Werdet wild und tut schöne Sachen

"Wir werden aus dem Schatten auftauchen, zuschlagen, und dann wieder untertauchen."
(Haschrebellen, 1969)

Von der Wielandkommune zu den Haschrebellen

Drei Amerikaner fliegen um den Mond und sehen die Erde
als kleine blaue Murmel. Nach drei Wahlgängen wird mit
Gustav Heinemann erstmals ein Sozialdemokrat Bundespräsident.
Drei Tage ist der Februar alt, da wird Jassir Arafat,
Chef der Al Fatah, vom Palästinensischen Volkskongress zum
Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation
(PLO) gewählt. Drei Tore mehr als Ajax Amsterdam schiesst
der AC Mailand und darf sich fortan Europacup-Sieger nennen.
Drei mal hundert US-Piloten befinden sich nach amerikanischen
Angaben in nordvietnamesischer Gefangenschaft, als der neue
amerikanische Präsident Richard Nixon den Abzug von 25.000
Soldaten aus Vietnam bekannt gibt.

Zurück in München, das Jahr eins nach 1968 hat inzwischen begonnen, gründen Irmgard Möller und Fritz Teufel zusammen mit Rosemarie Heinikel, einer der schillernsten Figuren der damaligen Hippie- und aufkommenden Pornoszene, dem gemeinsamen Bekannten Heinz Georg "Jimmy" Vogler und zwei weiteren Freunden die Kommune "Wacker Einstein" - benannt nach einem Berliner Fussballclub und der Wohnungsadresse in der Einsteinstrasse 151, 4. Stock. Man wirft das Geld in einen Topf, unternimmt viel gemeinsam und führt zusammen auch politische Aktionen durch; sprengt etwa eine als verlogen empfundene Feier gegen den Nationalsozialismus an der Münchener Universität. Enge Kontakte gibt es zu einer befreundeten Kommune in der Metzstrasse 15, die sich um das Studentenpaar Rolf Heissler und Birgit Monhaupt, beide immatrikuliert an der Philosophischen Fakultät der Münchener Universität, gebildet hat.

Anfang 1969 wird es ruhiger um Fritz Teufel; nur einmal macht er noch Schlagzeilen. Im Frühjahr wirft er im Landfriedensbruch-Verfahren gegen den Münchener Rechtsreferendar Rolf Pohle in Zusammenhang mit den Oster-Demonstrationen vor der Münchener Bild-Druckerei dem Staatsanwalt Dieter Emmerich ein Gesetzbuch an den Kopf. Emmerich hatte zuvor eine dreitägige Ordnungshaft gegen Teufel beantragt, weil dieser den Richter aufgefordert hatte, sein "Maul" zu halten. Teufel wird von mehreren Polizisten umringt und aus dem Saal geführt.

Ruhiger wird es auch um die APO. Glaubten viele im Frühsommer 1968 an der Schwelle zur Revolution zu stehen, müssen Anfang 1969 die politischen Niederlagen des Jahres 1968 verdaut und Wunden geleckt werden. Die Notstandsgesetze sind verabschiedet, die Pariser Revolte niedergeschlagen, der Prager Frühling von Panzern überrollt, Rudi Dutschke von der politischen Bühne geschossen und die Geschäfte des Verlegers Axel Cäsar Springer laufen gut wie eh und je. Immer klarer wird, dass grundlegende politische Wandlungen nicht im Schnellverfahren zu haben sind. Doch für eine langfristige, grundlegende Umwälzung der Verhältnisse fehlt jede Strategie.

Im SDS brechen Konflikte und Fraktionskämpfe aus: Wie soll sich die Bewegung in Zukunft organisieren und wie halten wir es mit der Gewalt: das sind die Fragen, die jede Menge Sprengstoff in sich bergen. Für weite Teile der APO gehören provokative und illegale Aktionen ausserhalb der Gefährdung von Menschenleben inzwischen zum selbstverständlichen Aktionsrepertoire, da erst sie die Bewegung überhaupt ins öffentliche Bewusstsein bringen würden. Dabei reicht das Spektrum der "Provokationen", von der bewussten Nichtbeachtung von Demonstrationsauflagen bis hin zur konkreten Planung von Bombenanschlägen.

Welche Aktionen bereits seit 1968 selbst innerhalb des antiautoritären SDS-Flügels diskutiert wurden, laesst sich beispielhaft an Rudi Dutschke illustrieren. Der im Exil lebende iranische Publizist Bahaman Nirumand berichtet in seinem 1989 erschienen Buch "Mein Leben mit den Deutschen" von einer Reise mit Rudi Dutschke nach Frankfurt, im Gepaeck eine von Peter Urbach beschaffene Bombe, mit der der Antennenmast des amerikanischen Soldatensenders AFN in die Luft gesprengt werden soll: "Mit dieser Aktion wollten wir unseren Protest gegen den Vietnamkrieg demonstrieren. Dabei hätte es einen geringen Sachschaden gegeben: den Sturz eines Antennenmastes, wir hielten das für gerechtfertigt." Die Aktion scheiterte, weil Dutschke auf dem Frankfurter Flughafen von der Polizei verhaftet wurde, da sie befürchtete, er wolle auf einer zur selben Zeit stattfindenden Demonstration in der Innenstadt auftreten. Den Sprengsatz jedoch entdeckten die Beamten nicht; Dutschke soll ihn Urbach später zurückgegeben haben.

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Im Hintergrund stand dabei nicht die Ideologie der Rote-Armee-Fraktion, sondern, wie es damals formuliert wurde: Gewalt gegen Sachen, aber nicht gegen Personen.

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Neben den vielen K-Gruppen, die das Erbe des eher traditionalistischen Flügels des SDS antreten, entwickelten sich auch lockere, aktions- oder projektorientierte Zusammenschlüsse: Betriebsbasisgruppen, antiautoritäre Kinderläden und Landkommunen schiessen wie Pilze aus dem Boden. Es gründen sich aber auch kleine Zirkel, die zum Ziel haben, die erste Keimzelle für eine Stadtguerilla zu schaffen. Eine davon ist die in der Charlottenburger Wielandstrasse beheimatete "Wielandkommune", in der zehn bis zwanzig Leute, darunter auch mehrere Kinder, in acht Zimmern leben und sich hauptsächlich von Raubdrucken und Ladendiebstählen ernähren. In der eng mit der Kommune 1 verbundenen Wohngemeinschaft um den Kieler Prefessorensohn Georg von Rauch wird eifrig darüber diskutiert, wie eine Guerilla aufgebaut werden kann. Schriften wie Robert Williams "Stadtguerilla", Regis Debrays "Revolution in der Revolution", oder Che Guevaras "Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam" dienen als theoretischer Hintergrund. Man sieht sich als verlängerter Arm der Befreiungsbewegungen in der "Dritten Welt", deren Aufgabe es sei, in den Metropolen, im Herzen der kapitalistischen Bestie, den Kampf aufzunehmen. Aus der Theorie wird schnell Praxis. Im Winter 68/69 fahren Georg von Rauch und der zur Wielandkommune gestossene Bommi Baumann im Auftrag des SDS nach Italien, um Waffen für die in Westberlin organisierten Widerstandsgruppen gegen die griechische Militärdiktatur zu besorgen. Verleger Feltrinelli stellt den Kontakt zu den Roten Brigaden her. Kurz darauf wird in der Wielandkommune ein Anschlag auf den neuen US-amerikanischen Präsidenten geplant, der Ende Februar seinen Antrittsbesuch in Westberlin macht. An der Fahrtroute des Regierungschefs deponierte Baumann einen Sprengsatz, gross genug, um Nixon einen kräftigen Schrecken einzujagen, zu klein, um ihn wirklich zu verletzen. Die Bombe stammt vom Verfassungsschutzspitzel Peter Urbach, ein gebrochenes Zündkabel verhindert ihre Detonation. Doch aus dem Mehl und den Rauchkerzen der Kommunarden ist nun scharfe Munition geworden.

Aus der Wielandkommune und der Kommune Nimrodstraße in Berlin-Tegel heraus entwickelt sich Mitte 1969 der "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen". Den Namen, eine ironische Anspielung auf die zahlreichen neuen Parteigründungen mit hochtrabenden Namen, steuert Kunzelmann bei. Hauptangriffspunkt dieser Gruppe um Ronald Fritsch, Georg von Rauch, Ralf Reinders, Thomas Weisbecker, Bernhard Braun und den Kommune-1-erfahrenen Bommie Baumann ist die restriktive Drogenpolitik des Berliner Senats, die permanenten in bestimmten Szene-Treffs zur Folge hat. Die Gruppe will das Recht auf freien Rausch durchsetzen und veranstaltet Gegenaktionen wie ein öffentliches "Smoke-in" im Berliner Tiergarten, bei dem 400 Personen unter den Augen der tatenlos zusehenden Polizei "Dope" rauchen. Und nochwas unterscheidet die Haschrebellen vom SDS und der Kommune 1: Die meisten von ihnen haben keinen akademischen Hintergrund, kommen aus kinderreichen Arbeiterfamilien und haben sich eher in der Gammler-Bewegung herumgetrieben als auf sozialistischen Schulungsseminaren. In der Folge der Razzien in den einschlägig bekannten Clubs kommt es zu regelrechten Strassenschlachten mit den kontrollierenden Einsatzkräften. Die Diktion der in der neugegründeten linksradikalen Berliner Untergrundzeitschrift 883 veröffentlichten Flugblätter wird immer martialischer:

"Es ist Zeit zu zerstören!

In Berlin besteht seit einiger Zeit der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen.

Die Haschrebellen haben dem Polizei- und Dezernatsterror den aktiven Kampf angesagt ...

Die Haschrebellen sind der militante Kern der Berliner Subkultur.

Sie kämpfen für eine eigene freie Entscheidung über Körper und Lebensform.

Schliesst euch diesem Kampf an.

Bildet militante Kader auf den Dörfern und den Metropolen.

Nehmt Kontakt zu ähnlichen Gruppen auf.

Scheisst auf diese Gesellschaft der Halbgreise und Tabus.

Werdet wild und tut schöne Sachen.

Have a Joint.

Alles was ihr seht und es gefällt euch nicht, macht es kaputt!

Habt Mut zum kämpfen, habt Mut zu siegen."

Das Ebracher Knastcamp oder: Der Mob schlaegt zurueck

In der fraenkischen Kleinstadt Ebrach, nicht weit entfernt von Kunzelmanns Geburtsstadt Bamberg, befindet sich Ende der sechziger Jahre der groesste Jugendknast des Freistaats Bayern. Und an diesem wenig gastlichen Ort verbuesst im Fruehjahr 1969 der 22-jaehrige Student Reinhard Wetter eine achtmonatige Haftstrafe. Verurteilt wurde er wegen Verstosses gegen das Demonstrationsrecht bei einer Kundgebung gegen das griechische Regime. Dort soll er einen Stein auf das griechische Generalkonsulat geworfen haben. Teufel und Wetter sind befreundet. Er "gehoerte mit mir und anderen zu einer umherschweifenden Kommune, die meist im Rudel auftrat", erinnert sich Teufel. "Ich habe damals versucht fuer Reinhard Solidaritaet zu organisieren." Gerade fuer Teufel, einer der ersten APO-Aktivisten, der mit dem Knast Bekanntschaft gemacht und die Kraft der Solidaritaet von ausserhalb der Mauern erfahren hat, ist die tatkraeftige Unterstuetzung der "Gefangenen" - ob sie nun Baader, Ensslin oder Wetter heissen - eine zentrale und selbstverstaendliche politische Aufgabe.

Die erste von Teufel mit vorbereitete Solidaritaetsaktion fuer Wetter findet im Mai in Ebrach statt. Sie bringt etwa 80 Studenten aus dem sueddeutschen Raum auf die Beine, die mit Bohlen und einem Rammbock das altersschwache Knasttor bestürmen, das ohnehin mehr der Zier als der Sicherheit dient. Steine und Blumentoepfe werden in den Anstaltshof gefeuert. Viele Ebracher reagieren auf das ungewoehnliche Spektakel mit deutlichen Worten. Das Fraenkische Tageblatt berichtet: "dass aus vieler Munde keine anderen Argumente als Rufe nach einem neuen Hitler, nach Arbeitslagern und nach 'Vergasung dieses Gesindels' zu hoeren waren." Die 80 von der Landespolizei zusammengezogenen Polizeibeamten halten sich zurueck, gegen Abend setzen sich die Gefaengnisstuermer wieder Richtung Heimat in Bewegung.

Kurz darauf laed Fritz Teufel die sich gerade in Aufloesung befindende Kommune 1 ein, Mitte Juli zu einem einwoechigen Knastcamp nach Ebrach zu kommen und dafuer in Berlin moeglichst viele Unterstuetzer zu mobilisieren. Die Organisation laeuft ueber die Kommune Wacker Einstein, die rote Hilfe und den Bamberger Politbuchladen "SMASH". "Wir hatten uns das wie ein riesiges Festival vorgestellt, wie ein politisches Klein-Woodstock", berichtet Teufel spaeter. Nahe dem Gefaengnis, einem umgebauten Kloster, soll ein Zeltlager errichtet werden und eine symbolische Gefaengnisbelagerung stattfinden. Die Kultband Amon Düül und Tangerine Dream sollen spielen. Eine Wiese ist von einem örtlichen Landwirt angemietet, der die Grünfläche gern zur Verfuegung stellt, wenn er "dadurch keine Schwierigkeiten" bekommt.

Doch die symbolische Gefaengniserstuermung vom Mai vor Augen, versucht der Landkreis das Camp im Ansatz zu verhindern. Der zustaendige Landrat erklaert, "alle rechtlichen Moeglichkeiten des Versammlungsgesetzes ausschoepfen" zu wollen, um "eine erneute Terrorisierung der Ebracher Einwohner zu verhindern". Er erlaesst eine Verordnung, die "wildes Zelten" im Kreis grundsaetzlich verbietet, und informiert den Wiesenverpaechter von der neuen Bestimmung.

"Stuermt das Gefaengnis! Mit dem Joint in der Hand Revolution auf dem Land!" stimmt ein Mobilisierungsflugblatt des Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen auf die Ebracher Knastfestspiele ein. Am 15. Juli treffen die Teilnehmer des Knastcamps ein: rund 120 bis 150 Mitglieder der antiautoritaeren Linken aus Muenchen, Berlin, Frankfurt und Bamberg. Aus Rom hat sich sogar eine Handvoll italienischer Genossen, die sogenannten Uccelli, auf den Weg gemacht, die ihre deutschen Gesinnungsgenossen unterstuetzen wollen, und bald von deren starkem Drogenkonsum und ihren oeffentlichen Liebesspielen hoechst irritiert sind.

In Ebrach treffen sich die Koepfe des militanten Fluegels der Szene - Jugendliche und junge Erwachsene, die bald im Gefaengnis, im Untergrund oder - erschossen von der Polizei - Maertyrer der Bewegung sein werden: Dieter Kunzelmann und seine Freundin Ina Siepmann, die Wieland-Kommunarden Thomas Weisbecker und Georg von Rauch, Brigitte Mohnhaupt, Rolf Pohle und Rolf Heißler aus der Muenchener Metzstrassen-Kommune, die Kaufhaus Brandstifter Gudrun Ensslin und Andreas Baader, seit Mitte Juni wegen des Revisionsantrags gegen ihren Urteilsspruch wieder auf freiem Fuss, Thorwald Prolls Schwester Astrid, Fritz Teufel, Irmgard Möller und Bernhard Vesper, Vater von Gudrun Ensslins Sohn Felix. Es wird ein gemeinsamer Abschied von der APO und voneinander. Das letzte Mal sind alle zusammen. Gekommen, um ueber die zunehmende staatliche Repression, die Moeglichkeiten des Widerstands dagegen und darueber hinausgehende Kampfperspektiven zu diskutieren.


Marco Carini - Fritz Teufel
Wenn's der Wahrheitsfindung dient

Konkret Literatur Verlag - ISBN: 3-89458-224-3