Flashback: Ende der 60er wurde ich Psychedelika Dealer, und als solcher befolgte ich brav Tims Ratschläge: Dealen = Spirituelle Sozialarbeit statt Kapitalanhäufung. Geld war nie meine Hauptmotivation, ich hatte nie ein schlechtes Gewissen, und folglich bekam ich nie ernsthafte Schwierigkeiten mit der Polizei - nicht mal wegen meiner Raubdruckereien. (W.P.)
Aus der geschäftlichen Vorgeschichte des Medienexperimentors
Ein kleiner Rauschangriff
Sieben gute Jahre als Hanfhändler
(1. Kapitel aus dem Buch ‚Highdelberg‘ von W.P., mit einer Einleitung von Howard Marks)
Nice in Germany
Im Sommer 1991 saß ich im US-amerikanischen Knastsystem das dritte von fünfundzwanzig Jahren ab, die man mir wegen dem Schmuggel von über 100 Tonnen Marijuana aufgebrummt hatte. Obwohl ich peinlichst darauf achtete, auch noch die dümmste Regel dieses Schweinesystems zu beachten, war es mir noch wichtiger, die eigenen, sorgsam überlegten Regeln strikt zu befolgen; konkret: keinen meiner Dealer Kollegen zu belasten. Wir waren ja nicht alle vom blanken Materialismus motiviert. Seit den Sechziger Jahren hatten wir doch starke Bande einer Bruderschaft entwickelt, und das Gefühl dieser Bruderschaft hatte für uns schon lange Geld als sinngebendes Sakrament unserer Unternehmungen ersetzt. Geld hielt das Spiel oft am laufen, war aber nur selten Inhalt des Spieles.
Die Amerikanischen Autoritäten befolgen im Umgang mit unsereins eine einfache Strategie: ”Buchte sie für immer ein oder mache sie zu Verrätern”. Jene, die plauderten, sich umdrehen ließen und petzten kamen auf Bewährung frei. Mir war klar, daß ich weder nachts schlafen, noch meinen Kindern je wieder in die Augen sehen könnte, falls ich zum Judas würde. Also war ich kein Kandidat für eine frühzeitige Entlassung. Bei gutem Benehmen war mein frühester Entlassungstermin das Jahr 2003. Aber ich war psychisch fit und physisch gut. Ich würde das packen. Immerhin schien für mich am Ende des Tunnels Tageslicht.
Dieses Licht mutierte jedoch plötzlich in die Scheinwerfer eines auf mich zu rasenden Zuges. Deutsche Staatsanwälte und Richter wollten mich auf amerikanischem Boden verhören. Dabei hatte ich nie Marijuana nach Deutschland geschmuggelt oder dort Geld gewaschen. Was sollte das jetzt? Man verklickerte mir das Konzept der ‘Universellen Gerichtsbarkeit’: Irgendwo hatte ich ein Gesetz gebrochen (Haschisch von Marokko nach England überführt). Dafür hatte mich niemand bestraft. Also hätten die Deutschen Behörden das Recht, mich hierfür zu bestrafen, obwohl das Haschisch nie in die Nähe Deutschlands kam. Was für KotzbrockenParagraphen. Falls ich da je heil rauskommen sollte, würde ich Deutschland für immer meiden. Schon als Kind hatte ich Schiß vor den Deutschen gehabt (Schuld waren die verdammten amerikanischen Kriegsfilme). Nun gingen sie mir aber echt auf den Sack (Schuld waren die idiotischen Amerikaner).
Eine Reihe verschlungener und komplizierter Rechtsmanöver ermöglichte 1995 meine Freilassung aus dem US-Knast. Meine Rehabilitation erfolgte in Form eines fetten Schecks eines angesehenen britischem Verlagshaus, denen ich meine Autobiografie schreiben sollte. Einer der ersten, die dieses Buch lasen und sich mit persönlicher Anerkennung meldeten, war Werner Pieper. Er lud mich nach Deutschland ein, doch ich mußte ablehnen: ”No way. Wahrscheinlich nie”.
Nach Wochen erhielt ich wieder Post von Werner. Er schickte mir seine Sky High CD, die umfassendste Sammlung von MarijuanaMelodien, die ich je gehört hatte. Außerdem druckte er in seiner Grünen Hilfe Fibel ein Gedicht meiner Tochter Amber (über ihren Knastbesuch in den USA), das es ihm besonders angetan hatte, aus meinem Buch nach. Last, but not least, hatte er sich für mich über meinen rechtlichen Status in Deutschland kundig gemacht. Mit der Einschränkung, daß man bei solchen Behörden ja nie definitiv Bescheid wissen könne, schrieb er, Kontakte zu offiziellen Stellen hätten ergeben, daß Schwierigkeiten eher unwahrscheinlich seien. Und er erneuerte seine Einladung mit Nachdruck.
Etwa zur selben Zeit wurde ich in London von den Jungs vom Grow Magazin interviewt (das Interview ist nachzulesen in: Rippchens Reefers Digest, Ed. RauschKunde) und sie kündigten ihr Interesse an einer deutschen Ausgabe meines Buches an. Werner willigte ein, mir ein Vorwort zu schreiben. Die Grows luden mich nach Darmstadt ein, doch ich kniff und vertröstete sie. Ebenfalls zu jener Zeit traf ich in Ladbroke Grove, dem Herzen der Londoner Cannabis Kultur, Herman the German. Ein paar Tage später tauchte er in der ersten Reihe einer DopeDiskussion an der University of Cork auf. Ebenfalls zeitgleich erhielt ich von Frank Zander eine Einladung als Ehrengast zur Cannabusiness in Castrop-Rauxel. Ich mußte meine Widerstände aufgeben. Zufälle sind machtvoll.
Weder in Heathrow noch in Düsseldorf kam es am Flughafen zu Komplikationen. Keine Straßensperren auf der Autobahn. In Castrop-Rauxel zeigten 140 Aussteller aus 14 Nationen ihre Waren, und 10.000 Leute wollten diese sehen und erleben. Die Ausstellungshalle war in einen Wolkenpilz von Cannabisrauch gehüllt. In der Mitte stand Werner. Wir umarmten uns.
”Howard, probier mal”.
Ich probierte Mengen süßer Rauchsamples und fing an, abzuheben. Meine Nasenflügel zitterten, während die Cannabioide meine Erinnerungszellen vergewaltigten und plünderten. Die visuellen Halluzinationen nahmen stabilere Formen an. Schmetterlinge kotzten in meine Gedärme. So stoned war ich seit drei Jahrzehnten nicht mehr (nicht, daß ich es nie versucht hätte!). Die Kraft der Sprache verließ mich. Ich stürzte zur Tanzfläche und ließ meine Glieder zucken. Auf einer Riesenleinwand blitzten immer neue Bilder auf und wirbelten meine grauen Zellen vollends durcheinander. Irgendwann sah ich die Jungfrau Maria in Reizwäsche auf einem besoffenen Rentier reitend, während sie sich mit einem komplizierten Molekül selbstbefriedigte. Jesus kiffte zusammen mit einem Schaf. Mir rasten seltsame Gedanken über Themen wie z. B. die jungfräuliche Geburt durchs Hirn. Falls Jesus, der Sohn, Gott war, und Gottvater war der Heilige Geist, und der Heilige Geist vögelte Mary, dann war Jesus der erste beglaubigte Motherfucker!!
Meine Stimme hatte ich verloren und nun bekam ich auch noch einen Hustenanfall. Ein wirklich fitter Typ, Frank, kam mir zu Hilfe. Einen Pfeifenkopf mit Salbei saugte ich durch seinen präzisen Aromizer. Der Hustenreiz war weg, die Stimme wieder da.
Kurz darauf besuchte ich Werner in Löhrbach und mit ihm Highdelberg – mein erster Besuch dieses außergewöhnlichen, wichtigen Epizentrums der Psychedelik. Und wen trafen wir? Herman the German und Frank (wie sich herausstellte, Werners ältester Kumpel). In wenigen Stunden wurde mir bei einem gemütlichem Rundgang ein Schnellkurs der Geschichte des Ortes eingedampft. Das ist der Vorteil, wenn man Menschen wie Werner und seine Freunde kennt.
Thank you, Werner, for making me happen in Germany and making Germany happen for me.
Howard Marks
Aktive Sozialarbeit
Schüchtern war ich und 21 Jahre alt.
Ich hatte den Hotelberuf eingeschlagen, um viel von der Welt zu sehen und Menschen zu treffen. An beidem hatte ich einen starken Nachholbedarf. Der Beruf tat sich gut an, die Lehre absolvierte ich bestens und mit Auszeichnung. Aber dann kam der Ersatzdienst an Querschnittsgelähmten, und meine Prioritäten wurden gerade gerückt. Lieber für 3 DM am Tag Kranken den Arsch abwischen, als für viel Geld für reiche Sepp’l den Hampelmann spielen. Je 'besser' die Hotels, je schleimiger die Heucheleien, desto größer der innere Verkrümmungsgrad. No, Sir. Da muß es doch etwas besseres geben!
Sozialarbeiter. Das war das Ziel nach dem 18-monatigen Staatsdienst. Als ich mich kundig machte und herausfand, daß man als Sozialarbeiter die meiste Zeit am Schreibtisch sitzt und Formulare ausfüllen muß, war auch der Job als Perspektive gestrichen. Formulare, nee, nix für mich.
Es war die Zeit, in der viel von Revolution geredet wurde. (Ich glaube nicht, daß uns wirklich klar war, was dieses im Ernstfall bedeutet hätte). Es reichte, um viele Bürger paranoid zu machen und Studenten zu nächtelangen Diskussionen zu verdammen. Heute darf man feststellen, daß es weniger eine politische, denn eine kulturelle Revolution war, die sich in der Tat vollzog und für die Evolution der Menschheit im westlichen Kulturraum einen farbigen Sprung bedeutete. Die Wohlstandsmutanten traten ins Licht. Nicht mehr im Halbdunkel wie die Gammler, unsere Vorgänger, sondern schillernd im Medienspotlight. Hippie, Hippie, Hurra!
Die glücklichen Zufälle. Kurz bevor mein Dienst um war bekam ich Besuch von Red, dem ungewöhnlichsten Österreicher, dem ich je begegnete, und der schon seit Jahren dealte (und fixte, aber das hat mich nie tangiert). Als ich zum Abschluß meiner 18 Monate kein stattliches, aber ein staatliches Entlassungsgeld von 700 DM erhielt, fuhren wir zusammen nach Frankfurt auf die Shitwiese und ich baute mir brav (?) mit Hilfe dieses staatlichen Geldes eine neue Karriere auf: ich kaufte damit meine ersten 200 Gramm grünes Dope. Grün und kräftig. Sieben Jahre blieb ich bei dem Job. Ich will wirklich nichts verherrlichen, aber für mich war es, ganz nüchtern ausgedrückt, eine wundervolle Zeit. Ich hatte nie Zeit, arbeitslos zu sein. Zumal es in Heidelberg gar kein Hotel gegeben hätte, das meinen Fähigkeiten (auf dem Papier) entsprach. Geld vom Staat wollte ich nie. Selbstverantwortung übernehmen erschien mir immer spannender als monetäre Abhängigkeiten.
Red brachte mir in einem mehrmonatigen Crashkurs bei, wie man sich als Dealer so verhält, daß man zwar Kunden findet, aber keine Schwierigkeiten bekommt. Weder mit den Kunden, noch mit dem Dope, geschweige denn mit der Polizei.
Nie drängte ich jemandem meinen Stoff auf. Nie prahlte ich mit 'Brand-names'. Nie wollte ich dadurch reich werden. Reich? Reichtum kann für manchen Dealer auch ein Armutszeugnis sein.
Mein Schlafsack & ich. Was für ein Paar. Es dauerte zwei Jahre, bis ich ein eigenes Dach anmietete. Bis dahin schummelte ich mich bei Freunden durch oder nächtigte in den Wäldern um Heidelberg. Richtig. Wichtig: Heidelberg war die Basisstation. Die Kunden waren zumeist amerikanische GIs. Happy not to be in Vietnam. GIs waren nicht die Stumpfköpfe, denen man heute allenthalben in Garnisonsstädten begegnet, sondern es gab, wegen der damals real existierenden Wehrpflicht in den USA, viele nette, liebe und wache Menschen unter ihnen. Durch Uniformen vergewaltigte Hippies. Unser indirekter Draht nach Californien. An jedem Payday machten wir sie glücklich und sie sorgten für unseren Unterhalt.
Geschichten wurden unser täglich Brot. Kein Dach, kein Geld, keinen materiellen Ballast und keinen Beruf mehr. Ein Schlafsack, die ganze Welt und die Zukunft gehörten uns. Und die Gegenwart. Und diese bestand aus einer Aneinanderreihung von Geschichten. Für diese sorgte nicht nur der Platz (Heidelberg birgt durch die Jahrhunderte genügend Stories) und die GIs, sondern auch viele jugendliche Reisende, Travellers aus aller Welt, die auf dem sogenannten Hippietrail von London über Amsterdam nach Kabul, Goa & beyond notgedrungen durch Highdelberg* zogen, und auf der Neckarwiese gerne Rast machten. Und mit uns Geschichten austauschten.
Wer absolut nicht begeistert war von diesen Geschichten und meinem neuen Beruf? Die Eltern. Ich fuhr nach Hause, legte eine libanesische ShitPlatte auf den Wohnzimmertisch und offenbarte ihnen meinen neuen Job. No good. Ich Naivling hatte gedacht: Wem kann man schon vertrauen, wenn nicht den eigenen Eltern? Auf die Probe gestellt, waren sie mit dieser Offenbarung grundsätzlich überfordert, die Armen. Daraufhin ließ ich mich jahrelang nicht mehr in der alten Heimat sehen, und der Riß in unserer Beziehung wurde nie mehr gekittet. Überhaupt gab es in den ersten HippieJahren bestenfalls einen Dreißigjährigen, mit dem ich Kontakt hatte. Die ältere Wirtschaftswundergeneration hatte keinerlei Verständnis für uns, und wir wohl nicht für sie. 'Trau keinem über Dreißig' war keine Wunsch- oder Kampfparole, sondern ein weiser Spruch für das eigenständige Überleben. Wie stolz und dankbar war ich dann, als ich zum ersten Mal einen Erwachsenen traf, der mich ob meiner dopigen Profession lobte.
Wir saßen bei einer Freundin, als ein älterer Herr hereinkam, sich zu uns setzte und wie selbstverständlich mitkiffte. Sonst kannte man doch niemanden, der unjung kiffte. He did. Und er setzte noch einen drauf, als er mich, der sich erstmals getraute einem Erwachsenen (außer meinen Eltern) zu gestehen, daß ich Dealer sei, zu meinem Beruf beglückwünschte. Die Rede ist von Jakov Lind, einem Schriftsteller, dessen Bücher 1997 wieder neu erschienen sind. Lies 'Selbstportrait' von ihm, und du wirst dich wundern. Ich bin ihm ewig dankbar.
Der nächste erwachsene Mitkiffer war dann Sergius Golowin, sogar ein seriöser Stadtrat, aus der Schweiz. Mit deutschen Erwachsenen tat ich mich wohl immer schwer (bis ich plötzlich selber einer war). Erwachsene erzählten einem damals immer, Haschisch wäre wie Heroin und beides wäre tödlich, wobei klar war, daß sie diese Erkenntnis nicht aus eigenen Erfahrungen hatten, sondern nur gläubig die Staatspropaganda nachplapperten. Bücher zum Thema gab es bei uns keine, bis 1969 Ronald Steckels 'Bewußtseinserweiternde Drogen' auftauchte. (Dieses Buch wird in einer Neufassung ‘99 in der Edition RauschKunde wieder erscheinen). Ich hatte mir glücklicherweise bei diversen London-Aufenthalten einiges abgucken können.
Nachdem ich einige Monate durchgekifft hatte, wollte ich wissen, wie das ist, wenn man damit aufhört. Ich legte vier Wochen Pause ein, no problem. Um so schöner der erste Joint danach. (Diese Übung habe ich im Laufe der Jahre zu einer regelmäßigen, jährlichen Genußmittelfast ausgebaut. Jedes Jahr mache ich 3-4 Wochen Pause: no Dope, Kaffee, nix Süßes, kein Fleisch etc. Dabei kann es auch vorkommen, daß ich 2 Wochen gar nichts esse. Oder, ganz undogmatisch, auch einmal 'sündige'. Der nächste Schritt wäre eine MedienFast, der übernächste jeglicher Verzicht auf schreiben und lesen.)
Ich war gerade beim Fasten als ich die Ehre und Freude hatte, Allen Ginsbergs Touriführer in Heidelberg zu spielen. Als er mich dann am Philosophenweg fragte, ob ich nichts zu kiffen hätte, da rollte ich ihm was und ließ das Teil aber auch nicht ungezogen an mir vorüber gehen. Bin doch nicht doof. Ich schärfte seinen romantisch verklärten Blick vom Heiligenberg auf das Schloß und die Rheinebene mit Hinweisen auf die deutlich sichtbare Chemie- und Atomindustrie ebendort. ”Oh, I see – this is all an illusion”. Lange Pause. ”It’s beautiful!!” Der Dank war ein spontanes Gedicht des Meisters über diesen AugenBlick:
Highdelberg below
range roofed, misty under grey cloud flowing over oak ridge
across the red stone bridge, over brown Neckar waters
flowing to the Rhine plains, supporting BASF.
Puffs clouds into blue dusk
...
Illusion of sound of autos in flat space
I scribe above the castle.
Swans on the river by the bridge near stone wharft
little square holes quayside, empty rainwate
r Passers with umbrellas.
Some american drug offenders in the red bricked jail
between the two churches spring above the roof ridges
...
Thanx a lot, Allen, aber ich schweife ab.
Deal for Real
Back to business: Mit gutem Dope zu günstigen Preisen im Angebot, ließ sich die Schüchternheit vergessen. Die Kunden kamen allemal zu einem. Qualität ist die beste Werbung. Wahrscheinlich habe ich damals gelernt, was ich heute noch praktiziere: nicht offensiv werben. Man brauchte nur etwas Geduld. Ich war nie darauf aus, Kilos zu verticken. Es kam schon mal vor, aber eigentlich ging das Dope meist in hunderten Gramm durch meine Hände. Außer den GIs waren es meist KleinstadtDealer, die 100 Gramm für ihre Band oder Mitschüler einkauften. Die kamen einmal pro Woche aus Sinsheim oder Gießen oder Weinheim oder sonst wo, hockten sich zu uns auf die Neckarwiese oder auf die Stufen der HighligGeistKirche (Holy smoke beim Holy Ghost! Sehr verkaufsfördernder Spruch für GIs), kifften sich mit uns die Hucke voll, sagten, wieviel Geld sie ausgeben wollten und bekamen eine handvoll Dope dafür und fuhren heim in ihr Reich. Für besondere Kunden verlegte ich diese Deals auch mal auf den frei zugänglichen Turm der HeiligGeistKirche. Von da aus hat man eine Super-Aussicht und kann jederzeit kontrollieren, wer unten die Kirche betritt. Oder ich belieferte direkt Verbraucher/innen (und kiffte ihr Dope mit ihnen weg). Nein, Mindestmengen gab es keine.
Für ein paar Monate war ich wahrhaft missionarisch drauf, wie im Bilderbuch. Ich trampte von Kleinstadt zu Kleinstadt und saß mittags, wenn das örtliche Gymnasium seine frustrierten Schüler entließ, vor dem Schultor und schaute mir die Meute an. Ich pickte mir ein paar heraus, die mir wegen der langen Haare oder ihrer netten Freundinnen gefielen und fragte sie, ob sie Lust hätten, zu kiffen. Falls die Antwort ‘Ja’ war, verabredeten wir uns für den Nachmittag im Stadtpark oder auf dem Friedhof und dann blies ich diese Szene mit meiner ShotgunPfeife vom Hocker. Jaja, diese Geschichten vom Dealer vor der Schule, da muß ich mich ‘schuldig’ bekennen. Bei mir handelte es sich allerdings um einen kostenlosen, patriotischen Service für Deutschlands wache Jugend... Und ich habe auch nie einen Kollegen mit der selben Masche getroffen. Lohnte sich vom kaufmännischen her gesehen auch nicht.
Ich vermied es tunlichst, mich zu irgendwelchen Aussagen über die Herkunft des Shits provozieren zu lassen. Was wußte ich denn, wo das Zeugs her kam. Von meinem Mann, OK. Aber wo der das her hatte? So etwas fragte man doch nicht. Auch wenn ich lange wußte, wo mein Händler sein Zeugs her bekam, ich hätte mich in der Handelskette doch nie vorgedrängt. Ich wollte wirklich nichts über die Hierarchien wissen, denn solcherlei Wissen konnte einen im Ernstfall nur in Schwierigkeiten bringen. Auch mochte ich nicht über Preise feilschen. Muß man ja auch nicht, wenn das Vertrauen da ist. Und das war offensichtlich da. Ich bin in meinen sieben Jahren als Dealer nie gelinkt worden, und, Hand aufs Herz, habe auch nie jemanden übers Ohr gehauen. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.
Einmal habe ich es fast zu weit getrieben. Nicht mit meinen Kunden, sondern mit meiner Connection. Ich bekam zwei Kilo Schimmel-Afghani auf Kommission. War aber mehr Schimmel als Afghani, eigentlich SchrottAfghani. Sah gut schimm'lig aus, roch OK, war aber furztrocken und wirkte gleich Null. GIs hätten mir diese Biomasse schon abgekauft, aber wer will schon so einen Scheiß verticken. Ich wußte: gebe ich es meinem Lieferanten zurück, dreht der es jemandem anderen an. Ich wurde dreist. Ich vergrub die zwei Kilo (im wunderschönen Eiterbachtal in einer Tannenschonung. Die Bäume haben inzwischen stattliche Größe erreicht!) und weigerte mich natürlich, dafür zu zahlen. Dealerethik. Keine Ahnung wie das meine Quelle seinem Händler verklickert hat.
Cowboys & Indianer für Große
Wie sagte Dylan: To live outside the law, you have to be honest. Right, man.
Den Rest meiner theoretischen Ausbildung übernahmen die Botschaften von Tim Leary, der im Dealer nicht nur den Seelsorger des auslaufenden 20. Jahrhunderts sah: "Drei Gruppen tragen die Evolution eines neuen Zeitalters, das mit uns beginnt. Es sind die Dealer, die psychedelische Substanzen verkaufen, die Rockmusiker und die Untergrund Künstler und Schriftsteller... von diesen Dreien sind die Dealer die wichtigsten... In der Geschichte der Menschheit besaß immer die Figur des Alchimisten, des Schamanen, des Kräutersammlers, des lächelnden Weisen, den Schlüssel, andere anzutörnen und glücklich zu machen. Immer bewegten sie sich im Zentrum der religiösen, ästhetischen und revolutionären Impulse. Ich glaube, daß dies der edelste aller menschlichen Berufe ist. Die heiligste und schönste, gesündeste, geilste, humorvollste und verehrungswürdigste Gruppe von Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe, sind die ehrlichen Dealer."
Effektive Berufsberatung. Ich tappte voll in diese verbale Falle. Was für eine Ehre, dieser Beruf! (Und was für ein Egopush, als mich Tim Leary rund 25 Jahre später vor Ort, rightly or wrongly, zum Info/Cyber/Schamanen des Neckartales ernannte, hahaha!) Und was für eine Verantwortung, mit Substanzen zu handeln, die auf das Bewußtsein der Kunden einwirken.
Nicht alle Kollegen sahen das so. Zu einem Zeitpunkt gab es in Highdelberg weit über 100 Dealer. Nicht jeder hatte das Glück, eine entsprechende Ausbildung und Motivation zu besitzen wie ich. Schon damals hatte die Bundesregierung eine Werbeagentur beauftragt, doch diesen illegalen Drogengebrauch per Anzeigen einzudämmen. Wo es heute schallt: 'Keine Macht den Drogen' , hieß es früher "Du machst dich kaputt und dein Dealer macht Kasse". Im Nachhinein frage ich mich, ob dieser Spruch im gelebten Kapitalismus nicht eigentlich eine Aufforderung zum Dealen war. "Du machst Kasse!" Hey, wenn einem der Staat die Botschaft so unter die Nase reibt, wird man doch provoziert, Händler zu werden, oder? Manche Dealer waren Klasse, manche machten auch nur Kasse.
Ich hatte immerhin schon einen handwerklichen Beruf erlernt. Und obwohl mich der nie interessierte, erhielt ich die besten Zeugnisse und verdiente gut Kohle. Das gab mir die Gewißheit (oder Illusion?), in dieser Gesellschaft Alles machen zu können. Viele Kollegen brachen die Lehre oder Schule vorzeitig ab. Sie wußten weder, was ein 11-Stunden Arbeitstag bedeutet, noch ahnten sie ihre eigenen Grenzen. Einige brauchten Jahrzehnte, um sich wieder ins Lot zu bringen, if ever.
Das Verhängnisvolle am Dealen in der Illegalität ist, daß es plötzlich ganz schnell gehen kann, mit dem Wachstum des Geldes. Verhältnislosigkeit wurde alltäglich. Too much, too fast. Wenn erst einmal die Dollars in den Augen rollen, kommt man auf dumme Gedanken. Warum den doofen GIs nicht ein Kilo Homegrown (oder nächtens heimlich ausgerupften Hanf vom Versuchsfeld des Max Planck Institutes bei Ladenburg) als Jamaika Gras verticken. Riecht doch genauso, und Freund Placebo erledigt den Rest. Oder warum nicht den dicken Deal mit dem Typ machen, auch wenn der einem nicht so sympathisch ist? Hey, klick machen die Handschellen.
Ich habe zwar viele Abenteuer, auch mit der Polizei erlebt, aber als Dealer nie ernsthaften Schwierigkeiten gegenübergestanden. Das hatte mehrere Gründe.
OK, Glück gehabt, sagen die Skeptiker. Mag sein. Ich erlaube mir, dir folgende Theorie zu unterbreiten:
Zum einen war Geld nie mein Motiv, sondern das tägliche Leben mit all den netten Menschen. Klingt heute, nach dem Zwischensieg des Kapitalismus eher unglaubwürdig, aber als tägliche Realität war das wundervoll. Wie war das? Ich habe meinen Preis, bin aber nicht käuflich. Siehe auch die eben zitierten Sprüche von Tim L.
Zum anderen hatte ich das Glück, daß der erste Joint, den ich je verkaufte, meinem Kunden von einem Freund geklaut, und mit den Worten 'Der Pieper war’s zur Polizei gebracht wurde. Ich bekam eine Vorladung, aber man konnte mir nichts beweisen. Das Gute daran: Ich wußte von Anfang an, daß die Polizei weiß, was Sache ist. Ich brauchte nie Paranoia zu haben, denn 'wir' wußten Bescheid. 'Man' kannte sich, ich grüßte die Bullen auf der Straße und sie mich. Ich fühlte mich ja im Recht und mußte mich nur entsprechend vorsehen. Cowboys & Indians für Große. Beide wissend grinsend. No problem.
Dieses besondere Verhältnis zur Polizei nahm seltsame Blüten an, die mich bei mißtrauischen Dealerkollegen verdächtig erscheinen ließen. Einige Paranoiker glaubten jahrelang, ich sei ein Spitzel, die armen.
Wir fanden ein wunderschönes, leeres Haus, oben in der historischen Hirschgasse; das letzte Haus Heidelbergs in Richtung Heiligenberg, unterhalb des Hölderlin Denkmals (wo ich, hm, Jahre später, nicht nur mit Allen Ginsberg, sondern auch mit Tim Leary etwas grün & kräftiges durchzog, und wo 1994 eines der schönsten Smoke-ins der frühen 90er Jahre, veranstaltet von der AG Hanf aus Darmstadt, stattfand. Mein Zimmer hatte Balkon mit Schloßblick. Der Traum. Die erste Hausbesetzung der Stadt. Mighty nice. Als uns nach Wochen die Polizei abtransportierte (wir waren zu stolz um wegzulaufen oder unser LSD wegzuwerfen, also schluckten wir es, bevor wir abgeführt wurden) und uns auf der Wache in Neuenheim durchsuchten, fand man bei mir ein 10 Gramm Piece. Der Chef des Rauschgiftdezernates (hieß er Becker?) gab es mir mit den Worten zurück: "Das lohnt den Schreibkram nicht, steck' es ein. Hättest du ein Kilo, wärst du dran!" – "Danke, Chef!" (Grins, grins).
Zugegeben, ich handelte auch mit LSD, war dies doch das Stöffchen, das mir viel Freuden und die meisten Freunde fürs Leben brachte. Es war nicht so, daß mich meine ersten Trips so tief beeindruckten, daß sie mein Leben veränderten. Aber auf Trip war die Schüchternheit kein Problem mehr. Da gab es eine Ebene, auf der wir Tripper/innen, mh, klingt wirklich zu abgedroschen, aber so ist's mit der Wahrheit manchmal, also eine Ebene, auf der Wir-alle-Eins-waren. Be here now & all that shit, you know. Kosmisch ohne Kitsch.
Ich hatte meinen Vorrat jahrelang in der Lampe meiner Velo-Solex gestasht. Wenn ich tagsüber die Hauptstraße (damals war sie noch keine Fußgängerzone) rauf und runter fuhr und mein Licht brannte, wußten ein paar Dutzend Leute: Hmm, er ist bestückt. "Halt mal an!". (Mehr über meine LSD-Dealerzeit in dem Buch Tor zu Inneren Räumen, eine Festschrift für Albert Hofmann, herausgegeben von Christian Rätsch, erschienen in der Edition RauschKunde).
Als Dealer waren die Neckarwiese, das Café Melanie, das Pop-Restaurant und die Untere Straße mein Revier. Franco, der Wirt vom Pop, schmiß irgendwann alle Dealer raus – bis auf mich. Ich habe mich nie getraut ihn zu fragen, warum ich bleiben durfte. Trotzdem: Danke! Ich kam jeden Mittag um 12 Uhr, trank meinen Cappuccino und vertrieb mir meine Zeit. Das Dope steckte in einem Regenschirm an der Garderobe, an der man vorbei kam, wenn man zum Klo ging. Easy.
Der internationale Drogenhandel und die Heidelberger Reaktion
Im Laufe der Zeit bekam die Stadtverwaltung richtig Angst vor den Kiffern. Da wir öfters auch nachts auf der Neckarwiese die klassisch-romantische Aussicht auf die Altstadt genossen, ja immer wieder an Ort und Stelle auch unsere Schlafsäcke ausrollten, wurde vom Gemeinderat grundsätzlich der Aufenthalt auf der Neckarwiese zwischen 22 und 6 Uhr verboten (gilt auch heute noch!). Als ob sich da nächtens die dicken Mafiabosse getroffen hätten. Und das lassen die Bürger bis heute einfach so, ohne größere Proteste, über sich ergehen. Niemand muckt auf. Merkwürdig. Natürlich waren die Hippies schuld, nicht der verquere Bürgermeister Zundel. Das war kurz nach der Einführung der Notstandsgesetze, als mir bewußt wurde, daß die Freiheiten des Einzelnen vom Staat mit fingierten Argumenten zusehends eingeschränkt wurden. Alles unter dem Mäntelchen der ‘Sicherheit’. Ist es sicherer, einen harmlosen Kiffer zu inhaftieren oder gar in die Psychiatrie einzuweisen, ihm sein Stöffchen in Freiheit verwehren und ihn statt dessen mit teuren Psychopharmaka vollzustopfen? Überhaupt sehr seltsam, wie der Steuerzahler bis auf den heutigen Tag akzeptiert, daß man Menschen den Genuß von selbstgezogenen Pflanzen verbietet und selbige Menschen, unter dem schäbigen ‘Wir lösen das Drogenproblem’-Mäntelchen, unter industrielle Drogen stellt? Naja, so dient der Drogenhandel immerhin dem legalen Markt und der Volkswirtschaft. Absurd bleibt es trotzdem.
Das tägliche Leben brachte seine Abenteuer und Prüfungen mit sich, Z. B. in Form von PolizeiRazzien in der Unteren Straße, dem vereinigten Dealer Hauptquartier. Ich werde vor aller Augen auseinander genommen (aufgeschraubte Kugelschreiber etc.), nur übersieht man mein Mofa, dessen Lampe mit Kontraband vollgestopft ist. Man läßt mich mit den Worten: “Vergessen Sie nicht, ihr Licht anzumachen”, wieder wegfahren. Ich rufe zurück: "Mein Licht brennt immer!", biege um die Ecke und werde von einem Zivilbullen angehalten und bekomme ein eindeutiges Angebot. Habe ich eine Spitzelzukunft? Hey, ich sage natürlich spontan zu, wir verstecken drittklassige OpiumTinke im Wald und ich hoffe auf eine geile Geschichte für meine Zeitschrift. Aber sie haben ihr Angebot leider nie wiederholt. Pech gehabt, eine Geschichte weniger.
Vor einiger Zeit berichtete die örtliche Rhein-Neckar Zeitung im Rückblick auf jene Epoche, ohne leider die NeckarwiesenSzene zu erwähnen: “Die wilde Zeit der offenen Drogenszene in der Unteren Straße gehört schon lange der Vergangenheit an. Daß sie längst noch nicht vergessen ist, beweisen die Hinweise eines Stadtführers, der seine Truppe vor einem Haus halten ließ und mit Spannung in der Stimme von den exzessiven Zeiten dieser Gasse berichtete. “Da oben”, informierte er die Besucher, “sieht man noch die Halterungen einer Überwachungskamera von damals”.
Geboten war seinerzeit, Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in der Tat Einiges in der Unteren Straße. “Wir hatten tägliche Einsätze und Festnahmen”, weiß Reinhard Geideck von der Heidelberger Kripo, der mit seinen Kollegen vom gerade gegründeten Rauschgiftdezernat observierte, kontrollierte, festnahm und beschlagnahmte. Die RNZ im Dezember 1973: ‘184 Personen einer eingehenden Kontrolle unterzogen, 147 Jugendliche in Obhut genommen, 108 Unterkommensauflagen erteilt, 77 Amerikaner und 106 andere wegen Rauschgiftverdachtes festgenommen, 875 Gramm Haschisch beschlagnahmt, 24 Gramm Marihuana, 191 LSD-Trips, 965 Heroin-Briefchen...’ Die Polizei nahm sich die Untere Straße und die Seitenstraßen zum Neckar oft razziamäßig vor, riegelten sie ab und kontrollierten jeden. Die Kontrollen zeigten Erfolg. Die Junkies verzogen sich hinaus aufs Land. Aber: Die Untere Straße hatte sich europaweit einen Namen gemacht”.
Ruft da jemand ‘Zugabe!’? OK. “Der offenen Szene in der Unteren Straße war ein anderes Kapitel vorausgegangen: Das Café Melanie wurde 1971 auf dem Gerichtsweg dichtgemacht, nachdem es sich zu einem ‘überörtlich bekannten Rauschgiftzentrum’ entwickelt hatte. Die Treppe der Heiliggeistkirche gegenüber dem Café (siehe auch Feltus-Foto) war so etwas wie ‘die weite Welt’, in der eigentlich alles zu haben war. Ein Hippie-Idyll war die Gegend ohnehin. Blumenkinder, Poeten und andere Individualisten trafen sich in der Unteren Straße, mal mehr bei der Heiliggeistkirche, mal mehr beim Heumarkt, aber immer bunt, phantasievoll und höchst anpassungsunwillig. Eine Subkultur und knallharter Drogenmarkt eben, was auch den Verantwortlichen im Rathaus ein Dorn im Auge sein mußte”.
Wieso ‘auch’? Wem denn noch?
Jedes Bild erzählt eine bekiffte Geschichte
Im Melanie saßen wir wochenlang herum, hörten notgedrungen Black Sabbath, Deep Purple (in Rock), Exuma und so ‘nen Schrott. Da war die Musik im Pop meist schon besser: Crosby, Stills, Nash & Young, Harvey Mandel, leider auch das Gesülze von Isaac Hayes und Barry White. An der Heiliggeistkirche und auf der Neckarwiese wurde meist eigenhändig musiziert. Crazy Larry, Tom & Jeff, ‘Troubadix’-Fletscher, Berndhard, Lutz an der Geige, Trommel-Mani, Flöten-Jürgen, Flöten-Gisela und ungezählte andere – vor allem an den Bongos – sorgten für handgemachte Musik. Tja, die Zeiten, in denen man sich noch nicht um das jeweils nächste einzuspielende MusikProdukt kümmerte, sondern einfach Musik machte. Mehrere Jahre hatte ich permanent mein Tambourin dabei und die Zahl jener, die ich mit meinem Gerassel genervt habe, geht wohl in die Tausende. But I had my fun. Irgendwann machten wir ja auch Infostände auf RockFestivals, und es verblüffte mich wiederholt, wie leicht ich mit ein paar Tambourin-Rhythmen Menschen von schlecht laufenden Trips runterholen konnte. Von den Trommeln und Rasseln der Schamanen oder den ‘healing rhythms’ habe ich erst Jahre später gelesen. Learning by doing. Zum Zeitvertreib schaffte ich mir dicke DIN A 5 Kladden mit Blankopapier und diese Packungen mit 10 farbigen Filzstiften an. Nicht für mich, sondern für andere zum Malen. Wo ich auch hinkam, bevor das erste Chillum oder die erste Pfeife gestopft wurde, legte ich Malbuch und Stifte vor mich hin. Wer wollte, konnte malen. Diese bunten 'Tagebücher' habe ich heute noch. Ein Schatz von Tausenden von Bildern, die meisten bekifft, wenn nicht gar betrippt gemalt. Einige von inzwischen anerkannten Künstlern, die meisten von Leuten wie du und ich. Bei vielen davon kann ich mich sehr gut an den Menschen und den Augenblick erinnern. Die Illustrationen dieses Artikels (Originale in Farbe!) stammen aus jenem Fundus: Zufriedene Kunden malen ihren Dealer. Meistens auch noch under the influence der jeweiligen Handelsware. Das ist ja wohl eine enge Konsumentenbindung, oder? Die farbigsten Bilder wurden an irgendwelchen Stränden gemalt. Bald entwickelte ich ein Faible für Inseln. Lieber mit etwas Taschengeld auf eine Insel, als reich in den Knast, war die Devise. Konkret: Immer wenn ich 1.000 DM zusammen hatte, trampte ich nach Formenterra oder Stromboli, Kreta, Santorin, Isle of Wight etc. Auf den meisten Inseln gab es weit und breit noch keine farbigen Filzstifte, also zog ich an manchem Strand die Kreativlinge an. Fiel denen meine Schüchternheit auf? Never. War das Geld ausgegeben, ging es zurück nach Highdelberg. Und mein Großhändler gab mir immer Shit auf Kommission, ich brauchte also nie Geld sparen. Was bin ich diesem Typen dankbar für jene Zeit, auch wenn er viele Jahre später erkannte, daß ich ein Arschloch sei und plötzlich alle Kontakte stoppte. Vielleicht war er ja das Arschloch? Oder ich bin's wirklich? Langjährige Illegalität hat viele Kollegen verwirrt, einige haben regelrecht einen paranoiden Hau geerbt.
1971 wollte dieses Mädel mit dem Auto nach Griechenland. Und mich mitnehmen. Fein. Nur: zum geplanten Zeitpunkt, ich hatte meine 1.000 DM in der Tasche, war das Auto in Reparatur. Also noch ein paar Tage warten. Und etwas weiterdealen. In jenen Tagen begriff ich die Sogkraft des Geldes. Hatte ich einige Wochen gebraucht, um 1.000 DM zu sparen, hatte ich innerhalb einer Woche das 2., und nach nur weiteren drei Tagen das 3. Tausend. Hey, gut daß wir dann endlich den Absprung schafften. Hatte ich doch einen Kollegen, der mir damals mit strahlenden Augen eröffnete: Noch einen Deal und ich habe 50.000 DM und dann höre ich auf. Er bekam damals 4 Jahre und später, im Laufe der Zeit, noch etliche Jahre mehr.
Als ich mit zu viel Geld in einer Höhle auf Kreta wohnte (believe it or not: als ich diese herrenlose, paradiesische Höhle in Matala bezog, fand ich dort eine Streichholzschachtel voll Shit), kam mir die Idee, ich könnte doch so eine Underground-Zeitschrift herausgeben, wie ich sie aus England kannte. Zum einen hatte ich Jahre vorher eine Schülerzeitschrift gemacht, zum anderen gab es so viele 'neue' Informationen, die es zu verbreiten galt. Viele Kunden wußten ja nichteinmal, wie man einen Joint dreht, oder was man auf Trip so alles anstellen und erleben konnte. So erschien im Herbst ‘71 der erste Grüne Zweig, von dem du jetzt die 200. Ausgabe in den Händen hältst.
Freund Paki fand damals große Worte: “Wie wollte man die Gesellschaft verändern, wenn man nicht fähig ist, sich selbst zu verändern? Am Anfang des langen Weges steht ein kleiner Grüner Zweig. Er sprießt aus einem absterbenden Baum, eurem westeuropäisch intellektuellen und/oder herkömmlichen Leben vergewaltigten Bewußtsein, Denken und Fühlen. ...Wir haben unser Ziel nicht vor Augen, sondern hoffen, es in unserem Innersten zu haben, als ständigen Auftrieb. Wir wissen nur: Es ist eher das Himmelreich als das Schlaraffenland, was wir wollen. Der Grüne Zweig verändert sich oft, in jeder Hinsicht, wie wir selbst: ständig und ununterbrochen...”
Die ersten Ausgaben des Grünen Zweiges hatten keinen festen Preis. Ich hatte ja mein Einkommen als Dealer, was brauchte ich noch mehr Geld? Let’s barter – Tauschhandel. "Gib mir, was es dir wert ist. Kannst mir ja was geben, nachdem du das Heft gelesen hast". Hey, Verwirrung im Kapitalismus. "Woher soll ich denn wissen, was mir das wert ist?". Ich nahm, was ich bekam: einen Ring, eine LP, ein Räucherstäbchen, einen Kuß, einen Schlafplatz... Nach drei Ausgaben wurden mir die oftmals recht frustrierenden Diskussionen über den 'Wert' allerdings zu viel, und ich ließ mich auf DM-Preise ein.
Nach etwa drei Jahren Dealerei, als ich mal wieder völlig Pleite, gerade von einer Insel zurück, im Pop saß, und mir von meinen letzten Pfennigen einen Cappuccino leistete, rechnete ich vor lauter Langeweile mal durch, was denn die Autoritäten mit mir machen würden, wenn sie nur wüßten... Ich überschlug die Menge, die ich vertickt hatte und nahm als Grundlage nicht die 4 oder 5 DM, die ich für ein Gramm bekommen hatte, sondern die 12 oder 15 DM, die der Staatsanwalt oder der Zoll veranschlagen würden. Ich kann mich noch an mein Grinsen erinnern, als ich auf eine stolze Millionensumme kam.
Als ich dann 1976, wie lange geplant, auf den Tag genau nach sieben Jahren, mit dem Dealen aufhörte, hatte sich der Grüne Zweig so weit gemausert, daß ich – bis heute – von ihm leben konnte, ohne Reichtümer anzuhäufen oder Hausbesitzer zu werden oder Pleite zu gehen. Irgendwie habe ich mich, trotz Brandstiftungen und anderer Abstürze, gehalten. Eines (mindestens!) habe ich aus jener Zeit bis heute beibehalten: Ich schließe mit Autoren nie Verträge, habe ich doch als Dealer gelernt, rein auf Vertrauensbasis zu agieren.
Release – Hilf dir selbst!
Irgendwann (merkwürdigerweise nur wenige Wochen, nachdem die erste große Heroinoffensive gegen GIs in Vietnam lief) tauchten die ersten Fixer in der Szene auf. Gut, in der Jazzszene hatte es schon vorher einige gegeben, aber mit denen hatten wir nix am Hut. In London und Hamburg gab es schon damals die Release-Organisation (‘Hilf dir selbst!’), und im Herbst 1970 wurde in Heidelberg 'Der Verein zur Bekämpfung der Rauschgiftgefahr' gegründet. Eine Kommune mit entzugswilligen Fixern, Ex-Usern und guten Geistern, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern sollten. Mitbegründer Henky Hentschel pickte mich aus der Szene der Unteren Straße heraus, und köderte mich mit einem Sozialarbeitergehalt und einem mietfreien Zimmer. Aus beidem wurde nie etwas, aber den Job nahm ich trotzdem an. Ich fühlte mich natürlich auch gebauchpinselt. Es brauchte eine Weile bis ich einsah, daß ich zu naiv und völlig unfähig war, gegen den Spirit eines Fixers anzukommen, oft nichtmals in der Lage war zu erkennen, ob einer ‘drauf’ war oder nicht.. Aber ich war durchaus motiviert, etwas ergänzend zu meiner Dealerei zu tun. So machte ich häufig Nachtdienst, denn wir boten ja einen 24-Stunden-Hilfsservice an. Ein Buch für sich. Wir bekämpften die Rauschgiftgefahr, indem wir die Drogen, stellvertretend für andere, selber 'vernichteten'.
Anfangs ließ die Polizei uns Dealer auf der Szene weitgehend in Ruhe. Selbst der Bürgermeister erklärte, die bunte Hippiemeute sei gut für das Flair der Stadt, und die Touristenbusse nahmen einen Umweg, damit wir fotografiert werden konnten. Doch diese Situation änderte sich schlagartig. Als es ‘71 zu einem ersten großen Bust kam, bei dem drei Dutzend Dealer auf einmal hinter Gitter wanderten, war das Release überfordert. Der Verein war von staatlichen und städtischen Geldern abhängig, da konnte man sich doch nicht für Dealer engagieren. Wenige Wochen vorher war der erste Grüne Zweig erschienen. So gründete ich flugs unter dem Motto 'Release Release' eine Dealer-Rechtshilfe: Die Grüne Hilfe. Der Name, abgeleitet von der Roten Hilfe, war ein Vorschlag der Frau meines damaligen Großhändlers – von dem ich immer Grünes Dope bezog. Abgesehen von BenefizKonzerten, die etwas Geld für Anwälte einbrachten, ging ich natürlich auch bei Kollegen sammeln. Aber die wollten zum größten Teil nichts davon wissen. Ganz hart für mich dann, als einige, die selber nicht helfen wollten, Monate später Bettelbriefe aus dem Knast schrieben, und ich sie gnadenlos abblitzen ließ. Solidarität funktioniert nur auf Gegenseitigkeit, nie einseitig. Dazu müßte man schon christlich motiviert sein. Da mir aber nicht nach Caritas war, nannte ich die Grüne Hilfe, in Dankbarkeit für das grüne marokkanische Haschisch aus Ketama, von dem wir uns, den Grünen Zweig und mannigfaltige Veranstaltungen finanzierten, bald in Grüne Kraft um. Einer der damaligen Sprüche: “Grüne Kraft ist das Wort für unsere Aktivitäten. Der Name der herausgebenden Organisation nicht organisierter Individuen”.
Qualifizierte uns das, um, wie es Tim Leary immer wieder behauptete, als die Gründer der Grünen Bewegung Europas tituliert zu werden?
Höhepunkt der KnastAktivitäten, bei denen drei, vier Freunde mithalfen, waren unsere Weihnachtsbasare, auf denen wir alles mögliche verkauften und von dem Erlös dann Knastpakete packten. Ich ging einfach zum Staatsanwalt und dem Drogendezernat und fragte nach Dealern, die zu Weihnachten wahrscheinlich kein Paket bekämen. Ich erhielt Namenslisten mit (Knast)Anschriften. Datenschutz gab es noch keinen, und irgendwie respektierten die Beamten anscheinend unseren Akt der praktizierten Solidarität. Alte Komißköppe, die.
Aus der renommierten Konditorei Schafheutle kauften wir 40 Tüten mit edlen Plätzchen, mampften diese selber, buken Shit-Plätzchen, steckten sie in die Tüten und ab in den Knast damit. Dreist, das. Those were the days my friend, we thought they never end...
Das Release, bzw. einige Aktive, unternahmen auch immer wieder Öffentlichkeitsarbeit. Anläßlich eines ‘Release Drogenhearings’ im Hörsaal 13 saßen wir zu fünft hinter aufklärenden Namensschildern auf dem Podium. Vor mir stand ein Schild mit ‘Ex-Dealer’. Die anderen waren: ein LSD-Konsument, ein Haschisch Raucher, ein Ex-Fixer und ein Release Mitarbeiter. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten uns vorher zugesichert, potentiellen Anzeigen wegen dieser Outing-Veranstaltung nicht weiter zu verfolgen. So nett waren sie danach nie wieder zu uns.
Das Rechtsamt der Stadt wollte irgendwann das Release doch schließen. Ein Teil der Klageschrift betraf mich, bzw. eine Notiz aus dem DrogenZweig 6 über die Brunnengasse. Diese Beamtenseppel, die sonst immer meinten, Hasch mache lasch und Leute auf Trip gehörten unbedingt unter psychiatrische Aufsicht behaupteten plötzlich keck: ”Die Zeitschrift ‘Grüner Zweig’ war ein Blatt, das weitgehend unter Einwirkung von LSD und Hasch entstand und das für den Gebrauch und die Legalisierung von ‘soft drugs’ warb.” Wußten sie wirklich, wie recht sie mit dieser Behauptung hatten? Vor Gericht kamen sie damit allerdings nicht durch.
Hand aufs Herz
Ich war immer ‘nur’ Dealer, habe nie selber geschmuggelt. Ne, also das war mir immer zu riskant. Irgendwie mußte das Zeugs, was man so als Nicht-Anbauer kifft, ja ins Land kommen. Aber selber mit Kilos über Grenzen spazieren? Not me, Sir. OK. Ein paar Gramm zum Eigenverbrauch habe ich fast immer dabei gehabt, sofern ich Europa nicht verließ. Und irgendwie war das ja auch cool und ersparte einem Kontrollen. Wie das? Nun, bei meinen ca. 20 Reisen (zu meiner Dealerzeit) nach England hatte ich 17 mal was dabei und keinen Streß. Nur die dreimal, als ich jeweils clean war, gab es Probleme. Wahrscheinlich ließ ich da den Dampf ab, den ich, grün bestückt, in mir hielt. Dabei kam es auch einmal zu dem Intermezzo, daß ich lieber dreimal als keinmal erzähle: Man buchtete mich über Nacht in Dover ein, weil ich nicht genügend Geld dabei hatte und der freundliche Engländer in London, der für mich bürgen wollte, telemündlich nicht erreichbar war. No problem, nur eine Sache der Zeit. Nun teilte ich die Nacht mit einem Kollegen die Zelle, den man mit ein paar Gramm erwischt hatte. Was die Zöllner jedoch nicht wußten war, daß er noch reichlich (im Gramm-, nicht Pfundbereich) Dope am Körper trug. Sein Bammel, damit erwischt zu werden, war größer als sein Gewinnstreben. Also gab er mir dieses Riesenpiece mit, als ich am nächsten Morgen entlassen wurde. Ich kann mich nicht mal mehr an seinen Namen erinnern. Aber, Kollege, das kam richtig gut. Thank-u-very much!
Einmal kannte ich einen Schmuggler. Der Amerikanische Freund. Es lag bei ihm in der Familie. Schon seine Mutter hatte Gin von Belgien nach England (oder andersherum?) geschmuggelt. Er war voller Geschichten, irgendwo muß ich sogar noch ein ganzes Tonband Stories a-go-go von ihm haben. Aber wer hat noch ein Tonbandgerät. Natürlich habe ich fast alles vergessen, was aber geblieben ist, ist sein bester Tip: Wenn du etwas durch eine Gefahrenzone trägst, achte auf deinen Atem. Er kam aus Asien, hatte 40 kg Dope im Koffer. Irgendetwas schien er falsch gemacht zu haben, denn ein Zöllner griff in den Koffer und hatte ein großes Piece in der Hand, als sie wieder zum Vorschein kam. Ein tiefer Atemzug, unser Freund greift in seine Hosentasche, holt einen Stapel Scheine heraus, drückt sie dem Kollegen in die Hand, packt seinen Koffer und geht wortlos weiter. Später erzählte er: "Der beste Zöllner, dem ich begegnete war der Typ, der mich nur kurz anschaute und zwei Finger auf mein Herz legte. Darum: Das Wichtigste beim Schmuggeln ist die Atmung”.
Tief durchatmen. Und nochmal: ganz tief und ruhig durchatmen. Aber dies hilft ja nicht nur beim Schmuggeln...
Schmuggler sind keine Dealer. Dealer versorgen die Verbraucher innerhalb eines Landes. Schmuggler überqueren Grenzen, um Nachschub für die Dealer herbeizuschaffen. Manchmal verwischen die Jobs, der eine macht auch das andere, aber das ist eher selten. Frage mich nicht, wie diese Schmuggelgeschichten heute ablaufen, keine Ahnung. Ich könnte nur etwas über die Szene der 70er erzählen. Zumal diese Geschichten dokumentiert und verjährt sind. Andererseits wurde Hainer Hais Definitives Dt. Hanf HandBuch seinerzeit hauptsächlich wegen der Schmugglertips indiziert, obwohl die zum größten Teil aus Polizeifachbüchern übernommen worden waren.
Den Schmuggeltypen gibt es nicht. Der Anteil jener, die es tun, weil sie selber gutes Dope rauchen wollen, wie Kollege Howard Marks, dessen Buch, Mr. Nice, ein Sammelsurium spannendster und informativster Schmuggelgeschichten schlechthin darstellt, ist heutzutage wohl geringer als zu seeligen Hippiezeiten. Der Überzeugungstäter ist dem Geldspekulanten gewichen. Wie groß welche Mafia da eingestiegen ist, niemand hat's mir verraten. Aber ich habe auch niemanden gefragt. Die Fachleute meinen, die RußlandDeutschen würden dafür sorgen, daß immer mehr Dope aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zu uns kommt. Wollen wir ihnen glauben?
Schutzengel helfen
- Ob ich auch mal gebustet wurde? Nee, eigentlich nicht. Mehrfach war es hart davor, aber irgendein Schutzengel schien immer gerade einsatzbereit zu sein.
Als ich in der Tür meines Head-Quarters, des Pop Restaurantes stand und zuschaute, wie meine Kollegen draußen auf der Unteren Straße gefilzt wurden und mich völlig in Sicherheit fühlte. Plötzlich wurde ich von den UrGrünen gepackt und sie wollten mich auf der Stelle durchsuchen. "Hey, Wachtmeister, ich kenne meine Rechte. Sie dürfen mich nicht gegen meinen Willen auf der Straße filzen, nur auf der Wache". Also ab in die Grüne Minna. Unterwegs heimlich eine Platte Dope aus der Tasche in die Hose gesteckt. Hüstel. An der Wache im Klingenteich angekommen, stürme ich aus dem Wagen in die Wache, haue mit der Faust auf die Theke und verlange den Einsatzleiter zu sprechen: "Da stehen ‘zig Dealer rum, und wen nehmen sie mit? Mich, einen Mitarbeiter des Vereins zur Bekämpfung...!!" Der Beamte war ob meines Ausbruches so verunsichert, daß er mich, "Entschuldigen Sie, Herr Pieper, aber nicht alle Beamte kennen Sie", einfach laufen ließ.
- Wenige Tage, bevor meine sieben Jahre Dealerzeit abgelaufen waren (die sieben Jahre hatten irgendetwas mit Rudolf Steiner zu tun, Anthroposophen werden da eher durchblicken), verbrachte ich ein Wochenende mit einer Folkband. Während sie auf Festivals spielten, baute ich meinen Zeitungsstand auf. Drei Auftritte in zwei Tagen, und direkt anschließend fuhren wir alle zusammen, völlig übermüdet, mit dem Midnight Train nach Berlin, um bei einem großen Label eine LP aufnehmen. Ich hatte das Dope für alle in meiner Weste, trug es über dem Herzen. Hatte man mir doch in Aussicht gestellt, daß ich, der Hausdealer, auf der LP als 'Co-Produzent' o.ä. auftauchen sollte. Wir waren von den Tagen on the road vorher fix & fertig und als ich mir gerade überlegte, "was mache ich mit dem Dope an der DDR Grenze – soll ich es einfach vergessen und einschlafen?", wurde plötzlich die Abteiltür aufgerissen und drei Zivilbullen fragten uns: "Führen Sie Betäubungsmittel bei sich?". Hey, so blaß bin ich nie wieder geworden. So hatte ich mir mein Karrierenende als Dealer nicht vorgestellt. Und natürlich pickten sie mich und den Geiger, der auch bestückt war, heraus. "Zeigen Sie mal Ihre Taschen”. Der Geiger schnappte sich einfach den Instrumentenkoffer des Mandolinenspielers, in der Hoffnung, daß der sauber sei. (Das Geigerchen hatte immer ein Piece bei sich, das er mit den Worten 'Ich bin Privatmann' solo eindampfte, hm. Damit machte er sich keine Freunde). Von mir durchsuchte man als erstes die Jacke im Gepäcknetz, dann die ReiseTasche. In der Zwischenzeit zog ich meine Jacke an und als man mich körperlich abtasten wollte, schob ich die unter meiner Jacke verborgene Weste mit zurück, zeigte meine freie Brust und ließ mich von oben bis unten abtatschen. Meistens hatte ich bei Durchsuchungen ein großes Maul. Sobald ich mich (oder mein Dope) in Sicherheit wähnte, ging ich zur verbalen Gegenattacke über. Fand meistens auch etwas, auf Grund dessen ich den Bullen schlechte Arbeit vorwerfen konnte, und das, obwohl sie doch von meinen Steuern lebten. Frech, das, aber meist hilfreich. Aber als ich in jenem Zug nach Berlin Minuten später in den Toilettenspiegel schaute, sah ich mich so blaß, wie ich hoffentlich nie wieder im Leben sein werde. Das personifizierte weiße Handtuch. Und: Aus der LP wurde auch nichts, da wir uns in Berlin (bekifft) mit der Plattenfirma überwarfen...
Die Moral von der Geschicht’?
Ob ich etwas aus jener Zeit bereue? Nur einen Vorfall, auch wenn ich vom Betroffenen nachher die Absolution erhielt. Muck hieß er. Der erste, den ich kannte, der dauernd Karotten knabberte, lange bevor man wußte, wie 'Naturkost' buchstabiert wird. Muck, Roadie bei Xhol, hatte irgendwann STP oder Scopolamin oder so ein Zeugs genommen, bei dem man tagelang drauf ist. In dieser Zeit war er in die Psychiatrie nach Wiesloch eingeliefert worden. Es war kurz vor Weihnachten und es fanden sich noch drei Freunde/innen, die mitgingen, ihn zu besuchen. Ich hatte in meinem Leben noch nie so eine Anstalt von Innen erlebt, war völlig geschockt von den abgeschlossenen Türen ohne Griffe (und warum stand der Weihnachtsbaum im Flur, wo ihn kein Insasse sehen konnte, sondern nur die Besucher??). Dann saßen wir ihm, der stark unter der Wirkung von Psychopharmaka stand, gegenüber. Natürlich (?) hatten wir vorher alle einen Trip genommen, wollten dieses Erlebnis entsprechend verstärkt erleben. Hart. Sehr hart. Muck erkannte sofort, was mit uns los war. "Hat jemand einen Trip dabei?" Well, could I lie to you? "Dann gib mir bitte einen”. Was ich tat. Sofort war mir klar: Ein dummer Fehler! Diese Erkenntnis kam zu spät.
Wegen diesem Trip mußte Muck weitere sechs Monate einsitzen. Natürlich flippte er völlig aus. Eine ganz gesunde Reaktion unter diesen Umständen. Und ich fühlte mich lange Zeit sehr beschissen.
Jahre später besuchte er mich dann. Jaja, das sei schon herbe gewesen, aber ich hätte doch nichts dafür gekonnt. Trotzdem, da helfen keine Worte der Beschwichtigung, das war mein Fehler. Und er bekam die Rote Karte.
Sollte es noch andere gegeben haben, die durch meine Naivität leiden mußten, möchte ich mich hiermit bei ihm oder ihr entschuldigen. Spät, aber von Herzen.
Ende der 80er dachte ich: Nun sind auch bei den größeren Händlern, denen man ja hurtig Bandentum unterstellen konnte, wenn sie mal einen miteinander gekifft hatten, die Verjährungsfristen für alle Dealereien abgelaufen. Laßt uns doch ein Buch über jene Zeit machen. So fragte ich per Brief zwei Dutzend Ex-Kollegen, warum sie gedealt hätten. Was sie dadurch gelernt hätten. Wie sie heute dazu stehen. Ob sie ihre Kinder über ihre Vergangenheit aufgeklärt haben. Ob sie Schwierigkeiten gehabt, und was sie durch diese gelernt hätten. Etc. p.p. Der Rücklauf war – für mich – erschreckend. Kaum einer stand zu seinen 'Sünden' von damals, kaum jemand war gewillt darüber zu reden. Und so mancher, den ich ansprach, hatte die blanke Paranoia in den Augen, ich könne ihn outen. Hey, I never did, keine Bange. Außerdem führte damals außer mir kaum jemand seinen bürgerlichen Vor- oder NachNamen in seiner 'Underground-Identität'. Bei mir glaubten die GIs, ich hieße 'Pieper', weil ich immer eine langstielige Pipe rauchte. Aber die anderen hießen doch meist Happy, Turnschuh, der Rote Chris, der hektische Chris, der Coole Chris, der Hamburger Chris, Lucky, Rolli, Bibi, Goof, Chu, Gypsy, Waldi... Den bürgerlichen Namen von meinem damaligen Lehrer, dem selbsternannten Signore Red, habe ich nie gewußt. "I am Signore Red and I am proud of my name!" Vor einiger Zeit tauchte er plötzlich erstmalig seit Jahrzehnten bei mir auf. Meinen vorbereiteten Fragebogen für Dealer fand er abartig. "Pieper, solche Fragen von dir??" Er wies auch strikt zurück, mir jemals was beigebracht zu haben. Aber er blieb seiner Berufung treu, bis er letzthin, auf ein übervoll gelebtes ‘Underground-Leben zurückschauend, starb.
Als Sharon Levinson Mitte der 90er Jahre Stadtführungen für einen wohltätigen Zweck durchführte, waren diese gut besucht. Thema: Der Heidelberger Underground. Es stellte sich heraus, daß fast alle Interessenten eine Führung durch die Keller der Altstadt erwarteten, dann aber verblüfft ihre Faszination über die Erzählungen aus der jüngeren Stadtgeschichte feststellten.
Die meisten DealerKollegen sind nicht so gut über die Runden gekommen wie ich. Einige suchten stärkere Kicks und perforierten sich Venen und Hirne. Viele überkam die Geldgeilheit und sie landeten im Knast, andere ergaben sich, von der Verantwortung (oder der Paranoia) überwältigt, als versektete Erleuchtungssüchtige oder landeten im Schoß der Kirche.
Und einige wenige Überzeugungstäter setzen heute fort, was wir damals schon taten: Menschen wie mich und dich auf eigenes Risiko mit einem Grundlebensmittel versorgen, das z. Zt. nicht auf dem freien Markt erhältlich ist. Auf einem legalisierten Hanfmarkt würden sie wahrscheinlich arbeitslos werden. Das Problem mit Überzeugungstätern ist ja aus Sicht derer, die ('Vor dem Gesetz sind alle gleich, außer die...') hinter dem Gesetz stehen, so riskant, weil sie nicht von ihrem Tun, von dem sie annehmen, daß sie damit der Gesellschaft etwas Gutes tun, abzubringen sind. Kein schlechtes Gewissen, keine Paranoia, keine Angst: da ist die staatliche Gerechtigkeit machtlos.
Denen gilt mein aufrichtiger Dank.
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