Cannabis - eine Alltagsdroge

Das Recht auf Rausch - Seite 58/59

Sozialwissenschaftler Günther Amendt zur Drogendebatte

taz: Der Beschluß des Lübecker Landgerichts, das Cannabisverbot verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsgebot, hat bei den Unionsparteien eine Welle der Wut und Aggression ausgelöst. Wie erklären Sie sich das?

Günter Amendt: Der Beschluß hat solche Aggressionen ausgelöst, weil er ins Zentrum der Doppelmoral trifft. Noch nie zuvor in der 25jährigen Geschichte des Haschischkonsums in der Bundesrepublik hat es ein Gericht gewagt, Cannabis und Alkohol miteinander zu vergleichen und zu entscheiden, daß Cannabis die harmlosere von beiden Drogen ist. Die Auffassung des Gerichts, Cannabis dürfe nicht verboten sein, wenn Alkohol erlaubt ist, könnte theoretisch zur Folge haben, daß Alkohol verboten wird. Das wird natürlich in einer Gesellschaft, deren Trinkkultur auf Alkohol beruht, niemals der Fall sein, aber schon allein der Gedanke daran schürt bei einigen Angst und Aggressionen.

taz: In der Bundesrepublik leben zwei bis vier Millionen Kiffer. Ist durch den Gerichtsbeschluß nicht die Zeit gekommen, wo die Legalisierungsdebatte mit einer Selbstbezichtigungskampagne "Ich rauche Haschisch" vorangetrieben werden könnte - ähnlich wie die Abtreibungs-Selbstbezichtigungsaktion in den 70er Jahren?

Amendt: Natürlich könnte damit Druck ausgeübt werden. Voraussetzung wäre allerdings, daß darüber eine rationale Auseinandersetzung in dem Sinne geführt würde, daß die Argumente und Gegenargumente abgewogen und die Summe der vielen Erfahrungen mit Haschisch und Marihuana ein Gewicht in der Waagschale hätten.
Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Regierung argumentiert, Haschisch habe Todesfolgen, fördere die Prostitution und die Beschaffungskriminalität. Das ist eine regelrechte Desinformationskampagne. Alle, die Haschisch geraucht haben, wissen, daß hier plump und dumm gelogen wird. Ich glaube, daß Kiffer keinen Sinn darin sehen, sich öffentlich dazu zu bekennen, weil die Vorurteile so stark sind, daß sich dadurch nichts ändern würde. Folglich käme nur noch ein Outing ähnlich der Rosa-von-Praunheim-Kampagne bei Homosexualität in Betracht. Das lehne ich ab.

taz: Ist es nicht auch die Angst vor Strafverfolgung und Diskriminierung, die den Arzt, Architekten, Piloten oder Schauspieler - um nur einige Beispiele zu nennen - am öffentlichen Bekenntnis hindert, Haschisch zu rauchen?

Amendt: Daß sie eine Strafverfolgung befürchten, glaube ich weniger. Aber sie haben Angst davor, persönlich geächtet zu werden, weil in der öffentlichen Meinung nicht differenziert wird: Wenn man sagt, man sei Cannabisraucher, wird man als Drogenabhängiger bezeichnet. In den Medien ist seit fünf bis sechs Jahren zu beobachten, das Heroin und Cannabis wieder in einem Atemzug genannt und in einen Topf geworfen werden. Das einzige persönliche Motiv, das mir noch für eine Selbstbezichtigung einfallen würde, wäre der Wunsch, Haschisch nicht mehr für teures Geld im kriminellen Milieu erwerben zu müssen. Aber dem gehen viele ohnehin aus dem Wege, indem sie sich ihr Cannabis selbst anbauen.
Ich schätze, daß die Hälfte aller Leute, die in Mittel- und Südeuropa Cannabis rauchen, ihren Konsum durch Eigenanbau bestreiten. Die Samen sind überall erhältlich, und das technische Know-how über Anbau und Pflege ist vorhanden. Das ist ja das Absurde an dieser Diskussion: Diese Droge ist nicht zu verbieten. Analog zur Alkoholprohibition, wo das Verbot durch Schwarzbrennerei unterlaufen wurde, umgehen Cannabisfreunde die Prohibition durch Eigenanbau.

taz: Was ist der Unterschied zwischen den Leuten, die heute Haschisch rauchen, und der Kifferszene in den 60er und 70er Jahren? Damals gab es ja eine richtige "Legalize it"-Bewegung.

Amendt: In den 60ern und Anfang der 70er wurde Haschisch und Marihuana in einem politischen Kontext vor dem Hintergrund einer politischen Bewegung geraucht, die ein starkes Selbstbewußtsein hatte. Die Leute waren damals angstfrei, weil sie einen politischen Sinn darin sahen, Normen zu durchbrechen und neue Ideen, auch über Drogen, in die Öffentlichkeit zu bringen. Dieser ganze Drive ist heute nicht mehr da. Bei den Leuten, die heute Haschisch rauchen, würde ich nicht einmal von einer Kifferszene sprechen, weil es keine Drogenkultur mehr gibt. Das Kiffen ist zu einer ganz individuellen Angelegenheit geworden. Haschisch ist heute eine Alltagsdroge, genauso wie Kaffee oder Tee, die man allein oder im geselligen Rahmen trinkt.

taz: Wenn die Diskussion über die Liberalisierung weicher Drogen schon so festgefahren ist, ist an eine Entkriminalisierung der harten Drogen - die ja das eigentliche Problem sind - erst recht nicht zu denken. Was muß eigentlich noch passieren, damit diese Debatte endlich in Gang kommt?

Amendt: Deshalb finde ich die ganze Diskussion über die Freigabe von Cannabis auch so gespenstisch, weil sie an der eigentlichen Frage vorbeigeht, wie die Gesellschaft mit den harten Drogen umgehen will. Ich gehe davon aus, daß ein wichtiger Anstoß von der Justiz kommen wird. Der Lübecker Richter Neskovic ist ja mit seinem Cannabisbeschluß bei seinen richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Kolleginnen und Kollegen auf große Zustimmung gestoßen. Auf der justitiellen Ebene regt sich Widerstand. Man will diese Doppelmoral nicht mehr mittragen, weil es mit dem Rechtsempfinden nicht vereinbar ist, Drogenkonsumenten zu verurteilen. In Hamburg sind 20 Prozent der Gerichtskapazitäten mit Bagatell-Drogendelikten blockiert.
Die Drogendebatte wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen. Die Macht des Drogenkapitals ist dabei, die Strukturen des kapitalistischen Systems zu zersetzen. Irgendwann wird der Zeitpunkt erreicht sein, wo die mit dem Handel von harten Drogen verbundene, drastisch zunehmende Beschaffungskriminalität gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert wird und der Staat nicht mehr genügend rechtsstaatlich vertretbare Mittel hat, gegen diese Variante der Kriminalität vorzugehen. Dann kommt die Legalisierung - und zwar von oben. Schon fordern die Geschäftsinhaber an dem Zürcher Platzspitz die kontrollierte Abgabe von Heroin, weil ihre Läden ausgeraubt und Passanten überfallen werden.

taz: Die Freigabe von Cannabis wird also irgendwann einmal mit einem Federstrich nebenbei erledigt werden?

Amendt: Ja. Cannabis ist im Vergleich zu harten Drogen ein sowohl sozialpolitisch wie ökonomisch marginales Problem.

taz: Warum tun sich die Deutschen im Gegensatz zu den Holländern so schwer damit, Cannabis freizugeben?

Amendt: In Holland gibt es eine Tradition der Toleranz. Auch gegenüber Schwulen verhält man sich liberaler als in Deutschland. Die Drogenpolitik der konservativen Kräfte im autoritären und autoritätshörigen Deutschland beruht auf Verbotserziehung, ohne zur Kenntnis nehmen zu wollen, daß diese gescheitert ist. Zu meiner Jugendzeit hat man dagegen kollektiv rebelliert. Heute rebellieren die Jugendlichen durch individuelle Verweigerung und Resignation. Die innere Haltung ist dieselbe: Ekel vor der Doppelmoral der Erwachsenen. Bereits Joschka Fischer hat den Deutschen Bundestag als Alkoholikerversammlung bezeichnet.
Die politische Klasse in diesem Land hat in den Augen der jungen Menschen noch nie zuvor so abgedankt wie heute. Die Reaktion darauf ist leider keine politische, wie ich es mir wünschen würde, sondern eine private, indem man sich in seine Nische zurückzieht. Solange sie dort nicht gestört werden, werden sie nicht rebellieren und deshalb bespielsweise auch nicht bereit sein, eine massenhafte Kampagne zur Legalisierung von Cannabis zu unterstützen.

Interview: Plutonia Plarre

Der 53jährige Günter Amendt ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Sein bekanntestes Buch, "Die Sexfront". erschien 1970 im Märzverlag. Amendt war früher SDS-Mitglied, gehörte später der DKP an, ist heute nicht organisiert und lebt in Hamburg und Zürich.

taz, mittwoch, 18.3.1992

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