen, war das Gegenteil von dem der unverwundbaren Regierung - die Legende von einer anscheinend nicht aufzuhaltenden weißen Guerilla-Truppe, die ungehindert in Amerika operiert. Die Tätigkeit der Weathermen schob eine symbolische militärische Trennwand zwischen die Regierung und die Bevölkerung. Das Beispiel der Weathermen weitete den Horizont der neuen Linken Amerikas insofern, als sie nun gleichfalls Guerilla-Aktionen in Erwägung zog und auch zunehmend ausführte. Das ist kein schlechtes Ergebnis, aber wohin es führen wird, ist eine andere Frage, und zwar eine Frage, die offenbar heute auch ständig von den weißen Radikalen gestellt wird. Die beiden kritischen Stellungnahmen zu den Weathermen, die in den Guerilla-Weißbüchern im nächsten Kapitel enthalten sind, zeugen von dieser Besorgnis. Zum Beispiel stellt Bernardine Dohrn die streng militärischen Taktiken der Weathermen in Frage. Und die Mahnung der radikalen Frauen aus dem Kollektiv, das jetzt die Zeitung Rat veröffentlicht - es sei an der Zeit, Körper und Geist der Bewegung durch Koordinierung der Aktivitäten im Untergrund und in der Öffentlichkeit wieder zu vereinen -, wird im Jahr 1971 bei den Revolutionären das Thema Nr. 1 bleiben, auch wenn in Amerika weiterhin die Bomben explodieren.

In den Essays im nächsten Kapitel nehmen Weathermen selbst Stellung zu ihren Praktiken und zu ihrer politischen Aktivität. Sie üben dabei eine Selbstkritik, die für ihre Rückkehr zu der größeren Bewegung plädiert, von der sie sich abkehrten, als sie in den Untergrund gingen. Das vorliegende Kapitel schließt mit der politischen Philosophie von Huey Newton, die auch eine positive Stellungnahme zu einer so bedeutungsvollen revolutionären Tat wie dem Entführungsversuch in San Rafael einschließt. Wie bereits erlklärt worden ist und wie vor kurzem bei der Spaltung der Panthers in eine "Rechte", d.h. einen Antiguerilla-Flügel, und in eine "Linke", d. h. einen Proguerilla-Flügel, deutlich wurde, gehören die Black Panthers strenggenommen nicht in die Geschichte des Guerilla-Kriegs in Amerika, obwohl ihnen ein großer Teil der Schuld oder - je nach Standpunkt des Betrachters - großes Verdienst an den Guerilla-Aktion beigemessen wird.

 


Huey Newton - der letzte Liberale

"Wenn ein Kennedy oder ein Lindsay oder sonst jemand in der Lage wäre, unsere gesamte Bevölkerung mit ordentlichen Wohnungen zu versorgen, ihr Vollbeschäftigung und hohen Lebensstandard zu garantieren, den Farbigen die Entscheidungsbefugnis über das Schicksal ihrer Gemeinschaften zu überlassen, die Rechtsprechung in die Hand der Allgemeinheit zu legen, um dadurch gerechte Gerichtsverfahren zu gewährleisten, die Ausbeutung der Menschen überall in der Welt zu beenden - wenn sie das alles fertigbrächten, wäre das Problem gelöst. Aber ich glaube nicht, daß sie unter dem gegenwärtigen System, unter dem Kapitalismus, imstande sein werden, diese Probleme zu lösen."

Der Mann, der das sagte, könnte sehr wohl der letzte Liberale sein. Huey Newton beantwortete eine Frage, die ihm die radikale Zeitung The Movement gestellt hatte. Die Frage betraf die Gefahren einer Zusammenarbeit mit den energischen Draufgängertypen, die manchmal von der Linken verächtlich als "die liberalen Reformer" bezeichnet werden. Auch die Linksextremisten sind sich größtenteils darüber klar, daß es zweischneidig ist, vorübergehende Verbesserungen zu erreichen, denn das schwächt den Haß der BevöIkerung auf das System und beeinträchtigt die Motivierung und den zündenden Funken der großangelegten Revolution. Ein interessantes Beispiel für eine solche Auffassung gab mir kürzlich ein junger Mann der Linken. Als "gefährIich" bezeichnete er die Scharen von Freiwilligen aus San Francisco, die nach der Kollision von zwei Tankern in der Golden-Gate-Bucht an den Strand liefen, um ölverschmutzte Vögel zu retten. "Es ist doch geradezu konterrevolutionär", schimpfte der junge Mann, "wenn man den Leuten vorredet, sie müßten diese dummen Vögel retten. Alle machen sich aufgeregt und eifrig daran, das Öl von den Vögeln abzuwischen, und das nimmt ihnen den Schwung für wirkliche Aktionen, die eigentlich gegen die Reedereien, denen die Tanker gehören, und gegen das ganze kapitalistische System gerichtet sein sollten."

(Dieses Beispiel soll nicht lächerlich wirken. Tatsächlich haben später Experten in der Sache "Rettung der Vögel" festgestellt, daß von Anfang an nur wenig Aussicht vorhanden war, die Mehrzahl der Vögel am Leben zu erhalten. Außerdem besteht kein Zweifel daran, daß unter den Freiwilligen, die in die Brandung wateten, um die öligen Vögel einzufangen, bestimmt Leute waren, die gute Gründe gehabt haben könnten, Steine in die Fenster der Standard Oil zu werfen, wenn sie nicht so beschäftigt gewesen wären.)

Der junge Mann hatte genau das ausgesprochen, was viele Linke denken, und die Frage nach dem Verhältnis zu den Reformern, die der Reporter von "The Movement" an Huey Newton richtete, entsprach dieser kritischen Betrachtungsweise. Im Vergleich zu dem Echo, das die furchterregenden Schlagzeilen über die Panthers sonst hervorriefen, war seine oben zitierte Antwort geradezu entwaffnend. Es gibt viele farbige Führer die ganz eindeutig Stellung beziehen: Mit einem verdammten Weißen kann man überhaupt nichts anfangen, und damit basta. Und es gibt junge Linke, die derselben Meinung sind wie unser Freund, der so empört über die "Vogelreinigung wetterte, ebenso wie es viele alte linke Kämpfer gibt, die schon bei dem Wort "Reformen" grinsen.

Newton sprach damals als der noch unbestrittene Führer der bedeutendsten schlwarzen Partei im Lande und als der Führer der einzigen ernstzunehmenden revoluionären politischen Partei Amerikas, die richtungweisend für die amerikanische Linke ist. Er gehört offensichtlich nicht zu denen, die die Weißen generell verdammen, noch unterstützt er unbedingt die Meinung, "je schlechter die Dinge stehen, desto besser für die Revolution". Auf den ersten Blick klingt seine Antwort vernünftig, in Wirklichkeit ist sie ausgesprochen liberal.

Newton ist Revolutionär, weil er weiß, was das weiße System seinen Leuten in den USA angetan hat, und er hat sich auch alle Wochenschauen aus dem Ausland angesehen Er besteht darauf, alles zu ändern. Er möchte Land, Gleichheit und Selbstbestimmung für seine Leute. Und wenn er das erreicht hat, wird er wie er sagt, diese Forderungen für alle unterdrückten Menschen in anderen Ländern stellen Sollen diese Ziele verwirklicht werden, so wird jemand etwas abgeben müssen, und Newton nimmt an, daß er das nicht freiwillig tun wird. Aber, so fragt er - und er kommt dabei auf die gestellte Frage zurück -, was würde es schaden, wenn die herrschende Schicht versuchte, diese Angelegenheiten mit den Leuten ins reine zu bringen? Das wird wahrscheinlich nicht geschehen, aber wenn es eintritt, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, so werden die Menschen zu allen Mitteln greifen, die erforderlich sind, das Gewünschte zu erreichen. Um das letztlich Unvermeidbare zu fördern, beschäftigt sich die Partei der BIack Panthers mit der Organisation der Ghettos und damit, das revolutionäre Bewußtsein ihrer Leute anzuheben. "Wir werden den Wandel herbeiführen. Wir werden diese Gesellschaft umformen. Es hängt von den Unterdrückern ab, ob das auf friedlichem Wege geschehen wird", sagte Newton in seiner ersten großen öffentlichen Rede nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis.

Newtons sicheres Gespür für den rechten Augenblick, seine Ausdauer und das Vertrauen auf sein Programm sind untrügliche Kennzeichen für die große Qualifikation eines ernstzunehmenden Revolutionärs. So sollte der Bevölkerung - trotz verfälschter Presseinformationen über die Panthers - die Erkenntnis nicht schwerfallen, daß Huey Newton ein Revolutionär ist, obwohl er zur Zeit keine Guerilla-Armee führt und auch keinen außergewöhnlichen Platz in der Geschichte der Resolution einnimmt. Che Guevara hat einmal gesagt, daß alle Möglichkeiten von Reformversuchen innerhalb einer Gesellschaft ausgeschöpft sein müssen, ehe revolutionäre Aktionen erfolgreich sein können. Trotzkij tadelte Lenin, weil er zu früh in den Untergrund ausgewichen sei, und ließ die Regierung wissen, sie müsse ihm erlauben, öffentlich zu agitieren, oder ihn einsperren, falls sie das wage.

Genauso wie viele liberale Intellektuelle, die den Panthers kritisch gegenüberstehen, anscheinend nicht in der Lage sind, irgendeinen Unterschied zwischen Selbstverteidigung und Gewaltanwendung festzustellen, so bereitet auch vielen Linksintellektuellen, die die Partei ebenfalls mit kritischen Augen betrachten, die Unterscheidung zwischen berechtigten unmittelbaren Forderungen und langfristigen revolutionären Zielen Schwierigkeiten. Dies ist ein Punkt, der zu den verworrenen Vorstellungen von den Panthers beiträgt. Der andere, bedeutendere Faktor ist der inhärente Rassismus, den die Weathermen in der weißen Gesellschaft aufdeckten.

Daß es so manchen Weißen juckt, dem Finger am Abzugshebel krumm zu machen, muß etwas damit zu tun haben, daß die Panthers Farbige sind und Gewehre tragen. Das unerbittliche und rücksichltslose Niedermetzeln der Panthers durch die Polizei ist im der blutigen amerikanischen Geschichte ohne Beispiel. Wie die Panthers, so tragen auch die Minutemen (radikale weiße Organisation ähnlich den Panthers) Gewehre. Die Panthers wollen den Sozialismus, Norman Thomas (geboren 1884, bedeutender Sozialistenführer) wollte ihn auch. Aber nur die Panthers werden ausgerottet. Was sie am augenfälligsten von anderen unterscheidet, ist einzig und allein ihre Hautfarhe.

Ungeachtet der gewaltsamen Unterdrückung durch das weiße Amerika vergrößern die Panthers weiter ihre Gefolgschaft unter weißen und farbigen Revolutionären und beweisen in steigendem Maß politische Reife. Während der genehmigten Demonstration zum 1. Mai 1970 an der Yale-Universität hielten die Panthers Scharen von übereifrigen weißen Demonstranten davon zurück, die Ausschreitungen zu begehen, die sich die Behörden erhofft hatten. Ähnlich kühles Blut bewahrten die Panthers während des Wochenendes, an dem im Herbst 1969 in Philadelphia die konstituierende Versammlung aller Freunde der Revolution stattfand. Diese Versammlung war in einer äußerst spannunsgeladenen Atmosphäre einberufen worden, denn die Polizei von Philadelphia hatte fast alle Panther-Führer unter fadenscheinigen Gründen in einer nächtlichen Verhaftungswelle festgenommen.

Nach 34 Monaten Gefängnis trat Huey Newton auf dieser Versammlung zum erstenmal wieder öffentlich in Erscheinung. In seiner Rede wurde deutlich, daß er zu Recht der letzte Liberale genannt wird. In seinem Vortrag griff er die Idee einer vereinigten Front wieder auf. Dabei sprach er mehr von der "nicht funktionierenden Demokratie" als von den bösen Geistern des Rassismus. Seine Theorie konnte von Leuten aus verschiedenen Lagern, von farbigen und weißen Radikalen sowie von weißen Liberalen akzeptiert werden. Newton stellte das 10-Punkte-Programm der Panthers, das einige Linksextremisten als reformistisch ansehen und mit dem einige indeterministische Rechtsradikale übereinstimmen, in den Vordergrund. Dieses Programm ist auf jeden Fall weniger radikal als die Unabhängigkeitserklärung. Mit einem Rückblick in die Geschichte begründete Newton die Notwendigkeit, eine neue amerikanische Verfassung zu schaffen (wiederum ein liberales Schlagwort). Seine Beweisführung nahm unmittelbar Bezug auf die eigentümlichen Verhältnisse, die für die Bedürftigen und Unterdrückten in der postindustriellen Gesellschaft Amerikas herrschen. In der guten alten Zeit, als die Demokratie auf die Agrarwirtschaft zugeschnitten war, genügte die Verfassung vollauf ihrem Zweck, aber, so stellte Newton fest, der Großkapitalismus hat das Bild verändert. Die Vereinigten Staaten haben sich aus dem "demokratischen Kapitalismus" des 19. Jahrhunderts entwickelt, der zwar für die Weißen progressiv gewesen sein mag, aber auf Kosten der Indianer und der Schwarzen ging, die ihre Kultur und ihr Land verloren bzw. der Sklaverei zum Opfer fielen. Im 20. Jahrhundert trat Amerika in ein Stadium, das Newton als "bürokratischen Kapitalismus" bezeichnet. "Eine kleine Oberschicht, die ein weltweites Wirtschaftssystem beherrscht", sei dafur charakteristisch. Es laufe darauf hinaus, daß die Verfassung, die ursprünglich dem Wohl der Menschen des 18. Jahrhunderts dienen sollte, heute nur der herrschenden Schicht des 20. Jahrhunderts zugute komme und daß das Volk immer noch auf eine Grundlage warte, die seine Lebensbedingungen verbessert, seine Freiheit garantiert und sein Streben nach Glück erfüllt. Ob man nun mit der geschichtlichen Theorie Newtons übereinstimmt oder nicht - sie ist wohl kaum als maßlos zu bezeichnen.

Im Vergleich zu den Reden von Spiro T. Agnew oder gar John Brown war Newtons Ton ernst und gemäßigt. Von der rhetorischen und propagandistischen Übertreibung, mit der die Panthers gewöhnlich in der Presse zitiert werden, war nichts zu hören. Diese andere, von Vorsicht und traditioneller Politik bestimmte Seite der Panthers ist einer der Gründe dafür, daß die Partei - selbst wenn sich, in ihrer Führungsspitze die Reihen lichten - ihre Funktion als Vorkämpfergruppe, die der gesamten radikalen Linken die Richtung weist, weiter ausübt. Sie ist auch die Ursache der inneren Spaltung der Partei. Newton beharrte darauf, die avantgardistische Aufgabe der Black Panthers sei es, die Theorie der Revolution zu propagieren, aber nicht unbedingt auch die revolutionäre Praxis zu diktieren. So konnte der Guerilla-Krieg weitergehen, ohne daß die Panthers nach ihm verlangten oder ihn organisierten. Seitdem sich die Revolutionary Action Movement (RAM; revolutionäre Aktionsbewegung) am Amfang der sechziger Jahre an ihm beteiligte, bildeten sich Hunderte von kleinen schwarzen Guerila-Sturmtrupps. Da die Aktionem der schwarzen Stadtguerillas und infolgedessen auch die polizeilichen Repressiomsmaßmahmen in Amerika aber immer häufiger werden, erhebt sich die Frage, wie lange die Panthers noch Guerilla-Verhältnisse billigen, ohne selbst Guerilla-Methoden anzuwenden, wie lange sie also ihre Gewalt auf ihre Rhetorik beschränken. Huey Newton hat die Bedeutung aufsehenerregender Guerilla-Aktionen, wie zum Beispiel Jimmy Jacksons dramatischen Versuch, die Häftlinge aus dem Gerichtsgebäude in Marin County zu befreiem, schnell erkannt, aber als vorsichtiger Politiker forderte er den Guerilla-Krieg nicht, obwohl einflußreiche Mitglieder seiner Partei glauben, die Zeit fur dem Übergang zum direktem revolutionären Krieg sei gekommem. Man ist der Auffassung, daß die Panthers bereits durch ihre Gemeinschaftsaktionen Frühstücksprogramme für Kinder, Schulen für die Erziehung zu politischer Freiheit und allgemeine Diemstleistungen wie kostenloser Transport zum Gefängnis, um Verwandte zu besuchen - in die politische Führung vorgestoßen seien. Heute sei die Repression sowohl gegen die Parteispitze der Black Panthers als auch gegen ihre Anhänger so stark, daß der Zeitpunkt gekommen sei, das Steuer herumzureißen.

Ein bedeutender Verfechter dieser Ansicht ist Eldridge Cleaver. Schon lange ehe sich die Partei wegen des revolutionärem Kriegs im zwei Lager spaltete, empfahl er den Panthers, ein Organisationsschema nach der Vorstellung Deseartes' einzuführen, wobei der offen arbeitende Teil von einem Guerilla-Untergrund ergänzt würde. "Ich glaube, wir haben jetzt einen Punkt erreicht, am dem wir dem anderem Aspekt des klassischen Aufbaus einer revolutionären Bewegung stärker berücksichtigen müssen", erklärte Cleaver bei einem Interview in Algeriern, das er ein Jahr vor der Spaltung der Partei dem Schriftsteller Lee Lockwood gab, "und zwar die Unterscheidung zwischen der politischen und der militärischen Tätigkeit, die erforderlich ist, um einen Volkskrieg zu entfesseln. Da unser Hauptaktionsgebiet in den Städten liegt, ist es einfach notwendig, daß wir in der jetzigen Phase unseres Kampfes diese Struktur einführen."

Man kann über die Spaltung in der Partei der Black Panthers nur in den komplizierten Ausdrücken der höherem Revolutionstheorie sprechen. Um es kurz zu sagen:

Newton bestand auf der militärischen Strategie eines hinhaltenden bewaffneten Kampfes; diese traditionelle Taktik kritisierte Regis Debray in Latainamerika, da sie nicht revolutionär genug sei. Der bewaffnete Kampf hat ganz andere Spielregeln als der Guerilla-Krieg, denn er bedeuted, daß man eine feste Basis aufbaut und verteidigt und von ihr aus operiert und nicht den Angriff ins feindliche Lager vorträgt, wie es Guerilla-Einheiten tun.

In Amerika ist die feststehende Basis natürlich das Ghetto. Cleaver bringt für den Guerilla-Krieg ähnliche Argumente vor wie Debray, der die traditionellere kommunistische Strategie des bewaffneten Kampfes in Lateinamerika ablehnte; er sagt, die Dynamik und Notwendigkeit der Weltrevolution erfordere, daß man die statische basis in Amerika aufgebe und den Krieg an den Feind herantrage, und zwar durch fortgesetze Guerilla-Angriffe auf seine schwachen punkte, sei es im Kern seines Korporationen-Dschungels oder in den vorgeschobenen Stellungen seiner imperialistischen Präsenz.

Hauptsächlich auf dem Gebiet der revolutionären Strategie warf Cleaver Newton vor, er stehe zu weit "rechts". Die Spaltung hat selbstverständlich noch andere Ursachen, aber die Frage der militärischen Strategie ist der wichtigste, mit Mißverständnissen am meisten belastete Streitpunkt der Auseinandersetzungen in den Reihen der Panthers.

Was Cleavers Anhänger auch unternehmen werden - die auf Oakland basierenden künftigen Aktionen der Panthers könnten letzten endes tatsächlich vom Verhalten der herrschenden Schicht bedingt werden. Am Schluß seiner Autobiographie "Seize the Time" (Nutzt die Zeit) sagt Bobby Seale, der Parteivorsitzende der Black Panthers, so klar, wie es nur gesagt werden kann: Die einzige Möglichkeit, einen offenen Krieg in den Ghettos zu verhindern, liegt darin, daß man die Herrschaft über diese Viertel und ihre resignierten Bewohner an die unterdrückte Bevölkerung selbst deligiert, die - wenigstens zur Zeit noch - darin leben muß.

In nächster Zukunft zumindest wird die Partei der Black panthers nach Jahren innerer Spannung in Fragen der revolutionären Strategie mit dem Schlüsselproblem Guerilla-Krieg geteilter Meinung sein.

Niemand ist qualifiziert, darüber zu urteilen, welche Seite recht hat; erst das Urteil der Geschichte wird später erweisen, ob Huey Newton mit seinem Rechtsstandpunkt Lenin gleicht oder ob er nicht links genug steht.

woher der wind weht