von Hanf ist die Rede

Hans-Georg Behr

Kultur und Politik einer Pflanze

Naschrebellen"Der kategorische Begriff unseres Gesetzgebers in Drogenfragen heißt "Volksgesundheit" und stammt aus der NS-Zeit. Der Pharma-Industrie wird selbstverständlich unterstellt, daß diese Volksgesundheit ihr noch über die Bilanz ragendes Ziel sei; auch der nichtmedizinischen Drogenindustrie wird geglaubt, daß sie die Volksgesundheit nicht gefährden möchte. Alle anderen Drogen sind verboten, nicht zuletzt mit der lakonischen Begründung, daß der Schaden durch die erlaubten groß genug sei." (S.20)

"Das Zeug kursierte frei über die Grenzen und war nicht einmal Zoll wert. Dann kamen beide Staaten, unter sanftem Druck der USA und auf Entwicklungsgelder hoffend, der UNO-Konvention bei, erklärten Hanf zu einem 'nicht export- oder importfähigen Handelsartikel' und kümmerten sich nicht weiter darum." (S.70)"

"Vielen Anhängern dieses 'Macumba-Kults' aber paßte irgendwann ihr Sklavendasein nicht mehr. Sie schlugen sich in die Urwälder und überfielen in Rudeln die Plantagen. Um 1820 häuften sich die Horror-Berichte über liebe weiße Sklavenhändler, denen von diesen undankbaren Schwarzen die Bäuche aufgeschlitzt wurden. Also erließ 1823 die Deputierkammer in Rio das erste Cannabisverbot in der Geschichte der Neuen Welt." (S.119)

"Erst um 1900 wurde der Hanf allmählich durch einen anderen Wunderstoff verdrängt, den die Firma Bayer herstellte und von dem sie garantierte, daß er auf keinen Fall abhängig mache. Dieser Stoff hieß Heroin, aber das ist eine andere Geschichte." (S.170)

"Schon 1946 hatte er (Anslinger) erkannt: Wenn Weiße in den USA mit Marihuana zu tun hatten, handelte es sich ausnahmslos um liberale, also verwerfliche Charaktere, meistens auch um kommunistenfreundliche. Dabei hatte der Daily Worker als Organ der US_KP schon 1940 einen Bannstrahl gegen die Pflanze gedruckt, der vom Bureau verfßt sein hätte können." (S.241)

"Das Bureau hatte die Drogenpolitik der UNO seit deren Gründung praktisch allein bestimmt ... auch in Fragen der praktischen Drogenpolitik gaben die USA den Ton an. Es war eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit, daß die in der NATO versammelten Satellitenstaaten jeden Schritt des Bureau nachvollzogen und die BRD als Musterschüler gleich doppelt." (S.246)

"Anslinger selbst sagte ganz offen in einem Interview, was er mit dieser Vereinbarung (Single Convention) bezweckte: "Wer nun noch in den USA Marihuana legalisieren will, verstößt gegen internationale Übereinkommen. Nun kann mir niemand mehr innenpolitisch kommen. Außerdem haben wir weltweit unseren Standpunkt durchsetzen können, was eine Bestätigung des Ansehens der USA ist" Auf die Frage, ob das Marihuana-Verbot also vorwiegend eine politische Demonstration der Vorherrschaft der USA sei, sagte er: 'Sicherlich'" (S.247)

""Sicherlich ist Marihuana eher harmlos", sagte Anslinger in den frühen Siebzigern und vergaß damit, wie seine Karriere begonnen hatte. "Aber die Sache war ein Beispiel dafür, daß ein Verbot die Autorität des Staates stärkt."" (S.249)

 

die Gegenbewegung und Subkultur

 

Als sich die Sache ausbreitete ...

Zuerst waren die Jugendlichen nur offen, aber sie waren bürgerlich und glaubten an den Krieg. Und dann rauchten sie Gras und alles schien ihnen etwas sonderbar. Die Bullen waren hinter ihnen her, und sie begannen, alles zu überdenken; sie reevaluierten den Krieg und den Kapitalismus, und ich glaube, daß dies eine universelle Erfahrung war. (Allen Ginsberg, 1978)

Am 16. August 1964 beschloß in New York eine exquisite Runde Beatniks, für ihr heimliches Vergnügen einmal in die Öffentlichkeit zu gehen, und schon einige Wochen später mußten Polizisten von einer ganzen Reihe feiner Häuser Flugblätter ablösen, die dort heimlich angepappt waren und ganz unverschämt für die "Grüne Göttin" warben. Unterschrift: LeMar - Legalize Marihuana. Das FBI nahm sich natürlich sofort der Sache an, wurde aber auch nicht fündig, da der Verein weder eingetragen war, noch sich sonst artikuliert hatte.

Das Rätsel wurde erst am 11. Februar 1965 gelöst. Da bewegte sich ein Zug von zunächst zwanzig verdächtigen Gestalten durch die winterlichen Straßen New Yorks, der bald Zulauf erhielt und nach polizeilicher Schätzung schließlich auf 160 anwuchs. In der Hand trugen einige Kartons von eher schüchterner Größe und mit Inschriften wie: "Raucht Pot! Es kommt billiger als Schnaps." Oder: "Pot macht Spaß!" Natürlich war auch Allen Ginsberg dabei, und sein Foto ging durch die Zeitungen und hing bald als Poster in zahllosen Hippie-Wohnungen. Die Demonstration zog vom Untersuchungsgefängnis für Männer zu dem von Frauen, pilgerte einmal um den als Dealertreff berühmten Times Square und löste sich dann auf. Noch in der selben Nacht wurden die Wohnungen von 21 Teilnehmern polizeilich durchsucht, aber leider wurde dabei nicht einmal eine Jointkippe gefunden.

Diese kleine Demonstration wurde die Geburtsstunde einer Reihe von Organisationen, die sich allesamt für die Abschaffung von Anslingers Lebenswerk einsetzen und bald alle Farben der Hippie-Bewegung spiegelten. Das provozierte natürlich behördliche Überreaktionen, die einschüchternd gemein waren, aber das Gegenteil bewirkten. Der bekannteste Märtyrer der Hippie-Zeit ist zweifellos Timothy Leary, der als Universitätsdozent mit LSD experimentierte und mit "Drop out" den Slogan der Jahre formuliert hatte. Am 23. Dezember 1965 wurde er verhaftet, nachdem eine Hausdurchsuchung in seiner Gemeinde 0,99g Marihuana zutage gefördert hatte. Am 11. März 1966 wurde er dann schließlich wegen Besitzes von drei Unzen Marihuana zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt. Ebenfalls dreißig Jahre faßte am 26. August 1968 Lee Otis Johnson, der Organisator des Cannabis-Legalisierungs-Komitees in Houston, Texas, weil er während einer geselligen Runde seinen Joint irrtümlich an einen Fahnder des Bureau of Narcotics weitergereicht hatte. Immerhin war die Unruhe über seinen Fall so groß, daß diese dreißig Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Es gab auch Überläufer. Am bekanntesten wurde der Rauschgiftfahnder Richard Burgess aus San Francisco, der im Dienst sein Herz für die Hippies entdeckt hatte und bald nur noch Sergant Sunshine hieß. Am 14. April 1968 faßte er Mut und einen Joint, zog vor das höchste Gericht seiner Stadt, zündete die Sache an und ließ sich nach ein paar tiefen Zügen verhaften. Ich habe ihn 1976 in Kathmandu kennengelernt, und er trug ein Foto seines Heldenauftritts in seinem Paß.

 

In Momorian:

Die Jungen werfen zum Spaß
Mit Steinen nach Fröschen,
Die Frösche sterben im ernst.

Um uns in Zukunft besser
wehren zu können
Um unsere Treffpunkte zu erhalten
Und überhaupt um uns besser
kennenzulernen ...

... treffen wir uns am Samstag,
dem 5. Juli 1969 zum
Ersten Westberliner Smoke-In
Im Tiergarten, hinterm Zoo.
Mitbringen: Instrumente, Stoff,
Schallplatten, Decken,
Plattenspieler mit
Batterie, Tap-Recorder und was
sonst noch Spaß macht.

Zentralrat der umherschweifenden
Haschrebellen

Nur wir selbst machen uns frei
und juchhigh!

Mit anarchistischen Grüßen:

Wir demonstrieren unsere
Solidarität mit unseren
eingekerkerten Freunden!

Es lebe die Superkultur!

Video vom ersten Smoke In
im Tiergarten am 5. Juli 1969

Überhaupt: 1968. Die lange Hetze der deutschen Zeitungen, angeführt von der Springer-Presse, gegen den SDS und überhaupt alle Studenten und Langhaarigen ließ einen jungen Rechtsradikalen zur Tat schreiten. Die drei Schüsse auf Rudi Dutschke lösten die "Oster-Unruhen" aus, durch die zwar der Vertrieb der Springer-Zeitungen nicht sonderlich blockiert, jedoch tausende Junge wegen Landfriedensbruch kriminalisiert wurden. Nach diesem 11. April begann auch in den Kiffer-Kneipen die Diskussion über Dope und Revolution. Das bemerkenswerteste Randergebnis waren die "umerschweifenden Hasch-Rebellen", eine herzlich undogmatische Gegenposition zu den ideologisch getrimmten Intelligenzlinken mit dem damals üblichen "Arbeiterfetischismus". Gegründet wurde der heitere und stets chaotische Haufen von Georg von Rauch, Thomas Weisbecker und "Bommi" Baumann, und Georg lieferte das Motto: "High sein, frei sein, Terror muß dabei sein." Mit Terror hatten die Aktionen dieser Sponti-Vorläufer eigentlich wenig zu tun, doch schon der Wahlspruch ließ Behörden und Öffentlichkeit hysterisch reagieren. Mit tödlichen Folgen: Am 4. Dezember 1971 wurde der unbewaffnete Georg von Rauch bei einer Fahndungsaktion in Berlin erschossen, "in Putativnotwehr" angeblich und nachdem er einen Tag zuvor irrtümlich auf die Fahndungsliste der RAF gelangt war. Einige Wochen später wurde in Augsburg Thomas Weisbecker unter ähnlichen Umständen durch einen Schuß in den Rücken getötet.

Sehr viel amerikanischer und glücklicherweise nicht so tödlich deutsch entwickelte sich jenseits des Atlantiks die Kombination von Hanf und revolutionärem Kampf, deren Anhänger sich Yippies nannten und ein gefährlicheres Emblem trugen, als sie in Wirklichkeit waren. Mit einem lebenden Schweinchen und bunter Kriegsbemalung versuchten sie im August, den Parteitag der DemocRats zu sprengen, was diesem Haufen einen spektakulären Prozeß wegen Verschwörung einbrachte. Der schon ziemlich greise Bundesrichter Hoffman sorgte dann für weltweite Solidarität, als er beispielsweise den Black Panther Bobby Seale an einen Stuhl binden ließ, den Mund mit Leukoplast verklebt. Bekannter als dieses Opfer der Rechtspflege wurde allerdings der Mitangeklagte Jerry Rubin, dessen 'Do it' eine Weile Pflichtlektüre auch der deutschen Linken wurde, und der seiner oft originellen Provokationen wegen zu sämtlichen TV-Talk-Shows der USA eingeladen war.

Ebenfalls 1968 waren auch die Tage des Bureau of Narcotics gezählt. Die Hanfjäger wurden allerdings nicht in die ewigen Jagdgründe geschickt, sondern wechselten vom Finanz- zum Justizministerium über, wo sie mit dem dort vorhandenen Apparat der Drogenkontrolle zum Bureau of Narcotics und Dangerous Drugs vereint wurden.

Die erste Aktion des neuen Unternehmens wurde allerdings ein herzlich belachter Mißerfolg, obwohl die Sache so schön inszeniert war: Am 15. Oktober wurde in einer gemeinsamen Aktion von Bureau und FBI nach "einem der gefährlichsten Verbrecher der USA" gefahndet, mediengerecht auch im Fernsehen, obwohl von dem Gesuchten kein Foto vorhanden war. Auch ob sein Name wirklich "Johnny Pot" lautete, stand nicht fest. Erwiesen war nur sein Verbrechen: Der Gute hatte nach Art des märchenhaften John Appleseed überall im Land an Wegrändern und auf verlassenen Farmen die Blumen des Bösen gesät.

Im selben Monat war auch mit 'Marihuana Review' die erste Zeitschrift der neuen Bewegung erschienen.

Bekanntlich endete das turbulente Jahrzehnt weltweit bunt und in der BRD euphorisch. Das Blut von Vietnam, die schwarzen Fahnen der heißen Sommer in den schwarzen Slums, über denen Rauchwolken standen, die grünen Bändchen der "Love & Peace"-Freaks und die gelben der amerikanischen Soldatenmütter wurden durch die Medien um die Welt getragen. In der BRD entstand eine Aufbruchsstimmung, die unter dem Motto "Mehr Demokratie wagen" in Bonn 1969 sie sozialdemokratisch-liberale Koalition installierte. Zu den ersten Versprechen der neuen Regierung gehörte, das Opiumgesetz aus dem Jahr 1929 "entsprechend den Zielen der neuen Politik" zu reformieren. Wie in solchen Fällen üblich, wurde die Angelegenheit den dafür zuständigen Bürokraten übertragen, die schon seit Adenauers Zeiten und gelegentlich länger die entsprechenden Schreibtische hüteten.

Die wirklich mehr Demokratie wagen wollten und sich dafür sogar zum Marsch durch die Institutionen aufgemacht hatten, bekamen ihre kalte Dusche schon früher. 1971 beschlossen die Zuständigen von Bund und Ländern ihren berühmten "Extremistenerlaß", der zu einer seit der Gestapo Zeit nie dagewesener Bespitzelung und Beschnüffelung führte, Tausende Existenzen zerstörte und das Wort "Berufsverbot" weltweit bekannt machte. 1972 folgte das damals neue Betäubungsmittelgesetz. (S. 254-259)

Hans Georg Behr

    von Hanf ist die Rede
    Kultur und Politik einer Pflanze

    Zweitausendeins
    ISBN 3-86150-093-0

die ersten smoke-in's
von den Haschrebellen zur Hanfparade