Hinter der FassadeDaß die Demokratie or whatever you may call it in Deutschland keine Tradition hat als verlorenene Kriege und re-education, erzählen die Deutschen selber. Hinter dieser Beschönigung ihrer Rancune gegen die droits de l'homme aber steht die Bereitschaft, in jenen fanatischen Patriotismus auszubrechen, der sich vor dem anderer Völker dadurch auszeichnet, daß er keine Idee hat, daß er in bloßer kollektiver Barbarei besteht. Nichts von Liebe ist darin, das beweist allein schon der offenkundig zum schamlosen Kitsch herabgesunkene Heimatrummel von landsmannschaftlichen pressure groups und Edelweißromanen. Nichts ist wahr als Machtgier und Aggression. Wie sollte denn ein Volk Selbstbewußtsein aufbringen, das in der jetzt lebendigen Generation auf Befehl eines zugleich schlauen und wahnsinnige Demagogen zwölf Jahre lang den Mord als Handwerk übte, das die Nachbarn überfiel und die Welt unterjochen wollte, ein Volk, das nach der Niederlage sogleich die Feinde, weil sie jetzt die Herren waren, als Befreier begrüßte, nach dem ersten Schrecken jedoch den Haß gegen die Befreier entdeckte und mit jedem Tag, an dem es ihm auf Grund der fremden Hilfe besser geht, sich zu neuen Taten rüstet. Nirgendwo in zivilisierten Ländern ist so wenig Grund zum Patriotismus wie in Deutschland, und nirgendwo wird von den Bürgern weniger Kritik am Patriotismus geübt als hier, wo er das schlimmste vollbracht hat. Berlin, die Wiedervereinigung, die Gebiete jenseits der Oder des zu Recht besiegten Deutschlands werden zu Stimulantien der neuen patriotischen Gesinnung, die von einem unheimlichen Willen gegen inneren, ja gegen äußeren Widerspruch sich ausbreitet. Unansprechbar, weil unreflektiert und von keinem vernünftigen Grund gestützt, vom Westen schlau die Reputation erborgend, man sei ein liberales Volk, man teile die politische Geschichte mit der freien Welt, schickt man sich an, der Freiheit den nächsten Streich zu spielen. Die Kotaus vor den Widerstandskämpfern, die offiziellen Absagen an den Antisemitismus, von den Synagogenbesuchen der Bürgermeister bis zum Schweigen bei Anne Frank, all dieses bereits kleinlaut und formell gewordene Schuldgetue hat bloß die Funktion, sich zum rechten Patriotismus wieder das gute Gewissen zu machen, sofern es nicht bloße Reklame für amerikanische Foundations ist. Der Patriotismus in Deutschland ist so furchtbar, weil er so grundlos ist.
Max Horkheimer, 1959 Fische schwimmen
Dies ist nicht nur ein Artikel über die Geschichte des Weather Underground in den USA der siebziger Jahre, sondern zugleich einer über die RAF. Diese Verknüpfung liegt nicht allein deshalb nahe, weil Weather aus borniert deutscher Sicht immer wieder als „amerikanische RAF" bezeichnet wurde, sondern auch wegen der Herkunft beider Gruppen aus der Studentenbewegung der sechziger Jahre und einem trotz der extrem unterschiedlichen Entwicklungen zumindest anfangs durchaus vergleichbaren Selbstverständnisses. Die Weathermen, wie sie bis zu einer feministischen Intervention im Jahre '71 hießen, entstanden im Juni '69 als offizielle und zu diesem Zeitpunkt dominierende Fraktion des amerikanischen SDS (Students for a Democratic Society). Kurz vorher war ihr Gründungspapier „You Don't Need a Weatherman to Know Which Way the Wind Blows" (der Titel entstammt einem Lied von Bob Dylan) erschienen: Dort wird deutlich, daß sie ihre Aufgabe primär in der Unterstützung des Kampfes der Schwarzen in den USA sahen, die sie im Anschluß an die Auffassungen der Black Panther Party als „Kolonie innerhalb des Mutterlandes" interpretierten, während die weiße Arbeiterklasse als hoffnungslos korrumpiert und rassistisch abgeschrieben wurde. Allenfalls der weißen Arbeiterjugend wurde ein gewisses Maß an revolutionärem Potential zugebilligt, basierend auf deren Teilhabe an der tendentiell klassenüberschreitenden und staatlicher Repression ausgesetzten Jugendkultur. Diese doch recht nüchterne Einschätzung des revolutionären Potentials in der weißen Arbeiterklasse unterscheidet Weather wohltuend von der revolutionären „Dem-Volke-Dienen-Lyrik" der RAF, die in ihren Texten noch jedesmal vergißt, daß sie es nicht mit chinesischen Kleinbauern, sondern mit Angehörigen der deutschen Volksgemeinschaft zu tun hat und daß die im Zweifelsfall lieber auf Schwächere draufhauen, anstatt sich gemeinsam gegen das System zu wenden. Und während so der RAF bei jedem Streik die Augen leuchteten, weil sie sich der Revolution ein Stückchen näher wähnte (was vor allem dann der Fall war, wenn diese Streiks gegen die „vom US-Kapital beherrschten Gewerkschaften" durchgeführt wurden), beschimpfte Weather die im November '69 landesweit streikenden General Electrics-Arbeiter als „Pigs" und drohte ihnen mit Vergeltung durch die vietnamesische Befreiungsfront _ vielleicht nicht unbedingt taktisch klug, aber durchaus sympathisch.
Blowing in the Wind Weathers erste Aktion war die Sprengung der Polizistenstatue auf dem Haymarket Square in Chicago im Oktober '69, die dort an den Tod von acht Polizisten durch ein anarchistisches Attentat während eines Streiks im Jahre 1886 erinnert. Dieser Bombenanschlag bildete den Auftakt für die dort im Anschluß stattfindenden Days of Rage, wo militant das Nicht-Einverständnis mit der US-amerikanischen Politik demonstriert werden sollte, was sich hauptsächlich in Straßenschlachten und Sachbeschädigungen ausdrückte. Nicht nur wegen der Distanzierung anderer linker Gruppen _ die den Weathermen Abenteurertum und eine falsche politische Taktik vorwarfen _ war die Zahl der TeilnehmerInnen niedriger als erwartet, was zu einer ersten Selbstkritik der Weather-Leute führte: Sie warfen sich Sektierertum, humorlose Besessenheit sowie ein falsches Verständnis von Abenteurertum vor und zogen zudem die Effektivität von Massenaktionen angesichts der sich erwartungsgemäß verschärfenden staatlichen Repression und der erhaltenen körperlichen Verwundungen in Zweifel. Dennoch bewerteten sie die Days of Rage als Erfolg und zwar aus drei Gründen: wegen der beispielhaften Entschlossenheit, das eigene Leben zu riskieren, der bewiesenen Fähigkeit Innerhalb von zwei Monaten war der Gang in den Untergrund vollzogen _ was gleichzeitig die Auflösung des SDS bedeutete _ und die verbliebenen etwa hundert Gruppenmitglieder organisierten sich in kleinen, voneinander unabhängigen Zellen von maximal fünf Personen hauptsächlich in den Städten der Ost- und Westküste. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Zellen und dem nationalen Weatherbureau wurde mit Hilfe von in der Legalität lebenden UnterstützerInnen aufrechterhalten. Diskutiert wurden mögliche Anschlagsziele, die abschließend vom Weatherbureau abgesegnet werden mußten. An dieser hierarchischen Struktur gab es bald Kritik, hauptsächlich von feministischer Seite, die sich auch gegen das martialische Auftreten der Gruppe und deren einseitige Betonung männlich-militanter Aktionsformen richtete. Mit ihrem demonstrativen Machotum ebenso wie mit einem gewissen Maß an offen zur Schau getragenem Anti-Intellektualismus (so brüstete sich etwa Mark Rudd, eines der Gründungsmitglieder, in einem ganzen Jahr nicht ein einziges Buch gelesen zu haben) hoffte man vor allem, weiße Arbeiterjugendliche zu beeindrucken und auf die Seite des revolutionären Kampfes zu ziehen. Bis zur Spaltung der Gruppe im Jahre 1976 und der bald darauf erfolgenden Auflösung agierte Weather recht erfolgreich und _ im Vergleich zur RAF _ relativ unbehelligt von staatlicher Verfolgung. In der Tat „profitierten" die Weather-Leute von ihrer Hautfarbe, war doch die Rolle des „Staatsfeindes Nr. 1" für den schwarzen Widerstand und da insbesondere (obwohl nicht in der Illegalität operierend) für die Black Panther Party reserviert, so daß sich die Polizei weitgehend auf diese konzentrierte und in ihrem Vorgehen relativ wenig Skrupel kannte. So wurden während der Zeit der Illegalität (und auch danach) nur sehr wenige Weather-Mitglieder verhaftet und wenn überhaupt dann nur zu sehr kurzen Haftstrafen verurteilt.
All the Tired Horses Weathers Aktionen waren meist als Vergeltungsschläge konzipiert _ gegen den Krieg in Vietnam, gegen die US-amerikanische Unterstützung konterrevolutionärer Bewegungen in Lateinamerika (den Sturz Allendes in Chile zum Beispiel), gegen den staatlich sanktionierten Rassismus, wie er sich vor allem in der Verfolgung der Black Panther Party manifestierte. Dabei beschränkte sich Weather stets auf die berühmte „Gewalt gegen Sachen", Menschen kamen bei ihren Anschlägen nicht zu Schaden. Ob sich diese Zurückhaltung _ die ihrer militanten Rhetorik zumindest zum Teil widerspricht _ einem bewußten Entschluß oder dem Schock über den Tod dreier Mitglieder beim Basteln von Anti-Personen-Bomben im März 1970 verdankt, bleibt nach meiner Lektüre unklar. Beifall in der linken Szene fanden sie mit einem Bombenanschlag auf das Kapitol im März '71, mit dem gegen die weitere Ausweitung des Vietnamkrieges auf benachbarte Länder protestiert werden sollte. Ein ähnliches Ziel verfolgte ein Jahr später (am 19. Mai, Ho Chi Minhs Geburtstag) ein Anschlag auf das Pentagon, wobei durch geschickte Plazierung der Bombe in einem Frauenklo ein erheblicher Wasserschaden auftrat, der einen Computerraum irreparabel beschädigte. Ein stärkerer Anschluß an die jugendliche Subkultur sollte mit der Befreiung Timothy Learys aus dem Gefängnis von San Luis Obispo (Kalifornien) erreicht werden. Leary war im Februar '70 zu zehn Jahren Haft wegen des Besitzes von Marihuana verurteilt worden, im September des gleichen Jahres holten ihn die Weather-Leute aus dem Gefängnis und organisierten seine Flucht nach Algerien, wo er in einem Stützpunkt der Black Panther Unterschlupf fand. Derselbe Wunsch nach stärkerer Verankerung in der Gegenkultur spiegelt sich auch im „New Morning, Changing Weather"-Communiqué vom Dezember 1970 wider, welches ihren revolutionären Charakter anerkennt und Weather damit zu einem Teil der Gegenkultur erklärt. In diesem Papier bezeichnen die Weather-Leute ihre bisherige Tendenz „to consider only bombings or picking up the gun as revolutionary, with the glorification of the heavier the better" als Fehler und als ungerechtfertigte Abwertung anderer, nicht-militanter Aktionsformen. Der Strategiewechsel beinhaltete eine Abwendung von männlicher Führerschaft und die Bildung autonomer Frauengruppen, sowie eine neue Form der Gruppenorganisation: ein Zusammenschluß in „Familien", definiert als Gruppe von Leuten, die sich einander nicht nur durch gleiche politische Ziele, sondern auch emotional verbunden fühlten. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der USA und Nordvietnam am 27. Januar 1973 in Paris verlor Weather ein zentrales Aktionsfeld, was _ zusammen mit der innenpolitischen Situation der USA, die gekennzeichnet war von wirtschaftlicher Krise, Zerschlagung der schwarzen Bewegung, Watergate und der sich anschließenden Demoralisierung der Linken _ zu einer Veränderung ihrer Politik hin zu einem traditionelleren Marxismus-Leninismus führte. Die Revolution wurde erstmal verschoben, jetzt war langfristige Organisierung und der Aufbau einer Massenbewegung unter Einbeziehung der weißen Arbeiterklasse angesagt. Weather verstand sich nun, wie aus ihrem im Spätsommer '74 veröffentlichten Papier „Prairie Fire: The Politics of Revolutionary Anti-Imperialism" hervorgeht, als Keimzelle einer bewaffneten Volksarmee, eine eher optimistische Ansicht, die nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Zustand der Linken korrespondierte. Das Prairie Fire-Statement - ein Buch mit einem Umfang von einhundertvierzig Seiten - erschien in vierzigtausend Exemplaren und wurde öffentlich (!) über linke Buchhandlungen vertrieben. Zusätzlich zu dem Buch wurde ein Film mit dem Titel Underground produziert, der Interviews mit den in der Illegalität lebenden Weather-Mitgliedern zeigte. Ein weiterer Versuch, eine stärkere Vernetzung mit der restlichen Linken zu erreichen, stellte die im Januar '76 stattfindende Hard Times Conference dar, die zusammen mit anderen vom Prairie Fire Organizing Committee (PFOC), einer in der Legalität agierenden Weather-UnterstützerInnengruppe organisiert wurde. Dort trafen sich zwar eine ganze Menge Leute aus verschiedenen Gruppen, aber das angestrebte Ziel _ die Bildung eines breiten linken Aktionsbündnisses _ konnte nicht ereicht werden. Stattdessen wurden der PFOC und damit Weather vorgeworfen, aufgrund ihres neuen emphatischen Bezuges auf die Arbeiterklasse rassistisches und sexistisches Verhalten weißer Arbeiter zu ignorieren, beziehungsweise zu verharmlosen. Dieser Vorwurf ist so sicher nicht ganz richtig, zutreffend ist aber, daß auch Weather anfing in Haupt- und Nebenwidersprüchen zu denken und so Frauen und Schwarze nur noch als überausgebeutete Mitglieder der Arbeiterklasse wahrnahm, anstatt von spezifischen Unterdrückungsmechanismen zu sprechen. Nach der Hard Times Conference spaltete sich die Gruppe, beziehungsweise löste sich teilweise auf, da sich die Mitglieder gegenseitig des Reformismus und der Aufgabe ihrer antirassistischen Politik beschuldigten. Die Übriggebliebenen, die weiter unter dem Weather-Label agierten, verübten noch einige Anschläge, bis sie wegen des (wahrscheinlich von Undercover-Agenten initiierten) Versuchs, eine Bombe in das Büro eines US-Senators zu legen, verhaftet und verurteilt wurden. Ab 1977 tauchten zunächst vereinzelt, in den frühen achtziger Jahren dann immer mehr ehemalige Weather-Leute aus dem Untergrund auf. Trotz ihrer Weigerung, Aussagen über ihr Leben im Untergrund und den Aufenthaltsort ihrer GenossInnen zu machen, erhielten sie nur geringe Haft-, beziehungsweise Geldstrafen. Andere, die es vorzogen im Untergrund zu bleiben, schlossen sich der Black Liberation Army (BLA) an; sie wurden zum großen Teil wegen eines fehlgeschlagenen Überfalls auf einen Geldtransporter, bei dem es zu einem Schußwechsel mit der Polizei und mehreren Toten kam, zu hohen Haftstrafen verurteilt.
The Times They Are A-Changin Das ist eine ganz andere Geschichte als die der RAF. Und wenn es auch sehr einfach ist, für diese unterschiedliche Entwicklung das ungleich höhere Ausmaß an staatlicher Repression hierzulande verantwortlich zu machen, greift diese Erklärung (wenn sie auch sicherlich nicht ganz falsch ist) zu kurz. Der deutsche Staat reagierte auf die bloße Absichtserklärung einer kleinen Gruppe von Leuten, die ihm den Krieg erklärte, mit einem riesigen Fahndungsaufwand und entsprechender Brutalität. Die RAF agierte also von Anfang an _ und da war außer dem Anschlag auf die Frankfurter Kaufhäuser und der Befreiung Andreas Baaders noch nichts passiert _ unter enormem Druck, der durch die Verhaftungen nach der „Mai-Offensive" 1972 noch weiter verstärkt wurde. Von da an konzentrierte sich die RAF auf den Versuch, die Gefangenen aus den Knästen zu holen _ mit den bekannten Folgen des Deutschen Herbstes. Gelegenheit oder Bereitschaft zur Reflexion, die eventuell zu der Einsicht hätte führen können, daß der bewaffnete Kampf zumindest in der ausgeübten Form des Leutetotschiessens gerade mal gar nichts bewirkt (und wenn, dann doch nur das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte), gab es da nicht mehr.1 Daß jeder Staat die Guerilla bekommt, die er verdient, scheint relativ klar: Daß dies aber auf die RAF und Deutschland in mehr als einer Hinsicht zutrifft, soll im Folgenden vor allem durch die Gegenüberstellung mit dem Weather Underground gezeigt werden. „The best thing that we can be doing for ourselves, as well as for the Panthers and the revolutionary black liberation struggle, is to build a fucking white revolutionary movement." „Dem Volk dienen! Habt Mut zu kämpfen! Habt Mut zu siegen! Denn für alles Reaktionäre gilt, daß es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt. Sieg im Volkskrieg!" Abgesehen davon, daß auf Englisch fast alles besser klingt, zeichnen sich die Parolen der RAF auch noch durch ihre besondere Einfältigkeit aus _ was nicht weiter schlimm wäre, wenn sich die dazugehörigen Texte nicht auf dem gleichen Niveau bewegten wie die ihnen nachgestellten lyrics. Aber natürlich hatten sie auch einfach ein Problem: Während es für die Weather-Leute klar war, für wen sie kämpften und sie deshalb auf die weißen Arbeiter keinen Pfifferling mehr gaben, hatte es die RAF mit ihrem revolutionären Subjekt sehr viel schwerer. Allen Randgruppenstrategien zum Trotz blieb ihnen als den Leninisten, die sie waren, am Ende doch nur das Industrieproletariat, auf dessen vermeintlich revolutionäres Potential sie hoffen konnten. Von den K-Gruppen-Strategen unterschieden sie sich also nur insofern, als daß diese meinten, die Revolution ließe sich durch das Verteilen von Flugblättern und geduldige Betriebsarbeit herbeiführen, während die RAF eine etwas militantere Taktik bevorzugte. Immerhin war auch sie der Meinung, mit ihren Bomben Aufklärungsarbeit zu leisten: „Die Bomben gegen den Unterdrückungsapparat schmeißen wir auch in das Bewußtsein der Massen."2 In das Bewußtsein welcher Massen, darüber hat die RAF sich nie Gedanken gemacht _ und wenn, dann die falschen. Aber warum auch? Es langte ja anzunehmen, daß die Massen (wahlweise auch das „Volk" genannt) zwar im Moment aufgrund staatlicher Repression über ihre eigenen Bedürfnisse nicht recht Bescheid wüßten, eigentlich aber vor allem gut und irgendwie auch links seien (und deswegen ganz automatisch auf der richtigen Seite).
Queen Jane Approximately Die Ursachen für diese Glorifizierung des „Volkes" liegen in der Weigerung, über den Nationalsozialismus anders als mit den Begriffen einer oberflächlichen Faschismusanalyse nachzudenken. „Der Nationalsozialismus war nur (Hervorhebung von uns) die politische und militärische Vorwegnahme des imperialistischen Systems der multinationalen Konzerne."3 Diese Aussage hat zwei Konsequenzen: Zum einen gerieren sich die RAFler damit als antifaschistische WiderstandskämpferInnen, können also endlich nachholen, was ihre Eltern verabsäumt haben, zum anderen aber kommt in dieser Verkürzung das Spezifische des Nationalsozialismus, nämlich die Judenvernichtung, einfach nicht mehr vor oder wird zum Betriebsunfall erklärt, zur „Unfähigkeit der Deutschen, (...) nicht nur die Kommunisten, sondern die Juden gleich mit liquidiert zu haben."4 Wie aus dieser zynischen Paraphrasierung des schönen deutschen Sprichwortes „Wo gehobelt wird, da fallen Späne" hervorgeht, war das eigentliche Ziel des Nationalsozialismus also die Vernichtung der Kommunisten (was hier interpretiert werden kann als Synonym für „Volk"), nicht etwa die der Juden _ die ist dann halt aus Versehen mitpassiert. Immerhin erspart einem ein derart massiver Glaube an die Repressionsthese auch die Notwendigkeit, sich über sozialpsychologische Ursachen des Dritten Reiches Gedanken zu machen. Niemand hat mitgemacht (und schon gar nicht gerne), alle hatten schreckliche Angst und überhaupt war „die Person seiner (d.h. des Faschismus) Führer"5 für alles allein verantwortlich. Wenn einem ohnehin schon alles gleich ist, schreckt man auch nicht mehr davor zurück, bundesdeutsche Knäste zum „Reformtreblinka" zu erklären und sich selbst zu Opfern der „Endlösung": „...dessen Rationalität (die des Systems) immer darauf angewiesen war und ist, einen Teil des Proletariats offen zu terrorisieren, zu vernichten _ im Extrem: Treblinka, Maidanek, Sobibor (...) Knast und Vernichtungslager als vorletzte und letzte (Hervorhebung von uns) Maßnahme gegen jede Art von Widerstand (...) Unsere Isolation jetzt und das Konzentrationslager demnächst (...) kommt raus auf: Vernichtungslager _ Reformtreblinka _ Reformbuchenwald _ die ,Endlösung`"6 Daß die wahren Opfer stets die Deutschen sind, wissen wir schon längst aus den Sonntagsreden staatstragender Persönlichkeiten anläßlich irgendwelcher Gedenktage: bloß drücken die sich meistens etwas weniger plump aus (und wenn nicht, gibt es viel Geschrei und sie müssen anschließend von ihrem Amt als Bundestagspräsident zurücktreten). Aber nicht nur die Nazis, auch die Alliierten, hatten es ausschließlich auf die Vernichtung des deutschen Volkes abgesehen: zuerst mit ihren „Terrorbombardements auf die Wohnviertel der Bevölkerung"7, anschließend dann mit dem Versuch, das „Volk" mittels Hunger und Reeducation zu demoralisieren und zu unterdrücken. In dieser Perspektive kann die deutsche Niederlage auch nicht als Befreiung vom Nationalsozialismus verstanden werden, im Gegenteil hat man stets den äußerst unguten Eindruck, daß aus der Sicht der RAF das wirklich Schlimme erst nach 1945 passiert ist. Daß sie es in der Tat vorzieht, von „militärische(r) Eroberung und Besetzung"8 zu sprechen, ist wohl in erster Linie Ausfluß eines zwar weitverbreiteten, nichtsdestotrotz idiotischen Antiamerikanismus, der gerade in diesem Land gerne als wohlfeiles Vehikel für nationalistische Gefühle gebraucht wird _ und zwar von Rechten wie von Linken. Auch mit ihrer Interpretation der BRD als US-amerikanischer Kolonie, beziehungsweise als „Marionettenregime" würde die RAF wohl auf Zustimmung von rechts stoßen: „Die Besatzungsmacht trat der deutschen Bevölkerung in den Reeducation-Kampagnen nicht anders gegenüber als kolonialistische Eroberer der autochthonen Bevölkerung eines besetzten Landes in der Dritten Welt. (...) Also ging es für die Besatzer darum, (...) ,die Deutschen zur Demokratie zu erziehen` _ d.h. die Kultur, das Geschichtsverständnis, das Bewußtsein der historischen Existenz Endlich haben wir die wirklich perfekten Opfer: Zuerst zwölf Jahre Faschismus, anschließend eine Existenz als kolonialisiertes, der eigenen Kultur beraubtes Volk unter direkter Herrschaft des US-Imperialismus. Wie eine prototypische deutsche Großmutter, die im Bus keinen Sitzplatz mehr bekommen hat und deshalb fünf Minuten stehen muß, beklagt sich die RAF darüber, daß „wir" mal wieder betrogen worden seien und es „uns" deshalb wie immer schlechter gehe als allen anderen. Hier nur einer der in erschöpfender Ausführlichkeit aufgezählten Beweise: Wurde etwa irgendein anderes Volk auf dieser Erde gezwungen, das gesamte überschüssige Trockenobst der USA zu verzehren? Na, eben.10 Diese bornierte Perspektive übersieht auch _ wenn sie über die von der US-Administration angeblich betriebene „Politik des Hungers"11, d.h. die künstliche Verknappung im Prinzip reichlich vorhandener Lebensmittel, jammert _ daß es den Westdeutschen nach dem Krieg wesentlich schneller wieder besser ging als ihren europäischen Kriegsgegnern. Daß Marshall-Plan und Care-Pakete uneigennützige Liebesgaben eines alles verzeihenden Siegers gewesen seien, soll hier natürlich nicht behauptet werden. Darum geht es aber auch garnicht. Was hier zuallererst kritisiert werden soll, ist die deutsche Manie sich stets zum Größten Opfer aller Zeiten zu erklären und vor lauter Gegreine blind um sich fuchtelnd von einem Fettnäpfchen in das andere zu trampeln. Was Wolfgang Pohrt der Friedensbewegung bescheinigt: ihre Angst vor der atomaren Vernichtung Deutschlands sei in Wirklichkeit Ausdruck eines wieder salonfähig gewordenen Nationalismus, der sich in er „Mag sein, daß schon während des Vietnam-Protests ein verstecktes nationalistisches Ressentiment der damals noch verborgene Sinn antiamerikanischer Militanz gewesen ist, das schlechte Ende einer Bewegung strahlt notwendig auf ihren Ursprung zurück. Der Ursprung erschließt sich eben erst retrospektiv (...) und wenn die neue Linke nun zu allem Überfluß auch noch patriotisch wird, dann sind die Demonstrationen gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam eben nicht der Anfang einer revolutionären und antiimperialistischen Bewegung, sondern der Beginn einer nationalen Erweckungsbewegung gewesen. (...) Vielleicht also war es damals schon der stille Wunsch ,Amis raus`, oder einfach ,raus`, ganz gleich, ob Juden, Ausländer oder Amis, welcher sich in der aus tausend Kehlen gerufenen Demonstrationsparole ,Amis raus aus Vietnam` laut Gehör verschaffte, vielleicht war in der Rede vom tapferen vietnamesischen Volk das Adjektiv nur Alibi, um das Substantiv in den Mund zu nehmen."12
Subterranean Homesick Blues Leider sind die Texte der RAF nicht von einer Beschaffenheit, die diese dunklen Befürchtungen zu zerstreuen in der Lage wäre, ganz im Gegenteil scheinen sie diese noch zu bestätigen. Dazu paßt auch der nur sehr oberflächlich als Antizionismus getarnte Antisemitismus, der sich beiläufig in Formeln wie der von der „kosmopolitischen Identität des Monopolkapitals"13, sehr massiv aber dann im Papier über die Aktion des Schwarzen September in München „Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes"
marxistische Gewalttäter?
Fußnoten:
1 Daß wir uns da nicht falsch verstehen: Das ist kein Plädoyer gegen den bewaffneten Kampf. Natürlich kann es unter bestimmten Umständen politisch legitim sein, Leute umzubringen. Für die RAF hätte aber spätestens nach der gescheiterten Botschaftsbesetzung von Stockholm klar sein müssen, daß Geiselnahmen und der angedrohte Tod von Staatsrepräsentanten die Bundesregierung nicht zur Befreiung der Gefangenen veranlassen würde. Immerhin ist aber bei diesen Aktionen noch ein klarer Zweck zu erkennen, wenn auch das Mittel ein falsches war. Von den Aktionen nach '81 läßt sich nicht einmal mehr das behaupten: Irgendwelche, zwar wichtige Funktionäre zu erschießen, von denen vor ihrem plötzlichen Tod noch kein Mensch etwas gehört hatte, destabilisiert weder den Staat, noch bringt es die Weltrevolution voran. Endgültig auf den Hund gekommen war die RAF dann 1985, als sie wegen dessen ID-Card einen GI ermordete. Beim anschließenden Autobombenanschlag auf die Rhein-Main-Airbase kam dann außer einem zweiten Soldaten auch noch eine amerikanische Hausfrau ums Leben.
2 Aus: Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa. Mai 1971
3 Aus: Die Aktion des „Schwarzen September" in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes. November 1972
4 ibd.: bezieht sich hier auf die fehlgeschlagene „Befreiungsaktion" auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck nach der Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft durch ein palästinensisches Kommando 1972
5 Aus: Erklärung vom 13. Januar 1976
6 Aus: Hungerstreikerklärung vom 8. Mai 1973
7 Aus: Erklärung vom 13. Januar 1976
8 ibd.
9 ibd.
10 Mit der Aufdeckung des sogenannten Trockenobstplanes hat die RAF sich unschätzbare Verdienste erworben. Dieser perfide Plan bestand kurz gefaßt darin, mittels einer Überdosis Trockenobst (das zweieinhalbfache des normalen Pro-Kopf-Verbrauches) große Teile des deutschen Volkes so zu schwächen, daß es von ganz alleine in einen quasi vorindustriellen Zustand zurückfiele. (Quelle: Erklärung vom 13. Januar 1976) Um die Verschwörungstheorie komplett zu machen, fehlt bloß noch die Behauptung, den Care-Paketen sei wegen des die Sexuallust dämpfenden Effektes Natron beigemengt worden, um so die Zahl der Deutschen weiter zu verringern. Wie wir alle wissen, hat sich dann doch der Marshall-Plan mit seiner ganz anderen Zielsetzung durchgesetzt.
11 Aus:Erklärung vom 13. Januar 1976
12 Pohrt, Wolfgang. Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation. 1982. Vergleiche auch den Abschnitt über kulturelle Überfremdung durch Süßigkeiten amerikanischer Provenienz wie Smarties, Raider, Snickers oder Milky Way.
13 Aus: Erklärung vom 13. Januar 1976
14 Aus: Die Aktion des „Schwarzen September in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes. November 1972
15 ibd.
16 ibd.
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