Am Donnerstag, den 27. Februar 1975 wird morgens gegen 9.00 Uhr der Dienstwagen des damaligen CDU-Landesvorstitzenden Peter Lorenz im Berliner Quermatenweg gestoppt. Die folgenden 51/2 Tage verbringt Peter Lorenz im Volksgefängnis der Bewegung 2. Juni. Im Austausch gegen Lorenz werden zwei inhaftierte Demonstranten freigelassen und fünf Gefangene verschiedener westdeutscher Guerilla-Gruppen in die Volksrepublik Jemen ausgeflogen. Zwanzig Jahre danach veröffentlichte die Berliner Tageszeitung junge Welt eine Serie, in der zwei der Beteiligten den Ablauf der Aktion schildern. Die Lorenz-Entführung war sowas wie ein Meilenstein in der Geschichte der linksradikalen Militanten in der BRD. Die erste und einzige Entführung eines Politikers, die die Freiheit von gefangenen GenossInnen ermöglichte.
Frage: Eine Woche nach der Entführung stand im Spiegel Der Donnerstag letzter Woche sollte für Lorenz ein kurzer Tag werden; erstmals seit Wochen wollte er am Abend früh zuhause sein. Um 8.52 Uhr ließ sich der Spitzenkandidat (der CDU) von seiner Frau Marianne (Die Schwäne sind da, jetzt wird's Frühling) in Zehlendorf verabschieden, sagte noch bis heute abend- und rollt in seinem schwarzen Dienstmercedes, gesteuert vom Fahrer Werner Sowa, zwischen Grunewald und Einfamilienhäusern davon in einen langen Tag. Gesehen wurde Lorenz erst wieder gut 24 Stunden später auf einem frischen Polaroidfoto, acht mal acht Zentimeter, ohne Brille, vor sich ein Pappschild mit der Aufschrift
Gefangener-. Die, die ihn knipsten und das Bild dpa schickten, hatten ihn am Donnerstag (den 27.2.1975) um 8.55 Uhr gekidnappt, rund 1 500 m entfernt von seiner Villa, nachdem sein Mercedes von einem Viertonner blockiert und von einem Fiat gerammt und Fahrer Sowa mit einem Besenstiel niedergeschlagen worden war. War es so?
Reinders/Fritzsch
Fast. Bis auf den Besenstiel. Der Besen war nur Tarnung. Eigentlich war es ein Eisenrohr, das mit Isolierband umwickelt war. Und was der Spiegel nicht wissen konnte, war, was für Probleme wir hatten Auf der einen Seite des Quermatenwegs ist Wald, auf der anderen Seite stehen lauter Villen. Und der, der den Fahrer niedergeschlagen hat, hat auf der anderen Seite am Wald gestanden und dort den Wald gefegt. Und weil Peter Lorenz an dem Tag eine Stunde Verspätung hatte, hat der eine Stunde lang den Wald gefegt und das ist niemandem aufgefallen.
Wie lang hattet ihr Lorenz gefangen gehalten?
Fünf Tage.
Was waren eure Forderungen?
Eine Forderung war, die Demonstranten, die wegen der Holger Meins-Demo1 noch saßen, freizulassen. Dann sollten sechs Gefangene ausgeflogen werden
Gabi Kröcher-Tiedemann, Rolf Heißler, Rolf Pohle, Ina Siepmann, Verena Becker und Horst Mahler.
Die Aktion müßt Ihr doch ziemlich gut geplant haben, wann habt Ihr denn mit den Vorbereitungen angefangen?
Eigentlich hatten wir vor, erstmal viel Geld zu besorgen, weil wir ziemlich blank waren. Die Banküberfälle, die wir vorher gemacht hatten, haben zwar Geld gebracht. Das hat aber immer nur für ein paar Monate gereicht, weil wir zusätzlich legale Sachen finanziert haben wie Zeitschriften oder Radiosender. Also haben wir gedacht, das Problem lösen wir grundsätzlich, indem wir uns irgendeinen Geldsack in Berlin schnappen. Damit wollten wir gleichzeitig die ganze Gruppe für die spätere Befreiungsaktion einüben.
Wir haben uns über ein paar Berliner Geldsäcke informiert. Schließlich haben wir jemand gefunden. Wir gaben ihm den Decknamen Sergeant-. In Anlehnung an die LP der Beatles Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band-, denn der hieß eigentlich Pepper. Der Pepper war Mitbesitzer des Europacenters. Nach allem, was wir an Informationen hatten, dürfte der so um die sechs Millionen schwer gewesen sein, das heißt, der hätte so eine Summe flüssig machen können. Der hatte überall in Berliner Bausachen seine Finger drin.
Für so eine Aktion brauchten wir einen grossen Keller oder zwei Wohnungen
übereinander. Der Entführte sollte bei uns gute Haftbedingungen haben. Wir wollten nicht die Geschichten, wie sie aus Mafiasachen bekannt sind, daß die Entführten dann in engen Kisten sitzen mußten und nachher schwere körperliche Schäden hatten. Schließlich haben wir dann einen Laden in der Schenckendorfstraße 7 gefunden.
Als wir den entdeckt haben, waren wir zum ersten Mal alle einer Meinung: Den wollen wir mieten; trotz des CDU-Büros gegenüber und der Friesenwache um die Ecke.
Dann haben wir allmählich weitere Vorbereitungen für Peppers Entführung getroffen. Wir wollten, daß die Bullen nicht auf uns kommen, sondern an normale Kriminelle denken. Sie sollten nicht vorzeitig wissen, daß wir zu so einer Aktion in der Lage sind. Deswegen mußten wir die dazu notwendigen Autos anders als sonst besorgen2.
Du konntest damals bei jeder Post in Berlin warten: Die Autofahrer stiegen aus und ließen den Motor laufen. Wir haben uns eine Post ausgesucht, in deren Nähe wir auch Garagen hatten. Wir wußten, daß die Autofahrer ungefähr dreißig Meter bis zum ersten Briefkasten laufen müssen. Dann kam auch einer, ist ausgestiegen, hat den Motor laufen lassen, und wir haben uns den Wagen geschnappt. So hatten wir schon mal den Wagen, ohne eine konkrete Spur zu hinterlassen.
Für die Geldübergabe sollte der Wagen zu einer Taxe umgebaut werden, mit runterklappbarem Rücksitz zum Kofferraum. Einer von uns, so war geplant, sollte die Taxe fahren, in der ein zweiter hinten im Kofferraum liegen würde, um den Geldkoffer gegen einen identischen auszutauschen. So wäre für die Bullen, die hinterher fahren, zwar sichtbar, daß der Typ mit der Taxe rumfährt, aber nicht, daß dort gleichzeitig die Geldübergabe stattfindet.
Außerdem haben wir angefangen, den Keller auszubauen. Alles, was wir an Zeugs brauchten, haben wir auf Baustellen zusammengeklaut. Wir wollten die Aktion Pepper so Anfang bis Mitte Dezember 1974 durchführen. Doch die Entwicklung des Hungerstreiks von Gefangenen aus der RAF und anderer verhinderte dies. Der Hungerstreik begann am 13. September 1974 und ging bis zum 5.2.75. Die Forderung des Hungerstreiks war, daß die Gefangenen in den Normalvollzug kommen, das heißt die Gleichstellung mit allen anderen Gefangenen.
Der Hungerstreik war zunächst nicht das Problem, weil wir dachten, der wird wie die ersten zwei höchstens so drei, vier Wochen dauern. Aber das haben wir total unterschätzt. Zu der Zeit liefen aus der ganzen legalen Ecke viele Aktivitäten zum Hungerstreik. An vielen legalen und weniger legalen Unterstützungsaktionen haben wir uns beteiligt, so daß nicht mehr viel Zeit blieb, um größere Aktionen vorzubereiten. Mit dem Tod von Holger Meins am 9.11.74 und der Erschießung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann am darauffolgenden Tag war erstmal kein Spielraum mehr für die Entführung von Pepper. Die Aktion gegen Drenkmann war eine direkte Reaktion der Bewegung 2. Juni auf Holgers Tod.
Eigentlich war die Pepper-Aktion für die Weihnachtszeit geplant, um die Weihnachtstimmung auszunutzen. Durch die Fahndung nach der Drenkmann-Erschießung ist uns klargeworden, daß wir uns zur Absicherung der Lorenz-Entführung noch anders vorbereiten müssen, und daß wir beide Aktionen auch zeitlich nicht mehr schaffen würden. Der Termin für Lorenz stand schon wegen der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 2. März 1975 fest. Also ließen wir Peppers Entführung ausfallen, was allerdings starke finanzielle Probleme mit sich brachte.
Was war die Absicht der Lorenz-Entführung?
Gefangene rauszukriegen und das Stimmungstief, das damals herrschte, zu heben. Der Hungerstreik mit dem Tod von Holger hat damals ziemlich reingehauen. Es gab zwar eine große Mobilisierung, aber psychisch waren viele ganz schön down. Wir wollten auch zeigen, daß es möglich ist, der scheinbaren Allmacht des Staates etwas entgegenzusetzen. Für uns war das später im Knast einer der Hauptdiskussionspunkte, ob die Lorenz-Entführung nicht ein Fehler war, weil wir hinterher den Eindruck hatten, daß ab diesem Zeitpunkt alle nur noch daraufhinarbeiteten, Gefangene rauszuholen, daß die Gefangenen mit einem Mal total im Mittelpunkt standen und ansonsten politisch nichts mehr weiterging.
Wir wollten, daß es ein Erfolg wird. Wir hätten die Geschichte nicht gemacht, ohne zu glauben, daß wir auch eine realistische Chance auf einen Austausch hatten. Anders als bei der späteren Botschaftsbesetzung in Stockholm im April 1975, wo das RAF-Kommando Holger Meins 26 Gefangene auf der Liste hatte, sind wir davon ausgegangen, daß der Staat sich niemals darauf einlassen würde, so viele rauszulassen. Wir haben angenommen, daß
eine Freilassung von mehr als sechs oder sieben Gefangenen nicht durchsetzbar wäre. Das wurde uns sogar hinterher vorgeworfen
Wir seien kompromißlerisch, weil wir nicht das Unmögliche gefordert hatten.
Es gab eine lange Diskussion darum, wen wir auf die Liste setzen. Die Grundüberlegung war: Wir wollten von allen Fraktionen möglichst jemanden drauf haben. Dabei hatten wir auch an Ulrike Meinhof gedacht. In Stammheim saßen neben Ulrike auch Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin. Wir hatten uns schon vorher überlegt, daß sie nicht alle vier rauslassen würden. Aber dann hatten wir das Problem, daß die Stammheimer Gefangenen gesagt haben, sie wollen bestimmen, wer auf die Liste kommt.
Ihr habt in Stammheim angefragt?
Ja, aber wir mußten natürlich sehr undeutlich bleiben. Also verstanden hatten sie's schon. Als Antwort kam
Wir wissen von einem Dutzend Befreiungsaktionen, aber der Berliner Sumpf ist mit Sicherheit nicht dabei.
Und zwei, drei Wochen später haben sie es dann nochmal diskutiert und meinten, wir sollten ihnen in den Knast schreiben und erzählen, was wir vorhaben. Da haben wir uns natürlich an den Kopf gefaßt. Und von mehreren RAF-Frauen, aber auch von Ina Siepmann, die von uns war und die damals alle in der Berliner Frauenhaftanstalt Lehrter Straße saßen, kam dann
Alle oder keine.
Die Überlegung von uns, die Diskussion mit den RAF Gefangenen abzubrechen und keinen von ihnen auf die Liste zu nehmen, geschah natürlich auch in Kenntnis dessen, daß die RAF selbst eine Befreiungsaktion vorbereitete. Wilfried Böse3 von den Revolutionären Zellen (RZ) war damals in Berlin und versuchte seinerseits, eine kombinierte Operation von 2. Juni, RAF und RZ anzuleiern. Wir wußten nicht, daß es sich um Stockholm handeln würde. Das lief alles kurz vor der Lorenz-Aktion.
Die Aktion war schon weitgehend vorbereitet, und die wollten dazu zwei bis drei Leute von uns, die sich daran beteiligen sollten. Das haben wir abgelehnt. Erstens wegen der Herangehensweise und zweitens wegen der Aktionsform. Sie wollten eine Aktion in der Luft und eine am Boden machen. Das hieß: Flugzeugentführung und Botschaftsbesetzung. Und da haben wir gesagt, das machen wir grundsätzlich nicht!
Warum wolltet ihr das nicht?
Flugzeugentführungen gab es damals vor allem von palästinensischen Gruppen. Wir hatten darüber diskutiert und meinten, daß die damit auf ihre besondere Situation aufmerksam machen wollen und wir uns damals nicht anmassen wollten, deren Aktionen zu beurteilen. Wir aber haben aus unserem Selbstverständnis heraus Geiselnahmen von unbeteiligten Dritten abgelehnt und für konterrevolutionär gehalten. Wir greifen nicht die Leute an, die wir agitieren wollen. Und bei einer Botschaftsbesetzung, das kam noch hinzu, weiß der Feind auch noch, wo du bist, kann dich einkreisen und läßt dich nicht mehr gehen.
Zurück zu eurer Aktion.
Am Anfang hatten wir überlegt, nur Gefangene zu befreien, die in Berlin einsaßen. Wir wußten nicht, welche Stelle im Staatsapparat es sein wird, die die Entscheidung letztendlich fällt. Später stellte sich heraus, daß es beim Großen Krisenstab in Bonn zwei Linien gab. Das war die Strauß/Kohl-Linie, die zum Austausch bereit war, und die Schmidt/Wehner-Linie, die gesagt hat
Machen wir nicht, harte Linie.
Darauf hat dann der Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Schütz, gesagt, falls sich die Bundesregierung quer stellt, bietet er eine lokale Lösung in Berlin an, weil er die Geschäftsbedingungen mit uns aufrechterhalten will. Damit hat er sich beim Großen Krisenstab in Bonn dann durchgesetzt.
Was waren das für verschiedene Fraktionen, aus denen die Gefangenen kamen?
Bevor wir uns Bewegung 2. Juni genannt haben, hatten wir Aktionen unter verschiedenen Namen gemacht. Wir zum Beispiel hatten uns vorher Tupamaros Westberlin genannt. Die GenossInnen in München nannten sich Tupamaros München und die im Ruhrgebiet Rote Ruhrarmee. Rolf Heißler kam von den Tupamaros München und hat sich im Knast politisch der RAF angenähert. Aber das Wesentliche, weshalb er auf die Liste mit drauf sollte, war, daß er zu der Zeit der isolierteste Gefangene in der BRD war. Die Bayern haben den total isoliert. Er hatte acht Jahre wegen Banküberfalls. Rolf Pohle war auch von den Tupamaros München. Er hatte wegen Waffenbeschaffung und anderer Kleinigkeiten wie fälschliches Führen eines akademischen Grades sechs Jahre Haft. Horst Mahler war Mitbegründer der RAF. Er war zu 12 Jahren wegen Mitgliedschaft in der RAF und Beteiligung an Banküberfällen verurteilt worden. Er orientierte sich mittlerweile an der maoistischen KPD/AO. Gabi Kröcher-Tiedemann kam von denen, die die Rote Ruhrarmee gemacht haben. Sie war wegen einer Schießerei mit den Bullen zu acht Jahren Knast verurteilt worden. Verena Becker und Ina Siepmann waren von uns. Ina war zu 13 Jahren wegen Banküberfall und Verena zu 7 Jahren wegen eines Bombenanschlags verurteilt.
Wieviele es sein sollten, hatten wir uns vorher genau überlegt. Mehr als fünf oder sechs freizubekommen, hielten wir für unrealistisch. Es sollten auch nicht sechs sein, die alle lebenslänglich haben. Das wäre ebenfalls schwierig geworden.
Hattet ihr nicht noch andere Leute vom 2. Juni gefragt, ob sie raus wollten?
Wir hatten noch bei Peter Paul Zahl angefragt. Er hatte gerade vier Jahre gekriegt und sagte, er wolle nicht, weil sich das nicht lohnt. Später hat er dann im Revisionsverfahren 15 Jahre bekommen. Der hat echt Pech gehabt.
Wir haben auch über Sigurd Debus4 diskutiert. Aber der einzige von uns, der ihn kannte, hat fürchterlich über den geschimpft, er wäre ein Stalinist und würde ohne Rücksicht auf andere seine Sachen durchziehen, was dann nach der Befreiung, dort unten ein Risiko für uns hätte sein können. Im Nachhinein haben wir es als Fehler erkannt, uns in Bezug auf Debus nur auf die Meinung eines Einzelnen verlassen zu haben.
Haben die Gefangenen, die dann ausgeflogen wurden, vorher signalisiert, daß sie damit einverstanden sind?
Wir sind nicht an alle rangekommen.
Wer von euch hat entschieden, wer auf die Liste kommt?
Das wurde mit allen an der Aktion unmittelbar Beteiligten gemeinsam diskutiert. Die endgültige Entscheidung, wer auf die Liste kommt, fiel erst, als Lorenz im Keller war und die Forderungen getippt wurden.
Wieviele haben das denn entschieden?
Naja, so ca. sechs bis fünfzehn Leute.
Erzählt doch mal über die Planung.
Daß wir Lorenz nehmen, war eigentlich von Anfang an klar. Nach Umfragen sah es so aus, daß Lorenz als Spitzenkandidat der CDU die Wahl gewinnen würde. Es gab die Überlegung, daß die regierende SPD den mutmaßlichen Wahlsieger nicht einfach über die Klinge springen lassen kann. Wir hatten aber auch mal kurz über Lummer diskutiert.
Das wäre auch reizvoll gewesen.
Es gibt aber Leute, die kannste einfach nicht wieder rauslassen. Außerdem wollten wir ja einen Erfolg. Der Lorenz galt bei vielen Leuten in der CDU als zu liberal. Lummer dagegen hatte zu der Zeit seine Freunde von der NPD dafür bezahlt, damit sie Juso-Parolen auf die CDU-Plakate malen. Lummers Glück war, daß er kein Spitzenkandidat war. Es wäre für ihn wohl ziemlich peinlich gewesen, wenn wir den bloß in einen Schuhkarton gepackt hätten, weil der ist ja nicht so groß. Dafür wäre er wesentlich leichter gewesen.
Wann ging's denn nun eigentlich richtig los?
Konkret wurde es dann zu Weihnachten 1974. Da haben sich alle, die an der Aktion teilnehmen sollten, zu einem Weihnachtsmeeting getroffen. Zuerst wurde ein Fisch gebraten und eine Gans in die Röhre geschoben. Dann haben wir uns hingesetzt und nochmal das Buch Wir, die Tupamaros5 gelesen, besonders diese eine Entführungsgeschichte. Das war so eine lustige Geschichte, daß bei dem Typen damals das Betäubungsmittel nicht angeschlagen hat, weil der Alkoholiker war. Die hatten den da vollgepumpt und der hörte nicht auf, immer mehr und mehr zu quatschen, der war richtig high. Nachdem wir Lorenz hatten, wußten wir, was die damit meinten.
Am nächsten Tag haben wir mit lauter kleinen Spielzeugautos den Plan durchgespielt. Das war die konstante Gruppe. Zu der Zeit schmiedeten wir die groben Umrisse des Ablaufs und legten teilweise die Personen für die Aktion fest.
Beinahe hätte sich die Gruppe dann gespalten. Das lag an zwei Leuten, die ziemlich viel Scheiße bauten und sehr eigenwillig waren. Einer hatte wieder mal irgendwas nicht gemacht, wozu er fest eingeteilt war. Der andere war mit der Knarre ins Jugendzentrum gegangen und hat dort den Breiten gemacht.
Und wie ging das dann weiter?
Naja, die beiden haben dann, ähm, Selbstkritik geübt. Wir hatten aber auch ein objektives Problem
Wir hatten nur noch acht Wochen Zeit. Es gab zwar genügend andere Leute, die wir hätten ansprechen können, aber die beiden waren ja nun schon in die Vorbereitungen eingeweiht und hatten Aufgaben übernommen.
Im Januar räumten wir dann alle Wohungen auf, weil wir damit rechneten, daß die Fahndung heftig würde. Viele Sachen haben wir versteckt, zum Beispiel die ganzen Waffen, die wir gerade nicht brauchten, haben wir verbuddelt. Später war es dann ziemlich schwierig, die wiederzufinden, weil Bäume wachsen ja mit der Zeit. Später im Knast haben wir mal so eine Anfrage gekriegt, wo wir was verbuddelt haben. Das erklär mal, wenn das irgendwo im Wald ist. Wir hatten früher selbst schon mal nach einem solchen alten Depot gesucht, das unser Schweizer Kollege, der Säuberli6, angelegt hatte. Da haben wir gebuddelt und waren so tief, daß wir schon aufgeben wollten. Aber wir sagten uns, das ist ein Schweizer, laßt uns weiter buddeln. Und tatsächlich, wir dachten schon, jetzt kommt das Grundwasser, da kam das Zeug endlich zum Vorschein. Der war halt sehr ordentlich, der Säuberli.
Nach Weihnachten haben wir die Wege von Lorenz ausgecheckt. Es war nicht einfach, in der Gegend, wo der wohnte, nicht aufzufallen. Der Ablauf war jeden Tag der gleiche: Sein Fahrer kam an und wartete kurz vor der Tür. Dann kam Lorenz heraus und setzte sich auf den Beifahrersitz. Das lief immer ab wie ein Uhrwerk. Nur ausgerechnet an dem Tag seiner Entführung hatte er eine Stunde Verspätung. Wir haben den immer bloß aus der Distanz gesehen. Wir hatten geschätzt, daß der so 180 bis 182 Zentimeter groß ist und etwa 80 Kilo wiegt. Das mußten wir ja wissen, um den in die Kiste zu kriegen. Und als wir den dann endlich hatten, war das wirklich ein Problem. Der war so riesengroß und sauschwer, so daß die Kiste nicht zuging, obwohl er ja sehr hilfsbereit war. Da konnten wir echt nicht meckern, er war ein guter Gefangener.
Es gab viele technische Probleme zu lösen: Wie können wir den Wagen stoppen, wie kriegen wir den Fahrer raus oder wie bringen wir Lorenz im Wagen dann zur Ruhe. Wir hatten auch ein medizinisches Problem wegen des Betäubungsmittels. Keiner von uns hatte davon eine Ahnung. Nach längerem medizinischem Studium und Beratung durch, äh, Fachleute sind wir auf Haloperidol7 gekommen, weil das die natürlichen Reflexe erhalten soll, damit er nicht an seiner Zunge erstickt.
Zum Stoppen haben wir einen kleinen LKW genommen, den wir mit einer falschen Pappe gemietet hatten. Dann gab es ein psychologisches Problem: Wie kriegt man eigentlich den Fahrer raus? Der LKW fährt aus einer Seitenstraße heraus und zwingt den Wagen zum Anhalten. Dann fährt ihm eine Frau hinten drauf. Die tut ganz erschreckt, schöne lange blonde Perücke und wie die Typen so sind, steigt der mit Sicherheit aus. Und das hat so voll hingehauen. Das Gesicht von dem, als der ausgestiegen ist, in dieser großmännischen Haltung, hat sich die Beule angeguckt, so in dem Sinne, na, was haben Sie denn da gemacht. Und Boing, hat er eins drüber gehabt.
Uns ist beinahe eine Panne passiert. Der Wagen, der hinten drauffahren sollte, hatte Funk und sollte dem im Laster, der weiter vorne war, Bescheid sagen, wenn Lorenz kommt. Und dann kam ein schwarzer Mercedes. Es kam aber kein Funkbefehl und der im Lastwagen dachte, da ist irgendwas mit dem Funk schiefgelaufen und ist dann losgefahren. In dem Wagen saß aber der Amtsgerichtspräsident, der spätere Polizeipräsident Scherz. Der sagte im nachhinein, es wäre ihm schon komisch vorgekommen, daß da so ein Laster vor- und dann wieder zurückgefahren sei. Da hätten wir beinahe den Falschen mitgenommen.
Nachdem der Fahrer von Lorenz eins auf die Mütze gekriegt hatte, sind vier von uns in den Wagen von Lorenz gestiegen. Zwei hinten, einer ans Lenkrad und einer dem Lorenz vorne auf den Schoß. Wir sind dann zur Tiefgarage gefahren. Zur Deckung ist noch ein zweiter Wagen hinterhergefahren. Zum Umsteigen haben wir eine ganz hervorragende Tiefgarage in der Kantstraße genommen. Bloß der, der dort wartete, mußte eine Stunde länger warten und wußte überhaupt nicht, was passiert ist, weil er keinen Funk hatte.
Wie hat denn der Lorenz reagiert?
Erstmal hat er um Hilfe gerufen, gestrampelt und dabei die Frontscheibe rausgetreten. Der hatte verdammt lange Beine. Das ging alles ziemlich schnell. Dann hat er eins auf die Nase gekriegt, und ihm ist gesagt worden, daß er an Drenkmann denken soll und Ruhe geben soll. Und er hat gesagt, ist in Ordnung, ist in Ordnung, er macht das schon. Dann hat ihm einer das Hosenbein aufgeschnitten und ihm die Spritze gegeben. Lorenz saß auf dem Beifahrersitz, einer auf ihm drauf und von hinten hat ihm einer was um den Kopf gewickelt, ein Handtuch. Damit sah der noch größer aus. Und Handschellen hat er auch noch angehabt.
Ihr seid also mit einem Typ, der ein Handtuch um den Kopf hat, dem einer auf dem Schoß sitzt, zu fünft und ohne Windschutzscheibe losgefahren?
Ja, mit 160 über die Avus. Da hat sich auch noch später ein Zeuge gemeldet, der uns auf der Avus entgegenkommen ist. Der ist selber 120 gefahren und will genau den erkannt haben, der aufm Fahrersitz saß und daß
der einen roten Schlips anhatte. Wir mußten auf der Autobahnabfahrt halten, da beim Funkturm. Unser Anblick hat keinen gestört. Da haben Autos neben uns gestanden, Fußgänger haben mal eben reingeguckt, aber sonst nichts. In der Tiefgarage war alles ruhig. Nur der Deckungswagen hatte ein Problem. Er ist uns kaum hinterhergekommen. Obwohl er nagelneu geklaut war, war die Kupplung im Arsch.
War Lorenz da schon betäubt?
Das hat noch nicht gewirkt. In der Tiefgarage ist er dann in den Kofferraum des anderen Autos gekommen. Wir hatten eine Fahrtroute ausgewählt, wo wir bis Kreuzberg auf keiner Hauptstraße gefahren sind. Wir dachten, die würden die Kreuzungen auf den Hauptstraßen dicht machen, sobald es Alarm gibt. Das war eine Fahrt ...
Der Spiegel schrieb damals
Minuten nach der Entführung löste die Polizei die größte Fahndungsaktion in der Geschichte Westberlins aus 5 Hubschrauber, 200 Streifenwagen, 10 000 Fahnder, 100 000 Mark Belohnung, noch einmal 50 000 vom rechten Bund Freies Deutschland. Habt ihr davon was gemerkt?
Zu dem Zeitpunkt noch nicht. Eine von uns hat immer versucht, Lorenz zu beruhigen. Und der hat geredet wie ein Wasserfall, was denn nun mit ihm ist, und was jetzt passiert usw. Der ist uns total auf den Zünder gegangen. Später haben die Bullen eine Luxuslimousine mit großem Kofferraum gesucht, in die Lorenz reingepaßt hätte. Das war die Erfahrung nach den Banküberfällen, als die Bullen meistens große Autos angehalten haben. Aber du glaubst gar nicht, wie groß so ein Kofferraum von einem Golf ist. Dann sind wir bis zum Friedhof gefahren, in eine kleine Seitenstraße in der Hasenheide in Kreuzberg, wo wir ständigen Blickkontakt zum Haupteingang der Bullenwache in der Friesenstraße hatten.
Dort stand ein Ford-Transit. Und da ist er in die Kiste gekommen. Das war um 9.30 Uhr. Dann sind wir zum Laden in die Schenkendorffstraße gefahren. Jetzt kam der schwierigste Teil, denn er mußte in den Laden reingetragen werden. Dort standen drei alte Frauen auf der Straße und haben palavert, wie das manchmal so üblich ist. Also die Kommode war ja schon schwer genug, aber dann noch der Typ drin, ich sage dir, da soll noch mal einer sagen, revolutionäre Arbeit sei keine Schwerstarbeit. Da waren wir auch nicht alle bei, weil wir mußten ja noch den Deckungswagen in eine Garage in Neukölln fahren. Und dann ging noch die Klappe auf, weil der Lorenz war ja auch nervös da drin. Zum Glück hat er da nicht mehr gequatscht. Da hat das Zeug wohl doch langsam gewirkt. Von dem Zeitpunkt an, als er die Spritze bekommen hat, bis zum Laden war bestimmt eine Stunde vergangen.
Und was habt ihr mit den Omas gemacht?
Gar nix, da hätten wir ja ewig warten können. Wir sind an denen einfach vorbeigelaufen.
Und die Kiste habt ihr zu viert getragen?
Ja, im Laden mußte er dann die Leiter runtersteigen, weil wir da einen Durchbruch gemacht hatten, um in den Keller zu kommen. Der Keller bestand aus zwei Räumen. Der eine Raum, der sehr niedrig war, war über eine Luke im Boden zugänglich. Diesen Raum haben wir von dem anderen durch eine Mauer abgetrennt. Den zweiten Raum haben wir ausgebaut, nach oben einen Durchbruch in die Küche gemacht und einen Teppich darübergelegt.
Ihr habt doch die Entführung bewaffnet durchgeführt. Was hättet ihr denn gemacht, wenn der Fahrer bewaffnet gewesen wäre und geschossen hätte?
Deshalb hat der ja gleich eins über die Rübe gekriegt, damit er gar nicht erst zur Knarre greifen kann. Und außerdem hatten wir den Fahrer auch noch abgetastet, um sicher zu gehen. Zudem war noch einer von uns mit einer Maschinenpistole vor Ort, um uns abzusichern. Die Planung war so, daß wir einen Schußwechsel auf jeden Fall vermeiden wollten. Wenn es von vorneherein einen Toten gegeben hätte, wären die Chancen für einen Austausch minimal gewesen.
Und so ein Schlag mit einer Eisenstange?
Das haben wir lange diskutiert, und da kann man auch nicht genug drüber diskutieren.
Habt ihr geübt oder was? Das ist doch schwierig, so zuzuschlagen, daß der nicht bei draufgeht.
Wir hatten jemand ausgesucht, der schon ein bißchen Erfahrung hatte. Der war Boxer und wußte schon wie doll er zuschlagen kann. Er konnte sehr gut dosieren.
Als wir im Laden waren, haben sich alle den Lorenz erstmal angeguckt. Lorenz wollte die Chefs sprechen. Den Kommandeur oder sowas. Wir haben gesagt, Chefs gibts hier nicht.
Wart ihr unkenntlich?
Wir hatten Einheitsoveralls, von oben bis unten durchgehend, diese Blaumänner mit langen Ärmeln. Dazu eine Kapuze, selbstgebastelte Dinger aus Bettlaken mit Zipfeln und Schlitzen drin. Bei der Aktion selbst waren alle verkleidet, so mit Bärten und sowas.
Aber Lorenz war ja sowieso blind, der hat ja eine Brillenstärke so wie Fritz Teufel gehabt, irgenwas um sieben. Das wußten wir da aber noch nicht, weil der ansonsten oft eine Brille aus Fensterglas trug, wegen der Werbefotos.
Im Keller war eine Zelle, mit einem Maschendraht davor und einem roten Vorhang. Wenn er aufs Klo mußte, haben wir natürlich dezent den Vorhang vorgeschoben. Es gab dort einen Vorraum, wo auch die Leiter nach oben ging. Dahinter war ein kleiner Raum, wo die Wache gesessen hat. Er hatte ein Feldbett, einen Eimer und ein Gymnastikprogramm an der Wand, wo drauf stand, was er morgens machen kann, Tisch und Stuhl. Das war eigentlich ein normal ausgerüstetes Gefängnis. Eine Lampe hat er auch gehabt, zwei sogar. Und was zu lesen hat er auch gekriegt, so Politliteratur.
Die Tageszeitungen hat er zensiert gekriegt. Alles was ihn betroffen hat, war ausgeschnitten. Das haben wir gemacht, damit er keine versteckten Informationen kriegen kann, die durchaus in der Zeitung hätten stehen können. Im Grunde hat er nur die Ränder gekriegt mit ein bißchen Reklame drin. Das Ding sah aus wie diese Scherenschnitte. Das war das Einzige, worüber er sich nachher beschwert hat. Das fand er nicht so gut.
Sonst hätte er aber auch mitbekommen können, wie weit die Fahndung fortgeschritten ist. Und das hätte ihm nur mehr Angst gemacht. Vom ersten Augenblick an, hat er uns gesagt, seine größte Angst ist die, daß die Bullen uns finden. Die Burschen, er hat immer nur von den Burschen geredet.
Das war seine größte Angst?
Ja, er hatte ja gar nicht mal so große Angst, daß wir ihn umlegen könnten, sondern die. Daß die Bullen, wenn die uns finden, einfach nur reinhalten und uns alle umlegen, ihn eingeschlossen.
Als Lorenz im Keller war, habt ihr ihm gesagt, wer ihr seid?
Ja, da haben wir noch dieses Foto gemacht. Da hat er sich ein bißchen gesträubt, da wollte er das Schild nicht halten. Für uns kam erschwerend hinzu, daß wir alle krank waren. Einer von uns hatte eine Grippe eingeschleppt.
Lorenz hat hinterher ausdrücklich betont, daß er von uns gut behandelt worden sei. Und abends, als ihm dann langweilig geworden ist, und weil er keine Nachrichten sehen durfte, er aber Fernsehen wollte, hat er sich, was war das noch, Ohnesorg Theater8 angesehen mit der Bewachung zusammen. Er hat dann zur Kenntnis genommen, daß wir auch gelacht haben. Das hat er später im Gerichtssaal erklärt.
Ansonsten habt ihr ihm auch einen Knopf wieder angenäht und so.
Wir haben dem die Hose wieder repariert.
Ihr habt sie ihm ja auch kaputtgemacht.
Außerdem hat er neue Unterwäsche gekriegt. Und Schach gespielt haben wir mit ihm.
Maskiert mit ihm Schach gespielt?
Wobei im Gericht dann gefragt wurde, ob er denn gewonnen hat, da hat er gesagt, er hätte auch mal gewonnen, aber er hätte den Eindruck gehabt, wir hätten ihn gewinnen lassen.
Aber, was habt ihr erstmal nach dem Foto gemacht?
Da haben wir die Erklärung geschrieben. Zwei waren immer oben, zwei unten und das ging dann immer rauf und runter, weil ja alle mitdiskutieren wollten.
Und dann habt ihr geschrieben
Heute morgen haben bewaffnete frauen und männer der bewegung 2. juni den parteivorsitzenden der berliner cdu, deren spitzenkandidaten für die abgeordnetenhauswahlen am 2. märz, Peter Lorenz gefangengenommen. die entführung mußte bewaffnet durchgeführt werden, da Lorenz sich auf einen solchen fall vorbereitet hatt
sein chauffeur und leibwächter war mit einer schußwaffe ausgerüstet. Peter Lorenz ist gefangener der BEWEGUNG 2. JUNI. als solcher wird er nicht gefoltert oder unmenschlich behandelt; im gegensatz zu den über 60 000 gefangenen in den zuchthäusern der BRD und berlin. als unser gefangener wird es ihm besser gehen als den häftlingen in den staatsknästen, allerdings wird ihm auch nicht der komfort seiner zehlendorfer villa zugute kommen. Peter Lorenz wird verhört werden. er wird über seine verbindungen zur wirtschaft, zu den bossen und zu faschistischen regierungen erzählen müssen. Lorenz ist von uns entführt worden, weil er als vertreter der reaktionäre und bonzen verantwortlich ist für akkordhetze und bespitzelung am arbeitsplatz, für den aufbau von werkschutz und antiguerillagruppen, für berufsverbote, dem neuen demonstrationsrecht, verteidigereinschränkung und für die aufrechterhaltung des diskriminierenden § 218. als cdu-chef hat er sich zum propagandisten des zionismus, der aggressiven eroberungspolitik des staates israel in palästina gemacht, und nimmt durch besuche in israel und geldspenden an der verfolgung und unterdrückung des palästinensischen volkes teil. genauso hat er blutigen anteil am militärputsch durch pinochet und konsorten in chile. seine partei ist es, die die junta durch geldspenden die repression ausführen läßt, die jede freiheitliche gesinnung erbarmungslos verfolgt und blutig niederschlägt, tausende von chilenen in kz's foltert und ihre macht durch tägliche blutbäder aufrechterhält.
unsere forderungen:
1. sofortige freilassung, d.h. annulierung der urteile der gefangenen, die bei demonstrationen anläßlich der ermordung des revolutionärs holger meins in berlin verhaftet und verurteilt sind. diese forderung ist innerhalb 24 stunden zu erfüllen.
2. sofortige freilassung von
verena becker
gabriele kröcher-tiedemann
horst mahler
rolf pohle
ina siepmann
rolf heissler
die in westdeutschland gefangen gehaltenen genossen kröcher, pohle und heissler sind binnen 48 stunden nach west-berlin einzufliegen. eine boeing 707 hat in west-berlin vollgetankt und mit 4 mann besatzung bereitzustehen. die obengenannten genossen werden bis zu ihrem reiseziel von einer person des öffentlichen lebens begleitet. die person ist der pfarrer und bürgermeister a.d. heinrich albertz. außerdem sind den 6 genossen jeweils 20.000.- dm auszuhändigen. diese forderungen sind binnen 72 stunden zu erfüllen.
3. veröffentlichung dieser mitteilung in form von anzeigen in folgenden Tageszeitungen: ....
4. während der ganzen zeit seiner gefangenschaft fordern wir absolute waffenruhe von seiten der polizei. keine präsenz auf den straßen, keine kontrollen, keine hausdurchsuchungen, keine festnahmen, keine fahndungsphotos, keine fahndungsersuchen an die bevölkerung.
bei nichterfüllung oder auch nur dem versuch der täuschung ist die unversehrtheit des gefangenen bedroht.
alle forderungen sind gleich wichtig.
wir wollen keine geheimverhandlungen. nachrichten des staatsappates an uns und ablauf der freilassung der genannten genossen samt ihrem abflug müssen über funk und fernsehen abgewickelt werden. bei präziser erfüllung aller forderungen ist die unversehrtheit und freilassung des gefangenen lorenz garantiert. andernfalls ist eine konsequenz wie im falle des obersten richters g.v. drenkmann unvermeidbar.
an die genossen im knast:
wir würden gern mehr genossen von euch herausholen, sind aber bei unserer jetzigen stärke nicht dazu in der lage.
an die bevölkerung berlins:
die organe des staates werden in den nächsten tagen eine hetzkampagne gegen uns führen, sie werden versuchen, euch in eine fahndung nach uns einzubeziehen. leistet keine unterstützung, laßt die polizei, die bonzen und die presse unter sich.
FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN
bewegung 2. juni.
Wie habt ihr diese und eure anderen Mitteilungen überbracht?
Zum Teil haben wir über tote Briefkästen gearbeitet. Wir hatten in alten Häusern, wo es nicht auffiel, zusätzliche Briefkästen aufgehängt, die nur von uns benutzt wurden. Einer von uns ist aus der Schenckendorfstraße raus zu so einem Briefkasten, und von dort wurden unsere Mitteilungen von anderen weitergeleitet. Die erste Meldung ist an dpa gegangen, aber nicht alleine. Alle Mitteilungen wurden immer an mindestens drei Stellen geschickt oder überbracht. Anfangs immer an die Medien, nachher dann an andere Peter Lorenze, die wir aus dem Telefonbuch rausgesucht hatten. Auch an Pfaffen. Wir sind davon ausgegangen, daß du jedem sowas unter die Fußmatte legen kannst und wenn du fünf Texte in der Form verteilst, kannst du davon ausgehen, daß vier das dann auch weiterleiten. In der ersten Erklärung waren zwei Fotos beigelegt. Von Lorenz mit Brille. Da hat er drauf bestanden. Und da hat er sich auch ordentlich hingesetzt.
Wurde gefahndet?
Ja, aber zivil. Erstmal haben sie versucht Zeit zu gewinnen, das war ja auch klar. Sie mußten ja erstmal feststellen, ob er noch lebt. Es hätte auch sein können, daß da auf dem Foto eine Leiche hingesetzt wurde.
Was ist weiter an dem Entführungsdonnerstag passiert?
Nix weiter. Abends war Lorenz wieder ziemlich klar. Da gab es dann einen Vernehmungsversuch. Wir hatten uns einen Fragenkatalog über seine Tätigkeiten in der CDU und seine Verstrickungen zur Berliner Baumafia gemacht. Wir hatten ein Tonbandgerät aufgebaut, und dann sollte er vernommen werden. Aber wir sind keine Vernehmer, das haben wir nach einer Stunde aufgesteckt. Wir wollten ja keine brutalen Methoden anwenden, um aus dem was rauszukriegen. Und er hat sich geweigert, was zu sagen. In den darauffolgenden Tagen ist er dann redseliger geworden, zumal wir kein Tonband mehr laufen ließen. Da hat er was von dem Leidensweg der Christdemokraten in Chile erzählt. Zu Palästina meinte er, daß das israelische Volk in Frieden leben müsse. Der Meinung waren wir auch, aber dies dürfe nicht auf Kosten der Palästinenser geschehen.
Was der von sich gegeben hat, war überwiegend ziemlich platt. Wir hatten den unten im Keller, alle haben sich den angeguckt und dann ging es übereinstimmend rum
Wer soll den denn umlegen, wenn der ganze Plan nicht klappt? Alle haben das gesagt. War gar kein Schwein mehr. Eher naiv.
Und am nächsten Tag?
Na, wir hatten doch noch die Aktentasche von Lorenz. Und wie hieß derTyp, Klingbeil, von dem war ein Scheck drin über 10 000 DM. Eine Wahlspende für die CDU. Klingbeil galt bis dahin als absoluter SPD-Unterstützer, weil der von der SPD auch die ganzen Bauaufträge zugeschustert bekommen hatte. Dann haben wir noch Unterlagen über eine geplante Fahrpreiserhöhung bei der BVG gefunden, die zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war. Und es gab Unterlagen über geplante Entlassungen bei DeTeWe. Und schließlich noch Briefe von einer Mutter mit einem behinderten Kind, die sich an Lorenz gewandt hatte. Dazu hat er aber nix gesagt.
Einen toten Briefkasten mußten wir noch schließen, weil am Freitag Rainer Hochstein, der Kontakt zu verschiedenen Leuten von uns gehabt hatte, in Hamburg festgenommen worden ist. Der kannte nur den einen toten Briefkasten. Wir hatten es abgelehnt, mit dem was zusammen zu machen. Deswegen hat er sich später der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge angedient. Da war der Trottel wenigstens dort, wo er hingehörte.
Was sahen eure Planungen vor, wenn die Bullen den Laden entdeckt hätten?
Hatten wir eigentlich gar keine. Wir hatten höchstens mal überlegt, daß wir dann die Forderungen vergessen können und gerade noch versuchen könnten, selber rauszukommen. Aber das wäre sehr heikel geworden.
War der Laden noch irgendwie abgesichert?
Wir haben uns total sicher gefühlt. Der Laden war mit einer Videokamera abgesichert, die den Eingangsbereich des Ladens im Bild hatte. Die, die unten Wache gehalten haben, hatten einen Bildschirm.
Unsere zweite Mitteilung haben wir am Freitag geschrieben. Sie ging an Marianne Lorenz, an die Landeszentrale der CDU, DPA, Bischof Scharff, den Senat von Berlin und verwies auf die erste Mitteilung, die mit der Post rausgegangen war und hatte eigentlich nur den Sinn, daß die Angeschriebenen auch nochmal aktiv werden. An Lorenz' Frau ging zusätzlich noch ein persönlicher Brief
Die Polizei soll alles tun, damit ich hier wieder unversehrt rauskomme. In Liebe. Dein Peter.
Wir fordern die obengenannten Personen und Organsationen auf, sich dafür einzusetzen, daß unsere erste Mitteilung, die an dpa, upi und senat gegangen ist, spätestens zur Abendschau und noch einmal in allen Tagesschauen verlesen wird. Gleichzeitig müssen die Fotos von der Gefangenschaft Peter Lorenz gezeigt werden. Gleichzeitig sollten Sie sich dafür einsetzen, daß die in der ersten Mitteilung aufgezählten Bedingungen umgehend erfüllt werden, wenn Sie an der unversehrten Freilassung des Gefangenen Peter Lorenz interessiert sind. Werden die Bedingungen nicht erfüllt, läuft das Ultimatum Samstag um 12.00 Uhr ab ...
bewegung 2. juni
Von Lorenz wollten wir, daß er uns eine Person seines Vertrauens nennt, und das war witzigerweise der Pepper. Den haben wir angerufen. Wir haben nur gefragt, ob er was machen kann für den Lorenz. Und der hat einfach wieder aufgelegt. Der wollte damit nichts zu tun haben. Das werde ich mir merken!, hat der Lorenz dann gesagt.
Wie haben Polizei und Krisenstab mit euch kommuniziert?
Über die Medien. Manchmal haben sie auch angekündigt, heute abend kommt was in der Abendschau. Am Samstag dem 1.3. um 0.05 Uhr wurde über die Sender SFB und RIAS folgende Erklärung der Polizei augestrahlt
Die Polizei wendet sich hiermit an die Entführer von Peter Lorenz.
Erstens
Die Personen, die im Zusammenhang mit der Demonstration nach dem Tode von Holger Meins festgenommen worden sind, befinden sich bis auf Ettore Canella und Günter Jagdmann bereits seit längerem in Freiheit. Die beiden Genannten werden am 1. März 1975 vor zehn Uhr aus der Haft entlassen.
Zweitens: Es ist nötig, daß Sie uns einen überzeugenden Beweis von der Tatsache liefern, daß Peter Lorenz weiterhin am Leben ist.
Drittens: Wir sind bemüht, mit unseren Maßnahmen Leben und Gesundheit von Peter Lorenz nicht zu gefährden. Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist es erforderlich, Fragen zu klären. Zum Beispiel: Wie stellen Sie sich die Modalitäten der unversehrten Übergabe von Peter Lorenz vor? Was soll geschehen, wenn eine der von Ihnen namentlich genannten Personen sich weigert, an dem von Ihnen genannten Verfahren teilzunehmen?
Viertens: Geben Sie uns als Nachweis dafür, daß wir mit den Richtigen verhandeln, die Nummer des Personalausweises von Peter Lorenz.
Woher wußtet ihr, daß das um 0.05 Uhr über den Sender geht?
Meinst du, wir hätten in der Zeit das Radio auch nur fünf Minuten ausgeschaltet? Meistens wurde das ja lange vorher angekündigt und dann auch noch wiederholt. Sie haben die Mitteilungen auch zur Fahndung benutzt, in dem sie diese immer später in der Nacht ausstrahlten. Und in der vierten Nacht waren sie soweit, daß sie die ganzen Postpeilwagen unterwegs hatten, weil sie gehofft haben, daß um 4.00 Uhr in Berlin nicht mehr so viele Fernseher an sind. Aber, die ganze Stadt hat am Fernseher gehangen. Und die einzigen, die in dieser Nacht nicht Fernsehen geguckt haben, waren wir. Da waren wir alle so übermüdet, daß selbst die Bewachung gepennt hat.
Am Samstag um 10 Uhr haben sie die beiden letzten Inhaftierten von der Holger Meins-Demo aus dem Knast entlassen. Da haben sie etwas Zeit geschunden, aber das war uns dann auch egal. Als der Jagdmann rauskam, das war offensichtlich so ein Alki, sind gleich die ganzen Reporter auf ihn zu, und er sagt
Ich habe damit gar nichts zu tun, ich weiß von gar nichts.
Dann kam der Canella raus, da wollten sie sich auf den stürzen und flutsch, weg war er. Der hat gleich die Beine in die Hand genommen und ist losgesprintet. Der Jagdmann war nur so reingeraten in die Demo. Hat er auch gesagt. An dem Tag hat er zu Hause Probleme gehabt, hat was gesoffen, ist in die Demo reingeraten und hat einen Stein auf einen Bullen geworfen und das wars dann. Die Verfahren sind eingestellt worden. Die haben auch später nix mehr davon gehört.
Nachdem die Medien unsere Erklärung vollständig veröffentlicht hatten, und die beiden nun freigelassen worden waren, war uns klar, daß wir noch immer die Initiative in der Hand hatten. Am Samstag morgen, dem 1.3. kam dann die Mitteilung Nr. 3 von uns. Die hatten wir bei verschiedenen Adressen vorbeigebracht, unter anderem beim Evangelischen Pfarramt in Zehlendorf. In der Erklärung stand: Wenn ein von uns benannter Genosse die Befreiung nicht in Anspruch nehmen will, soll er dies am 1.3.1975 im Beisein seines Anwalts in der Berliner Abendschau öffentlich kundtun. Unser Ultimatum wird nicht verlängert. Es läuft Montag 3.3., 9.00 Uhr ab, bis dahin müssen die entlassenen Genossen und Herr Pfarrer Albertz abgeflogen sein. Nach seiner Rückkehr werden wir sofort die Modalitäten der Freilassung von Peter Lorenz bekanntgeben. Seine Unversehrtheit hängt allein vom Verhalten des Staatsapparates ab. Wir haben Fürstenfeldbruck und Rammelmeier9 nicht vergessen. Wenn der Polizeiapparat ähnliches vorbereitet, ist das der sichere Tod von Peter Lorenz. Dies ist bis zur Erfüllung unserer Forderungen die letzte Meldung.
War das dann eure letzte?
Nö. Dann kam abends so um 20.00 Uhr die Erklärung von Pfarrer Albertz in Funk und Fernsehen
Ich spreche zu Ihnen als ein Mann der Kirche, der bereit und verpflichtet ist, menschliches Leben zu schützen. Deshalb habe ich mich auch in dieser schwierigen Situation sofort bereit erklärt mitzuwirken. Das kann ich aber nur tun, wenn Gefahr und Risiken nicht nur auf einer Seite lasten. Der mir bekannt gewordene Vorschlag, über den ich vom Regierenden Bürgermeister10 unterrichtet worden bin, enthält hinsichtlich der Modalitäten der unversehrten Freilasung von Peter Lorenz unbefriedigende Aussagen. Um meinen Auftrag erfüllen zu können, muß ich eine andere als die bisherige Antwort erhalten. Ich habe mich zur Verfügung gestellt, um bei meiner ersten Begegnung mit Ihnen oder Ihren Freunden der unversehrten Freilassung von Peter Lorenz sicher zu sein. Sie umgekehrt können sich darauf verlassen, daß ich mich an keiner Unternehmung, die wie in Fürstenfeldbruck endet, beteiligen werde.
Gleich im Anschluß kam dann die Erklärung der Polizei
Sie haben die Erklärung von Pfarrer Albertz gehört, teilen Sie uns sofort die Modalitäten für die Freilassung von Peter Lorenz mit. Benutzen Sie als Erkennungszeichen den Namen des Ortes, an dem die im Flur des Hauses Lorenz hängende längliche Holzschnitzerei gekauft worden ist.
Klar, das waren ja Sachen, die nur Lorenz wissen konnte. So um kurz vor 24.00 Uhr erklärte Mahler in der ARD-Tagesschau, daß er den Austausch ablehnt: Die Entführung des Volksfeindes Peter Lorenz als Mittel zur Befreiung von politischen Gefangenen ist Ausdruck einer von den Kämpfen der Arbeiterklasse losgelösten Politik, die notwendig in einer Sackgasse enden muß. Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse.
Das kam so im Fernsehen. In der Erklärung stand außerdem noch: ... Anläßlich des Schauprozesses gegen Becker, Meinhof und mich im September des vergangenen Jahres, habe ich in einer öffentlichen Kritik, die zugleich eine Selbstkritik war, klargestellt, daß mein Platz an der Seite der revolutionären Arbeiterklasse ist. Ich bin der festen Überzeugng, daß sich durch den Kampf der revolutionären Massen die Gefängnistore für alle politischen Gefangenen öffnen, und daß die gegen mich gefällten Terrorurteile hinweggefegt werden weshalb ich es ablehne, mich auf diese Weise außer Landes bringen zu lassen ... Vorwärts mit der KPD.
1980 wurde Mahler auf Bewährung entlassen. Da sich die Gefängnistore für Mahler nicht durch den Kampf der revolutionären Massen öffneten, sondern durch den gebückten Gang durch den Baumschen Tunnel11, rächte sich Mahler an der Arbeiterklasse, indem er nach seiner Freilassung Manager in der Unterdrückung derselben ausbildete.
Danach kam die Erklärung von Gabriele Kröcher-Tiedemann, daß sie sich dagegen entschieden hatte, befreit zu werden. Am nächsten Tag jedoch um 22 Uhr, hat Rolf Pohle verlangt, mit ihr telefonieren zu können, was die Bullen auch gemacht haben, woraufhin sie sich entschieden hat, doch mitzukommen. Später haben wir den Akten genaueres zu ihrem Sinneswandel entnehmen können. Gabrieles erste ablehnende Erklärung war auf Grund einer Zusage auf Halb- oder Zweidrittelstrafe zustandegekommen. Sie hatte aber darauf bestanden, das schriftlich zu kriegen, was sie aber nicht bekam.
Kam die Idee mit dem Telefonat von euch?
Nein, das war Rolfs Idee.
Wie habt ihr darauf reagiert, daß die nicht mitwollten?
Das war für uns schon ein ziemlicher Schock. Gleich zwei auf einmal. Du hättest mal unsere Sprüche damals hören sollen
Haben sie denen allen ins Gehirn geschissen, jetzt fangen die auch noch alle an zu spinnen, und so. Ansonsten, wenn sie halt bleiben wollen, bitte, dann sollen sie es halt aussitzen. Bei Kröcher-Tiedemann haben wir gedacht, daß sie einfach verunsichert ist.
Hat Lorenz das mitgekriegt?
Nein, der hat höchstens unser Rumgestampfe gehört.
Hattet ihr überlegt, stattdessen die Freilassung anderer Gefangener zu fordern?
Überlegt schon. Das Problem war aber, wenn wir zwei andere Namen genannt hätten, dann wäre von der Gegenseite gekommen, daß das in der Zeit nicht mehr klappen würde, und wir wollten unbedingt den Zeitplan einhalten. Dann kam am Samstag um 24.00 Uhr
Die Polizei wendet sich hiermit erneut an die Entführer von Peter Lorenz. Sie hat die Mitteilung Nr. 3 erhalten. Andere numerierte Mitteilungen liegen ihr nicht vor.
1. Die Polizei geht davon aus, daß Peter Lorenz am Leben ist.
2. Es ist wahrscheinlich, daß zu einem Einflug nach Berlin nur zwei Gefangene bereit sind. Wie Sie gehört haben, gibt es lediglich die Möglichkeit, ihr Ziel über einen Flughafen des Bundesgebietes zu erreichen. Es bietet sich daher an, alle namentlich genannten Gefangenen dort zusammenzuführen. Dazu erwarten wir Ihre Äußerung.
3. Sie haben die Erklärung von Pfarrer Albertz gehört und müssen daraus erkennen, daß es unabdingbar ist, die Modalitäten der unversehrten Freilassung von Peter Lorenz klar festzulegen.
4. Sie können fest davon ausgehen, daß die bisherigen und künftigen Verhandlungen ausschließlich dem Ziel der Sicherung des Lebens und der Gesundheit von Peter Lorenz dienen.
5. Ihr Weg der Verhandlungsführung gibt kaum eine Chance, ihren Forderungen zu entsprechen. Wählen Sie einen schnelleren Weg.
6. Um erkennen zu können, daß die Polizei weiterhin mit den Richtigen verhandelt, nennen Sie als Erkennungswort den Ort, an dem die Armbanduhr von Frau Lorenz gekauft worden ist.
Das war Samstagnacht.
Was für Diskussionen liefen da unter euch?
In der Zeit gab es nicht so viele Diskussionen. Du darfst nicht vergessen, daß wir die ganzen Tage kaum gepennt haben. Die Stimmung war aber sehr gut, weil nach der ersten Erklärung der Bullen eigentlich klar war, daß es läuft. Sie sind der Forderung nach Veröffentlichung und der zweiten Forderung nach Freilassung der Demonstranten nachgekommen. Also bis dahin lief ja alles. Klar war aber auch, daß sie natürlich versuchen würden, Zeit zu gewinnen. Die Bullen sind davon ausgegangen, daß wir einen Anwalt nennen, über den dann verhandelt würde. Deswegen hatten sie von einem schnelleren Verhandlungsweg geredet. Dadurch hatten sie sich erhofft, an uns ranzukommen.
Was hielt Lorenz von dem Verlauf?
Er kannte unsere Forderungen, aber er wußte nichts über den Stand der Verhandlungen. Im übrigen wollte er immer nur wissen, wie Biedenkopf sich zu der ganzen Angelegenheit geäußert hat. Das war damals der starke Mann in der CDU. Er war zu der Zeit Generalsekratär und Gegenspieler von Kohl. Als wir ihm sagten, daß Biedenkopf sich für einen Austausch ausgesprochen hat, reagierte Lorenz optimistisch und erleichtert. Von da ab ging er davon aus, daß der Austausch tatsächlich stattfinden würde.
Als nächstes gab es dann unsere Erklärung, daß wir die Entscheidung von Kröcher-Tiedemann und Mahler akzeptieren. Diese Nachricht haben wir zusammen mit einer Kassette in einen Briefkasten am Kudamm geworfen und gegen 3.00 morgens die Bullen angerufen und sie informiert, daß dort folgende Mitteilung von uns zu finden wär
Fußnoten
1 Holger Meins-Demo
siehe Chronologie unter 9. November 1974
2 Die Bewegung 2. Juni hat normalerweise mit einem Schloßausdreher gearbeitet, sozusagen als Markenzeichen, so daß den Bullen gleich klar war, daß es sich um eine politische Aktion handelt.
3 Wilfried Bony Böse, 1949-1976, im Juni 1975 in Paris mit falschen Papieren festgenommen, Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ), beteiligt an der Entführung einer Passagiermaschine nach Entebbe 1976, wo er bei der Erstürmung durch ein israelisches Kommando erschossen wurde; siehe Chronologie unter 27. Juni 1976. (Näheres in der Broschüre Texte zu Gerd Albartus, erhältlich in jedem guten Infoladen, sowie Die Früchte des Zorns, RZ-Schriften in zwei Bänden, Edition ID-Archiv, 1993.)
4 Sigurd Debus wurde 1974 festgenommen und zu 12 Jahren Haft wegen versuchtem Banküberfall und Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Er starb 1981 im Hungerstreik der Gefangenen aus RAF und Widerstand. Durch die Behandlung während der Zwangsernährung hatte er eine tödliche Hirnblutung erlitten.
5 Wir die Tupamaros, einst im Verlag Roter Stern erschienen, siehe Chronologie.
6 Werner Sauber, Säuberli, war Mitglied in der Bewegung 2. Juni. Er ging Anfang 1974 nach Köln, um den Widerstand in den Betrieben zu organisieren und arbeitete unter falschem Namen bei Klöckner-Humboldt-Deutz an der Stanze. Er wird am 9.05.75 auf einem Parkplatz in Köln von der Polizei erschossen siehe Chronologie 9. Mai 1975.
7 Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
8 Hamburger Klamauk Theater mit Heidi Kabel.
9 Fürstenfeldbruck; siehe Chronologie 5. September 1972. Rammelmeier war ein Gangster, der mit einem Partner in München 1971 eine Bank überfiel und Geiseln nahm. Beim Fluchtversuch wurde er und eine Geisel von der Polizei erschossen.
10 Klaus Schütz, SPD, Regierender Bürgermeister von West-Berlin von 1967 bis 1979.
11 Benannt nach dem damaligen Innenminister Gerhardt Baum, FDP, der das Abschwören vom bewaffneten Kampf zur Voraussetzung für die Freilassung einführte.
aus: Die Bewegung 2.Juni
Gespräche über Haschrebellen, Lorentz-Entführung und Knast
Edition ID-Archiv
ISBN: 3-89408-052-3
[Inhaltsverzeichnis]