Bewegung 2. Juni, Bommi Baumann & Linke Polit-Scene

ich glaube herr baumann hat bei mir eins erreicht: ich mache mir zum tausendsten mal gedanken über das verhältnis linke scene-stadtguerilla. und es ist schwieriger denn je: die scene wird immer unklarer. ich will von vorne anfangen. vor etwa 3-4 monaten hörte ich das erste mal von dem buch "wie allen anfing". dann hörte ich den autorenname: michael baumann. ich lehnte das buch ab, obwohl ich es noch nicht gelesen hatte. so, wie ich es mit vielen büchern tue, denn man kann schließlich nicht jeden scheiß lesen, nur um nachher sagen zu können: ich habe scheiße gelesen. ich lehnte das buch ab, weil ich ne zeit vorher das spiegel-interview mit baumann gelesen hatte: "freunde schmeißt die knarre weg." jeder fand das interview damals scheiße. dann traf ich eine genossin, von der ich wußte, daß sie den 2.6. irgendwie dufte fand, die sagte zu mir: "mensch, alter das baumann-buch, unheimlich stark, dufte, geil, u.s.w., der typ macht was klar." darauf hin laß ich das buch, es las sich gut - so'n bißchen wie jack london - o.k. ich fand's nicht mehr scheiße.

das ist - ich will das mal so kurz ausdrücken - n' typ, der schreibt wie er sich vom unterdrückten und angeschissenen zum stadtguerilla entwickelt hat. er bringt das verdammt gut, man findet sich zum teil selbst wieder. aber je mehr leute zu mir kamen und sagten: "mensch, der bommi dufte, geil, stark u.s..w.", desto so suspekter wurde mir die ganze sache.
unter anderem, weil da leute bei waren, die man ohne weiteres in die sparte "priviligiert" einordnen kann (der "konkret"-kommentar von heinrich böll war wohl nur die spitze des eisberges).

und dann wurde mir plötzlich klar, woran das lag: baumann erzählt zwar stundenlang wie er sich entwickelt hat, aber was ist denn seine konseqenz? hippie tripy flower power und mit ner falschen pappe kann ich in diesem system ganz gut leben. und da war der widerspruch zu mir. ich kann in diesem system nicht leben. und dann kam das flugblatt vom 2.6., "merkwürdig" war noch der zahmste ausdruck den die scene fand. kommentar einer genossin, von der ich wußte, daß sie den 2.6. irgendwie dufte fand: der 2. juni, mensch scheiße, kacke u.s.w.

das ist ne gruppe, die holt 5 genossen aus dem knast. das ist ne gruppe, dir drückt unseren haß in angemessener form aus, als holger ermordet wurde. die scene findet das gut, bei lorenz mehr wie bei drenkmann, bei drenkmann war's ja auch nen bißchen schwieriger.

und dann zeigt sich, daß der 2. juni nicht das phantom ist, als das springer ihn verkauft hat: es werden genossen verhaftet, sogar ne ganze menge. plötzlich ist solidarität kein spruch, sondern die frage der identität. es ist schwieriger mit der stadtguerilla solidarisch zu sein, als mit baumann. es hat sich gezeigt, daß revolution nicht nur 5 genossen im jemen bedeutet ... es bedeutet auch: holger meins, werner sauber, siegfried hausner, knast ... weil das hier kein spiel ist, sondern der kampf um unsere befreiung.

ich billige dem 2. juni auch zu mal'n bißchen stark oberflächlich zu sein, weil er sauer ist. aber ich weiß auch was mich weiterbringt. nicht baumann, sondern die revolution. und ich habe etwas gelernt: ich finde das buch heute nicht mehr scheiße, sondern gefährlich. gefährlich für uns. dies sei auch den genossen vom frankfurter ID gesagt, die so lieb waren, uns das flugblatt vom 2.6. in ganzen 7 absätzen zu gemüte zu führen.

das, was ich hier geschrieben habe sollte keinesfalls als moralischer appell verstanden werden. zu der ganzen thematik ist natürlich viel mehr zu sagen als das hier der fall ist. ich habe lediglich versucht dazulegen warum ich der meinung bin, daß die diskussion um baumann verdammt kritisch geführt werden muß. es wäre schön, wenn dieser denkansatz früchte trägt.

Quelle: Der Blues, Seite 252