DIE DEUTSCHE GEMÜTLICHKEIT

Das Deutsche Gemüt -
nicht die Deutsche Seele.
Das Deutsche Gemüt.

Ich sinne diesem Wort richtig nach.
Gestattet uns allen eine Satire -
Super-Satire, ja? -
also, da geht sogar nochmal Ironie
(das ganze Thema Ironie ist ja ab,
das will ja keiner mehr hören,
die Leute sagen,
sei lieber echt,
ich will keinen ironischen Ton,
is'n Umweg).

... Die ARBEITSLOSEN sind die große Chance.
Wir haben ja heute 'ne ungeheure Anzahl
von historischen - geschichtlichen Chancen
in der Öffentlichkeit.
Kabarett kann heute für die Arbeitslosen
'ne Alternative sein.

Aber die Arbeitslosen seh' ich noch ganz anders.
Wenn wir 2 Millionen Arbeitslose haben,
in Amerika 12 Millionen,
in jedem Land Arbeitslose ---
klar muß von denen für uns was gemacht werden,
für die Arbeitenden.
Ich bin ja'n Arbeiter.
Nämlich,
was müssen die sehen:
Ich muß geistig arbeiten.
Wie mach ich das?
Im Sitzen.
Da hab' ich Langeweile -
und da sind wir wieder am Problem:
Die Langeweile ist Muße.

Man kann heute als Arbeitsloser
in der Bundesrepublik
- weil man ja noch so viel Geld kriegt -
zur Muße kommen.
Man kann sitzenbleiben,
man braucht keinen Alkohol und keine Drogen nehmen,
man kann sitzenbleiben und sich besinnen,
kann sagen:
Was für ein glücklicher Mensch ich bin,
daß ich arbeitslos bin,
ich hab doch echt
mit meinen fuffzig/sechzig Jahren
noch 'ne Chance ---
Ja ...
Ich könnte ja noch mal Grün werden!
Ich könnte ja nochmal Alternativ werden!
Das ist doch der Arbeitslosen Chance heute, ja?
Die große Chance,
für den ältesten Arbeitslosen,
für den jüngsten,
für den Facharbeiter,
wir ham doch kaum einen Arbeitslosen,
der zuhause sitzt und schreit
"ICH HATTE EINEN SO WUNDERBAREN BERUF,
EINE SO WUNDERBARE STELLE,
ICH HABE MICH AUSGEARBEITET,
ICH HABE DORT GELEBT WIE IN MEINER FAMILIE,
ICH HABE ORGASMUSÄHNLICHE GEFÜHLE GEHABT,
AN MEINEM ARBEITSPLATZ" -
so einen Arbeitslosen haben wir doch garnicht.
Wir haben doch Arbeitslose;
die schweigen,
weil sie Geld kriegen,
und die sind sogar bereit,
wenn die Gewerkschaft dementsprechend stinglt/stichelt,
noch mal auf die Straßen zu gehen,
aber aus historischen Gründen -
um zu zeigen:
Seht mal,
so war's in den Zwanziger Jahren!

Heute ist es doch ganz anders!
Heute haben die Arbeitslosen Chancen,
GEISTIGE MENSCHEN zu werden,
und wenn Sie das nicht verstehen,
was ich eben gesagt habe,
oder Sie nicht,
dann meine ich:
GÖTTLICHE Menschen zu werden,
in die Kirche zu gehn,
um es mal ganz blöde und wie 'ne alte Tante auszudrücken. -
Darum gehn die Arbeitslosen nicht in die Kirche.

Warum sind die Pfarrer -
Kabarett für Arbeitslose,
was für'n Quatsch,
das machen wir selbst -
KIRCHE FÜR ARBEITSLOSE,
warum sind die Pfarrer nicht eingestellt auf Arbeitslose,
warum behandeln sie die nicht wie Verwundete
in dieser Leistungsgesellschaft,
die Arbeitslosen.
Die möchten so behandelt werden.

Kommt mal her,
ihr Arbeitslosen!
Über Geld reden wir nich,
Stingl sorgt dafür,
und Schmidt,
aber:
Wie bekommen wir denn geistiges Wachstum -
wir haben jetzt null Wachstum,
arbeitslos:
Aber da ist doch die Zeit für geistiges Wachstum,
erst wenn im Kopf --
und zwar nicht Denken ist gemeint
(jetzt muß ich auch mal wieder das alte Kabarett ausschalten),
auch Fühlen ist nicht gemeint,
Denken und Fühlen sind ja die alte Arbeitswelt --
sondern:
Die neue Arbeitswelt heißt:
Augen schließen -
bitte keine Langeweile -
kommt ja gleich:
Augen schließen,
mach doch mal zu, die Augen ...

...... Sie und ich merken sofort beim Schweigen,
da gucken wir uns an,
sagen:
det war erholsam, wa?
Wir haben zusammen geschwiegen, ja.
Ham Sie nich alleine geschwiegen?
Nee, wir ham gemeinsam,
wir ham uns ja sogar unterhalten,
ham wir nich 'n Wort gesagt,
innerlich?
"Eierpampe"?
Ham Sie "Eierpampe" innerlich gesagt?
Moment mal.
Da merkt man erst,
daß das die eigentliche Kommunikation heute ist,
die stattfindet,
und die Sprache als Ablenkungsmanöver benutzt wird, ja?
Ja,
da sagt jetzt einer,
das gesammelte Schweigen des Doktor Murker,
hattenwir schon,
hattenwir schon,
das Wort "Gott" wird rausgeschnippelt,
hattenwir schon,
hattenwir schon, --
äh, so kommen die Arbeitslosen nich weiter,
mit Schweigen.

Ick sage:
Doch.
DIE MÜSSEN NÄMLICH VON DER LANGEWEILE WEGKOMMEN.
Die Arbeitslosen sind heute ein - ein,
wie soll ich sagen -
na, Ausprobierfeld is nich,
ein EXERZIERFELD FÜR DIE WELT VON MORGEN,
wenn wirklich mal automatisiert wird.
Die Arbeitslosen -
verstehe garnicht,
daß die nicht alle beim Fernsehen beschäftigt werden -
als Arbeitslose.
Das ist doch GENAU dieses Fach,
das beim Fernsehen geht,
Arbeitslos. ---
Weil, da werden Komparsen gebraucht,
zum Beispiel.
Dann muß man ja wissen,
daß das Fernsehen eine ungeheure expansive
Entwicklung in Deutschland vor sich hat.
Das ist ja noch garnicht entwickelt.
So wie wir hier jetzt reden,
immer noch:
Video,
Distanz aber, ja? -
und Sie,
damit die Distanz auch noch größer wird,
dann ist das Medium ja'n technisches Medium,
kein menschliches,
erstmal,
nur von Menschen gemacht,
ist aber'n Medium,
das Fernsehen.

Eine Treppe

[Bild von Kurt Tucholsky]

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Kurt Tucholsky: "Der wollte doch benutzt werden und nicht besessen!"