Wir hier drinnen - ihr da draussen

ein brief vom knofo aus dem heartbreak-hotel

"Guten Morgen, meine Lieben, es ist fünfuhrdreißig, bitte aufstehen," flötet es aus der Stereoanlage meines Appartments. Mit einem Lied im Herzen und einem Lächeln auf den Lippen schlage ich die Daunendecke zurück, springe auf, streife meinen Seidenpyjama ab und husche unter die angenehm temperierte Dusche.

Kaum habe ich das Wasser abgedreht, fährt mit zurückhaltendem Knirschen ein Schlüssel von draußen ins Loch und wird gedreht, zweimal, dreimal; fröhlich klirren die Riegel, einmal, zweimal, dreimal; lustig rasselt die Extra-Kette - alles zu meinem Schutz.

Schon öffnet sich die Tür und da stehen sie erwartungsvoll vor mir, meine vier persönlichen Pagen mit ihren kecken grünen Uniformen. Einer trägt das Frühstück, einer ein enormes Schlüsselbund, einer ein tragbares Telefon und einer wartet vornehm zurückhaltend im Hintergrund.

Was gibts denn heute Schönes? Mmh. Zwei Kannen köstlich lauwarmes Wasser und - natürlich - vier Scheiben herrliches Brot, halb durchgebacken, feucht - so wie ich es liebe. Dazu köstliche goldgelbe Margarine mit pikantem säuerlichem Geruch. "Nein danke, meine Lieben, das ist alles heute Morgen." Ich bin - wie fast immer - wuschlos glücklich.

Nachdem mir auch meine Schreibmaschine überreicht wurde - sie wird des Nachts immer außerhalb meiner Zelle geparkt - ziehen sich meine vier Freunde mit devotem Lächeln zurück. Die Tür schließt sich, klirr, klirr, singen die Schlösser, Riegel, Ketten.

Nach dem Genuß etlicher Tassen lauwarmen Kaffees (dafür war nämlich das Wasser bestimmt, denn der Knastkaffee ist mir zu stark) schmauche ich einige Zigarren und mache mich ans Tagewerk. Viele Seiten Aufrufe zum bewaffneten Kampf sind zu schreiben, Orders an die Fußtruppen der Revolution sind zu formulieren, Berge von Verehrepost warten auf Beantwortung.

Gleichmäßig brummt die Neonleuchte, leise summt das Fliegengitter vor dem Fenster meiner Mansarde, fröhlich knattert die Schreibmaschine und die Stunden fliegen dahin.

Hei, es ist eine wahre Lust, im Knast zu sein!

Irgendwann ist auch Freistunde. Jeden Tag zu einer anderen Zeit, um mein Zeitgefühl zu schulen. Auch das ist Teil des Guerilla-Trainings.

Unter den wohlwollenden Blicken meiner vier Freunde ziehe ich mir im kombinierten Umkleide/Besuchsraum meines Zweizimmer-Appartments einen frischen Anzug an - das zählt zu meinen Privilegien - bevor ich munter in den Hof trotte.

Dieser ist menschenleer - auch wenn ich manchmal auf meinen Sonderhof verzichten und den der gewöhnlichen Verbrecher benutzen muß. Und wagt es mal einer dieser Ganoven, meine Kreise zu stören - etwa indem er eine Faust durchs Gitter streckt oder andere obszöne Gesten macht - treten meine vier Beschützer in Aktion: Geschrei, frisches Uniformgrün wirbelt über den Hof und die Zelle des Frechlings wird mit Hilfe der großen weißen Nummern auf der Wand lokalisiert, und er wird verwarnt: im Wiederholungsfall fliegt er in den Bunker.

Recht so! Niemand hat ihn gebeten, meine schöpferische Einsamkeit durch dummes Lächeln oder freche Gesten zu stören.

Nach der Freistunde wieder flugs den Anzug gewechselt und zurück an die Arbeit.

Schon ist es zwölf und das Mittagessen wird serviert. Frisch das Plastikbesteck gewetzt - aaahh, Peking-Ente, Trüffeln (frisch vom BGS eingeflogen), dazu ein 1966er Chateauneuf-du-pape.

"Danke, meine Lieben, nur eine halbe Flasche heute, ich erwarte noch den Besuch eines meiner Terroranwälte."

Nach Eiskrem, Mokka und Brasil ruhe ich ein Stündchen bis einer der Pagen erscheint und die Ankunft des Advokaten meldet.

Flink den Anzug gewechselt, die Abhöranlagen eingeschaltet, und schon sitzen wir uns gegenüber.

Was hat er denn heute schönes dabei? Dick und schwer liegen die mitgebrachten Handakten auf dem Tisch, nach frischem Buchbinderleim duftend. Nein, keine Bazookas oder Handgranaten heute, eher etwas fürs Gemüt: eine Handvoll zartgrüner Blattspitzen der Killerpflanze Mariwuana, frisch aus dem Libanon - eine kleine Aufmerksamkeit von Dr. Habbash.

Nach dem Genuß einiger Joints sprechen wir über die kommende Woche: nichts besonderes, die üblichen Bomben, Brandstiftungen, Entführungen und Liquidierungen. Schnell wechseln noch einige chiffrierte Nachrichten der Moskauer Auftraggeber den Besitzer, und die Besuchszeit ist vorbei. "Schönen Gruß an Carlos."

Rasch den Anzug gewechselt, in den Hintern geleuchtet, geröntgt, detecktort; das Rauschgift aus der Handakte unter die Scheuerleiste und da steht auch schon das dampfende Abendmahl bereit, liegen die 27 Terrorzeitschriften, auf die ich abonniert bin, auf dem Tisch. Dann noch ein wenig farbfern gesehen, ein Stündchen an der Strickleiter gehäkelt, schon ist es 22 Uhr und überall wird das Licht gelöscht. Fast überall, nicht jedoch bei uns, den Privilegierten. So lese ich noch ein bißchen im Anarchist Cookbook, bevor auch ich rechtschaffen müde ins Bett gehe und glücklich in Schlaf versinke - nicht ohne vorher noch wohlwollend an die für meine Haftbedingungen Verantwortlichen gedacht zu haben.

KONKRET:
x Monate unausgesetzte Isolation (in meinem Fall 'erst' ein Jahr). Fliegengitter oder Blechscheiben mit Stanzlöchern vor dem Fenster (absorbiert etwa ein Drittel des Lichts), Extra-Schlösser und -Ketten an der Tür, Dauerbeobachtung, Doppelbewachung.

Verbot der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen, Einzelhofgang, Einzelduschen etc. Fraßausgabe durch Büttel.

Tägliche Zellenfilzung, wöchentliche Minensuchfete mit Inventartausch (incl. Klo und Waschbecken), wonach die Zelle jedesmal wie Dresden 1945 aussieht.

Jedes einzelne Schräubchen in der Zelle ist mit rotem Lack verplombt; Zellentausch in kurzen Abständen.

Täglich zwei- bis achtmal (!) umziehen.

Ab und zu mal paar Monate - äh - Selbstmordverdacht: Dauerbeleuchtung, Fünfminuten-Beobachtung, Plastikbesteck (Rasierklingen und Hosengürtel sind aber seltsamerweise erlaubt); gewaltsamer Schlafentzug durch Wecken in kurzen Abständen.

Eine andere Spezialität ist die Kühlschrankzelle: blanker Betonfußboden - das Linoleum ist rausgerissen (so wie übrigens auch die Kacheln überm Waschbecken). Temperatur zwischen 13 und 15 Grad, eisiger Luftzug durch das kaputte Fenster, nach einer Stunde am Tisch sitzen sind die Beine bis über die Knie steifgefroren. Nierenschmerzen.

Oder Kontaktsperre: x Wochen allein mit dir und deinen Gedanken. Keine Zeitungen, kein Radio, keine Besuche, kein Anwalt, kein nichts. Rasende Kopfschmerzen über drei, vier Tage am streck. Alle fünf Minuten pinkeln. Völliger Verlust des Zeitgefühls. Panikartige Unruhe, Schweißausbrüche, Gliederzittern.

Oder "Kleinigkeiten" (die dich erst in ihrer Summierung zum Ausflippen bringen): eine Schreibmaschine ist zehn Wochen zur "Kontrolle" beim BKA. Bei Aushändigung der Maschine ist nur noch ein Schrotthaufen übrig. Eine Ersatzmaschine ist 'drei Monate (!) zur "Kontrolle". Briefe verschwinden auf dem Postwege oder brauchen mal eben vier Wochen.

Zeitungsausschnitte, Klebsfoff oder mehr als vier Filzschreiber auf der Zelle sind natürlich "Sicherheitsrisiko".

Bastelgenehmigungen sind natürlich von vornherein suspekt.

Außerdem: unerträgliche - weil politische - Zensur von Briefen, Zeitungen und Büchern. Kaum ein Blatt kommt vollständig an - sogar der Stern wird angehalten, wenn was übern Knast drinsteht.

Massen von Besuchsverweigerungen, ständige Versuche der Bundesanwaltschaft, die Wahlverteidiger abzusägen - oft genug auch mit Erfolg.

Wenn ein Gefangener dann mal kurz vorm Ausflippen steht oder der Druck der Öffentlichkeit zu stark wird, gibts ab und an main Bonbon: zweimal im Monat Kirchgang oder gar einmal im Monat Teilnahme am kulturellen Höhepunkt des Lagers: Kino oder sowas. Lockerung der Isolation?

Kino und Kirche verlaufen nach dem gleichen Schema: klar - vorher und nachher umziehen - letzte Reihe drei Kilometer Abstand zu den andren Knackis, Extrabewachung.

Also reine Alibi-Scheiße!

Schlimmer noch, dadurch, daß du die miteingesperrten Brüder wenigstens von weitem siehst, wird der Wunsch, auch mit ihnen reden zu können, sich anzufassen, nur noch stärker, schmerzt dich deine Isolation um so mehr. Klar gehst du trotzdem in die Kirche, einfach weil du da mal übern paar Meter mehr gucken kannst, ohne daß ein Fliegengitter im Weg ist. Dafür nimmt mensch sogar das Pfaffengedöns in Kauf - oder Heinz Rühmann, Adele Sandrock und wie sie alle heißen, die Stars der Knastfilme.

ÜBERLEBENSTRAINING - November 1977 - Ein Brief

Vor ein paar Wochen wurde ich wieder nach Ossendorf gehubschraubert. Immer noch keine guten Nachrichten: Ingrid ist jetzt auch in den ewigen Jagdgründen und mir gehts immer beschissener. Gerade erst die Kontaktsperre überstanden, sechs Wochen völlig abgeschirmt. Nach Stammheim auch viel Angst - und der Horror geht weiter und eskaliert nur noch. Allmählich weiß ich nicht mehr, wies weitergehen soll. Verstehst du, jedesmal denkst du: Jetzt kanns nicht mehr schlimmer werden - und dann gehts immer noch ne Stufe weiter runter.

Die ersten vier Tage hat man mich überhaupt nicht schlafen gelassen. Alle fünf Minuten klapperte der Türspion, alle paar Minuten schlug einer der Büttel mitm Schlüssel gegen die Tür - solange bis ich mich bewegte - Tag und Nacht. Das Neonlicht brummt 24 Stunden am Tag, Plastikbesteck und so - klar.

Die letzten beiden Nächte hab ich auch nur jeweils zwei bis drei Stunden schlafen können - immer in Etappen.

Mir tun die Augen weh.

Jetzt ist es Nachmittag. Von heute morgen bis mittag, so über vier, fünf Stunden hinweg, trommelten die Büttel wie die wahnsinnigen alle paar Minuten an die Tür. Der ganze Käfig dröhnte. Seit ein paar Stunden zittert meine linke Hand wie blöde, ich kann nichts dagegen machen. Meine rechte Hand ist immer noch taub von der Fesselung während des Fluges. Ab und zu zucken meine Gesichtsnerven unkontrolliert, bei jedem Geräusch fahre ich zusammen. Gegenstände fallen mir aus den Händen. Die Situation und mein Zustand sind schwer zu beschreiben. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, mein Gedächtnis läßt nach. Ich weiß nicht mehr, was es gestern zu "Mittag" gab. Meine Zelle wird jeden Tag ein paarmal durchgewühlt, alle paar Tage werden alle Möbel und alles Inventar ausgetauscht, jeden Tag sind alle Sachen durcheinander. Ein Foto von dir wurde von der Wand genommen und zerrissen. Alle Briefe liegen offen herum. Mir wurde fast alles abgenommen. Heute wurden mir auch alle Filzschreiber abgenommen, ich weiß nicht warum. Ich bin ständig naß am ganzen Körper, kalter Schweiß, mich friert. Ich weiß nicht, wo meine Grenze liegt, ab der ich aufhöre, Mensch zu sein. Was ist das, Menschenwürde?

Ich hab den schwachen Trost, daß es vielen anderen Rebellen viel schlechter gegangen ist oder geht. Aber was ändern die unterschiedlichen Methoden an der Tatsache?

Ich hab Angst davor, durchzudrehen, verrückt zu werden. Gestern hab ich meine Fäuste an der Wand blutig geschlagen und es war, als ob dass gar nicht mein Blut war und der Schmerz kam wie durch einen Filter an, unwirklich. Ich habe geschriehen und meine Stimme war mir fremd, als ob jemand anderes schreit.

Und die Lampe brummt in deinem Kopf und wenn sie gegen die Tür schlagen, ist es, als ob sie gegen deinen Kopf schlagen, und vor dem Fenster hörst du sie Kommentare zu Ingrids Tod machen: "Natürlich das einfachste ... notfalls nachhelfen ..." und in der Käfigtür fast ununterbrochen das Auge.

Hier im Knast unter diesen Bedingungen wird der Superterrorist von Morgen herangezüchtet, gegen den Ravachol, Gershuni, Henry oder Netschajeff die reinsten Waisenknaben waren.

Und das ist sehr schlimm - auch oder gerade für uns ......

Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie das ist, wenn sich deine Persönlichkeit auflöst, verschwindet. Dein Ich, all die kleinen Teile des Puzzles, die mal in ihrer Gesamtheit DICH ausgemacht haben, 'wie die verschwinden, Stück für Stück. All die Nuancierungen, die Eigenheiten, alles verschwindet. Zuerst gehen dir einzelne Fähigkeiten verloren, Probleme von mehreren Seiten zu sehen, in ihre einzelnen Teile zu zerlegen, um alle Aspekte einer Sache zu begreifen. Du siehst auf einmal nur noch schwarz und weiß. Deine Gefühle und Triebe, deine Sehnsüchte, Träume, Bedürfnisse - sie verschwinden in ihrer Vielfalt, du wirst reduziert und kannst dich nicht wehren. Schließlich sind nur noch Urinstinkte da, tierischer Hunger oder Durst oder Müdigkeit. Sex? Verschwunden, sublimiert durch fressen, lesen, was weiß ich. Du fängst an, wie ein Tier zu reagieren. Die Einheit von Körper und Seele -- weg. Oder nur noch Rückstände. Deine Seele schwebt zwei Meter über dir - unerreichbar. Kein Empfinden mehr, oder kaum. Keine Zwischentöne. Nur Hunger, Durst, Hitze, Kälte - und Haß - erschreckend und übermächtig stark.

Ich begreife das alles noch gar nicht, alles noch verschwommen. Ich denke, wie war das: Erotisches erleben? Ich weiß es nicht mehr. Zärtlichkeit? Was war das? Streicheln - keine reale Vorstellung mehr, reduziert, Haut auf Haut. Gefühle? WAS hast du gefühlt? Noch nicht mal mehr plumpe, instinktive Geilheit, liegt wohl am Fraß hier ... es ist alles kaum zu begreifen, nur noch schwarz und weiß, keine Variationen mehr, keine Palette, die ganze Bandbreite
weg. Ich löse mich auf. Ich sitze neben mir und beobachte mich, cool, fast wissenschaftlich, das Sezieren
einer Seele findet statt, mit Plastik-Besteck. Ich bin Zuschauer, interessiert, aber kaum begreifend, eher verständnislos konstatierend. Ich weiß nicht, wie weit dieser Prozeß gehen kann, bevor er irreparabe ist, bevor du weißt: jetzt ist es zu spät. Vielleicht merkst du es nicht mal, wenn dieser Punkt erreicht ist. Wann ist es zu spät? Ich will den Rest der Leiter abwärts klettern; ich will nicht erleben müssen, was danach kommt: entweder der Superterrorist, kalt, unmenschlich; Maschine - oder aber das völlig angepaßte, manipulierte Wesen, der Pawlowsche Mensch, auf Signal Schweiß absondern, Speichel. Das ferngesteuerte Wesen, apathisch, Anordnungen befolgend, Befehle ausführend. Nur reden, wenn du gefragt wirst, MAUL HALTEN! Fühlen, Empfinden, Gefühle zeigen - per Order. Per Beschluß vom BGH. Die Anstaltsleitung befiehlt Jubel . Der totale Zombie.

Im Augenblick kann ich noch beobachten, ich bin noch nicht völlig abgestorben - aber wie lange noch? Viel Verzweiflung, oft nahe am Abgrund.

Knofo

Quelle: Der Blues, Seite 311-318