Bommi Baumann zum Blues

Auszüge aus Bommi's "Wie alles anfing"

Zu der Zeit Gedächtniskirche und davor, da habe ich noch zuhause gewohnt, da haben eigentlich noch alle zuhause gewohnt, alle Typen, mehr oder minder. Da läuftt dein Tag ab, quasi wie bei jedem normalen Arbeiter. Du stehst frühmorgens auf, alle stehen auf, denn die ganze Familie geht arbeiten, Vater und Mutter und so. Denn rennst du runter zur Bushaltestelle und denn bist du natürlich noch völlig benommen, also ich bin frühmorgens immer vollkommen weggetreten. Denn sitzt du in so 'nem Bus, meistens hast noch nicht mal gefrühstückt und kein Geld für Zigaretten gehabt, alles raucht, da bist du schon mal sauer.

Denn fährst du zur Arbeit. Mich hat ja immer diese ganze Stadt gestört, weil ich eigentlich mehr auf dem Land großgeworden bin, also so Fabrikanhäufungen, diese Ansammlung von Häßlichkeit ist mir schon immer auf den Keks gegangen. Solange ich zurückdenken kann, geht mir das auf den Geist, da bin ich wahrscheinlich Ästhet. Denn hat mich schon immer fertig gemacht, den Blick raus, und wenn du denn die Leute ankieckst, mit denen kriegst du ja auch keinen Kontakt, obwohl du ja immer mit den selben Gesichtern zur selben Zeit fährst aber da läuft ja auch nichts ab unter den Leuten. So sitzt du denn da und hörst dir immer wieder dieselben Gespräche an, siehst immer dieselben verkaterten Gesichter, ein Säufer ist denn immer verkaterter als der andere, oder hörst dir denn nochmal den scheiß Fernsehfilm an, den du abends vielleicht unglückseligerweise gesehen hast, den kriegst du denn im Bus nochmals durch Erzählungen mit, entsetzlicherweise, tausend Interpretationen von dem Scheiß. Unausgeschlafen, hungrig erscheinst du denn auf der Arbeit und als Lehrling bist du natürlich auch Schütze Arsch da. Du machst denn irgendwelchen Stumpfsinn und trödelst da vor dich hin. In der Arbeit, die du da machst kannst du ja auch keinen Sinn sehen, sagen wir mal einholen oder so ein Blödsinn. Du hast denn gar keinen Bock mehr, da handwerklich zu lernen. Es fördert in dir nur Unlust, das ist wieder nur eine Sache, die du runterreißt.

Ich habe mir einfach so ein Bauhandwerk gesucht, weil ich denn gedacht habe, da bist du wenigstens an der frischen Luft, also in so eine Fabrikhalle mich zu stellen, das wäre ja nun der letzte Horror gewesen, und so bist du immer noch draußen. Als Zimmermann hast du auch noch mit Holz zu tun, irgendwo noch erträglich, Aber heutzutage, bei den Fertigbauweisen wird es ja auch immer mehr zur Schraubenschlüsselbewegung genauso wie in der Fabrik. Das ist ja auch kein handwerkliches Können mehr.

Ich habe zum Beispiel noch einen Handwerksgesellen gehabt, einen alten ostpreußischen Zimmermannspolier, der konnte Sachen, die konnte kein Mensch mehr in dieser ganzen Firma, also überhaupt kein Zimmermann, den ich sonst noch getroffen habe, konnte sowas, zum Beispiel diese ganzen Dachkonstruktionen, Fachwerkhäuser, da mußt du auch ganz bestimmte Fähigkeiten in den Händen haben, daß die Balken ineinander passen, der Druckausgleich stimmt, das mußt du alles können, das konnte der Alte noch, der ist noch richtig bei einer Arbeit abgefahren. Der hatte noch eine Arbeitsmoral, das er sich ab Schaffender begriffen hat der mit seinen Händen ein Haus eben gebaut hat, verstehst du. Was für die Leute irgendwie wichtig ist, daß sie ein Dach über dem Kopf haben, gerade in Nordeuropa, wo es ein bißchen kalt ist. Das hat den noch erfüllt, der hat in seinem Leben noch einen ganz anderen Sinn gesehen, da war der alte Mann mir eigentlich überlegen. So sehe ich's heute. Damals habe ich gedacht, das ist ein Idiot, der arbeitet sich hier noch tot, das ist ein glatter Trottel, für den Müll hier noch so ein Aufstand zu machen. Aber du kannst sehen, der hat da noch ein Sinn drin gesehen, in dem wat er macht. Alle anderen nicht, die haben nur noch Akkord runtergerissen. die habens nur noch fürs Geld gemacht. Das ist ja nichts schöpferisches mehr, das ist ja nur noch eine automatisierte Handbewegung.

in deiner Arbeit erreichst du ein gewisses Maß von Freiheit, wenn du wirklich schaffst, da erkennst du dich wieder in deinem Werk, das kann ein Handwerker genauso. Das hat nichts mit Kunst zu tun, es ist reiner Quatsch, sowas auf Kunst zu bringen, denn das fängt ja bum Handwerk an, in der Fähigkeit mit deinen Händen was herzustellen, was einen Sinn hat oder irgendwie gut aussieht.

So ein Abfahren, mit Akkord Geld machen hat es für mich nicht gegeben, weil ich eigentlich immer Lehrling war und da gibt's sowieso keinen Akkord. Später hat mich das denn alles schon so angeödet, daß ich da nie mitgemacht habe. Also die pure Langeweile mit ein paar bunten Scheinen zu überbrücken, hat mich nie groß interessiert, ich hatte nie ein Auto oder wollte auch nie sowas haben.

Ich habe denn gedacht, willst du den Stumpfsinn noch lange mitmachen, für irgendeine Altersversicherung, Rente oder so, das ist ja eh Irrsinn. Ich lebe ja jetzt, ich bin ja jetzt jung, also später können wir immer noch sehen. Ich habe denn einen Job gehabt, dann kommt man auf alte Fälle durch und habe immer gesehen, daß man dabei seinen Joke hat. Also ich bin schon immer lieber 'nem Mädchen hinterhergelaufen als der Arbeit, ganz klar, logisch, haste effektiv mehr von, und sie auch noch, also ist echt besser!

Die ganze Gedächtniskirchengeschichte, also damit wo es anfängt, war dann rein proletarisch. Is klar, zu der Rockmusik hat ein Arbeiter mehr Beziehung natürlich wie ein Intellektueller, bei dir läuft's 'n bißchen mehr über 'n Körper, du wirst ja nur auf Körper getrimmt, nicht auf Gehirn, und Tanzen und so ist eigentlich eine angemessene Sache für dich, denn du bist irgendwo erdnaher. Also schon eher eine Körpergeschichte, so 'ne Musik, einfach im feeling. Rockmusik, die ganze Message heißt Ficken oder wie immer du es nennen willst, bumsen oder make love not war, war ja auch so ein Slogan. Das ist natürlich für einen Arbeiter leichter zu ticken oder umzusetzen.

Diese Musik ist ja nicht wie so ein Beethoven, so ein Headmovie, sondern is ja 'ne reine Körpergeschichte. Klar, kommt vom Blues, also von Baumwollpflückern, die diesen Drive, zu dem sie den ganzen Tag gezwungen werden, einfach in Freude umwandeln, einfach da noch das Beste rausholen. Na so war das eben mit der Musik and dadurch, durch so eine Musik haben so 'ne Sachen klar mehr proletarische Kreise erfaßt als intellektuelle.

iIh persönlich war mehr auf so Musikgeschichten drauf, mehr so andere Sachen, was man heute so Hippie nennt, also Subkultur. Nicht direkt politisch, mich hat die kulturelle Seite daran mehr interessiert, weil es ja der Lebensbereich war, der mich gestört hat.

Über die Sachen bin ich dann 66, Anfang 67 zum SDS gekommen. Die Leute, die mir da gefallen haben, waren dann klar die Leute aus der KI (Kommune 1). Das war irgendwie am nächsten. Dieses reine Studententum, diese reinen Bücherwürmer, die habe ich sowieso nie voll überzogen. War echt nicht meine Welt.

Die KI-Typen waren schon anders, zu denen hast du auch anders Kontakt gekriegt. Es waren auch die Einzigen, die so 'ne Musik gehört haben, die auch lange Haare hatten, im Gegensatz zu denen vom SDS, die sahen ja alle noch suspekt aus. Die KI war da genau die nichtige Sache, die hatte 'ne klare Alternative vorzuweisen im Gegensatz zu allen anderen. Daß da mal irgendwann 'ne Revolution kommt, nützt dir im Augenblick nichts, ändert nichts an deiner Situation. Auch wenn du die Revolution jetzt anfängst, ändert sich nichts an deinen Lebensverhältnisen, aus denen willst du ja erst mal rauskommen.

      Gleichzeitig waren für mich diese psychologischen Begriffe völlig neu, die Veränderlichkeit von dir selber, deine Verhaltensweisen, daß du die auch gleichzeitig mit änderst.

Es geht ja aber darum, daß du in einen anderen Lebensprozeß rinkommst, daß du diese Entwicklungsfähigkeit gleichzeitig entdeckst. Das war eben in der KI ein wichtiger Punkt gewesen, daß über dieses Zusammenleben sich auch dein Verhältnis zu Menschen ändert. Ich habe da einfach unheimlich viel Sachen neu abgescheckt und entdeckt, obwohl ich am Anfang echt nicht begriffen habe, was die im einzelnen so erzählt haben. Reich-Theorien, Zweierbeziehungen und hin und her. Denn bei uns war das sowieso sehr einfach. Da haste mal mit der Braut gepennt, denn mal mit der, du warst sowieso immer hinter Bräuten her, und zu der Zeit sind dir soviel Bräute hinterhergerannt, daß du so ein Ding nie druff hattest. Wenn du lange Haare hattest und bist irgendwo hingekommen, da haben unheimlich viel Bräute auf dir gestanden, gerade die ganzen Fabrikmiezen. Das fanden sie natürlich gut, so einen Typen, der irgendwie einen Auftritt hatte. Die angepaßten Typen waren ja damals echt nicht gefragt, das war ja eine sehr günstige Zeit, war echt besser wie heute. Die Kisten haben mich dabei nicht interessiert, das waren ja bürgerliche Probleme, das Problem gab es für mich nicht so.

Die KI war ja neben ihren festen Mitgliedern so ein Zentrum, da sind eben alle möglichen Typen hingekommen. Dann fing die KI auch schon wieder an, einen institutionellen Charakter zu kriegen. Die Euphorie war sehr schnell weg, die Typen haben angefangen und haben gedacht, Lebensgemeinschaft junger Maoisten und daß immer mehr die Sache machen werden. Aber es hat über ein Jahr gedauert, ehe mehr solcher Wohnungen entstanden sind. Sie waren eine ganze Zeit isoliert. Es war eigentlich dieselbe Situation, wie sie die Bolschewiki in Rußland hatten. Auch damals ist es nicht übergeschlagen zu einer Weltrevolution, dadurch mußten sie einfach zurückstecken, weil der Druck von außen immer größer geworden ist. Für die KI kam der eben durch ihre Aktionen, Justiz usw. und weil sich das Experiment nur in der einen Wohnung abgespielt hat. Auch weil immer so viele gekommen sind, und die Mitglieder immer gewechselt haben. Da konnte sich dieses Modell nicht richtig entfalten, weil sich sowas nur entfalten kann, wenn mehrere solcher Modelle entstehen und eine Kommunikation unter den einzelnen Zellen entsteht. So war ja auch das Modell der KI gedacht, daß diese Lebensform sich ausbreitet, daß der Prozeß eben komplexer wird, daß es nicht nur ein Entdecken ist von revolutionären Buch-Ideen, sondern daß es sofort in allen Punkten in die Tat umgesetzt wird, eben auch in dem Bereich, der bei uns Europäern echt am kaputtesten ist, der Sexualität, dem Verhältnis der Menschen untereinander. Aber weil sie zu lange als einziger Trupp die Sache gemacht haben, sind sie natürlith daran zerbrochen: Die K II gab es, aber die war ja eine reine Politkommune.

Für mich war das sowieso klar, Revolution is 'ne Gewaltgeschichte, und irgendwann fängst du damit sowieso an, und dann bereitest du dich so früh wie möglich darauf vor. Für mich war die Tendenz immer dahin, wenn du so 'ne Sache machst, dann machst se gleich richtig, dann fängst du auch an, irgendwie Schritte in die Wege zu leiten, daß du eines Tages diese Gewalt auch wirkungsvoll einsetzen kannst gegen den Apparat. Der Apparat hat sich ja sehr schnell gezeigt an diesen Aktionen, an diesen Polizeiknüppeln, Verhaftungen, diese Justizgeschichte (Fritz Teufel), Haussuchungen, und was es zu der Zeit alles gab. Für mich war Gewalt im politischen Bereich nie ein Problem.

Dann sind immer irgendwann am Tag Diskussionen gewesen, wo über bestimmte Verhaltensweisen von dem oder dem geredet worden ist Wo sein Verhalten oder seine Reaktion gegenüber einer bestimmten Sache aufgeschlüsselt worden ist. Darin lag dann auch 'ne wichtige Sache am Tag. Das war nicht immer freundlich und solidarisch, manchmal war es schon zwanghaft, so zum Beispiel diese Gerichtsauftritte, wenn die waren, dann war bei den Diskussionen auch immer die Tendenz, "du hast nicht genug Putz gemacht". Es herrschte schon ein Leistungsdruck.

Schön war es immer, wenn du Aktionen geplant hast, da war es immer richtig toll. Wenn die denn gelaufen sind, war immer 'ne große Freude im Haus. Da waren immer Späßchen drin, war immer lustig, immer ein Lacher drin. Da wurde richtig dran gebastelt, damit die Sachen den richtigen Stellenwert kriegen und der richtige Symbolgehalt rauskommt.

Die Reifenstecher-Geschichte war so 68 gewesen. Das habe ich quasi alleine gemacht. Das war so, daß sich dieser ganze Aggressionsstau in einer völlig irrationalen Handlung entladen hat, zum Beispiel da wo ich gewohnt habe, das war auch so eine Siedlung, wo viele Polizisten gewohnt haben. Wenn du dann immer siehst, daß ein Auto wichtiger ist, als daß da Kinder spielen können ... meine ganze Abneigung zu diesem Firlefanz, dieser ganzen Sachbezogenheit, die einfach so lebensfeindlich schon ist, da ist es eines Tages so in mir durchgedreht, daß ich diese Dinger mal stillgelegt habe, an die hundert Stück. Also von ungefähr hundert Autos die Reifen zerstochen, mit 'nem Messer, so 'nem Stilett, "lauf zu Fuß", auch das Auto vom Herrn Pfarrer, da war auch so ne Kirche.

Die meisten vor so einem Hochhaus, wo nur Polizisten gewohnt haben. Es war schon konkreter. In den Zeitungen ist es denn natürlich noch irrationaler hingestellt worden, das ist klar, aber irgendwie war die Tat für meine spätere Entwicklung nicht schlecht, darüber konnte man reflektieren, das war einfach so ein Drauflos, das hat kommen müssen. Du mußt ja auch mal sehen, daß Menschen so weit getrieben werden können, daß sie sich nur noch in den letzten irrsinnigen Aggressionshandlungen befreien können. Die Sache um sie herum ist schon soweit, du bist schon so kaputtgemacht worden, daß du dann auf so eine Art reagierst, im Augenblick fällt dir nichts besseres ein.

Das war alles mehr spontan, keine Aktion, wo man vorher drüber geredet hat. Ich bin da so durch die Gegend geirrt, angesoffen.

Wenn man mit dem Stilett in die Reifen sticht, sind die sofort kaputt, also von der Seite gestochen, nicht ins Profil, macht Zisch und steht auf dem Platten. Das hab ich bei allen vieren gemacht, war eine irrsinnige Arbeiterei, darum haben sie mich ja auch erwischt. Das hat einer gesehen, da haben sie mich geschnappt und auch angeklagt. Da habe ich denn neun Monate gekriegt. Knast auf Bewährung und mußten den Schaden ersetzen. Das waren irgendwie drei-, viertausend Mark, zum Teil konnte man die Reifen noch flicken, brauchte nicht direkt neue.

Die Genossen fanden die Aktion natürlich alle blöde, is klar, auch die KI, eigentlich alle. Da gab es dann nochmal so einen offenen Brief an mich, in Linkeck, weil die es auch einfach so wie es in der Zeitung war übernommen haben. Die Geschichte hat mir lange angehangen. Du war so ein Dropout von mir, mehr oder weniger, schon unkontrolliert.

Während dieser Zeit gab es die Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt, und da gab es so eine Stellungnahme von der KI im Spiegel, die das ablehnte, aber bei mir lief gerade diese Reifensteehergeschichte, die auch von allen abgelehnt worden ist. Da habe ich mich natürlich klar auf die Seite von Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein gestellt, die das Kaufhaus angesteckt haben. Das war ja schon viel besser wie meine Sache. Ich habe es nicht mehr abgelehnt, ich habe es gutgefunden, und die restlichen, also Rainer und Kunzel (Dieter Kunzelmann), die haben es abgelehnt. Die haben gesagt, das wäre nur noch ein psychisches Versagen, die Leute wollten eigentlich in den Knast. Das Problem ist nur noch psychologisch zu erklären. Es ist in dem Sinne nicht mehr politisch, weil sie sich auch so dilettantisch verhalten haben, daß sie gleich verhaftet worden sind. Gerade dieses psychische Versagen hat bei mir aber die Solidarität ausgelöst, die Sympathie, eigentlich viel mehr als die Tat. Ob die da nun ein Kaufhaus angesteckt haben oder nicht, war mir in dem Augenblick scheißegal, einfach daß da mal Leute aus dem Rahmen ausgebrochen sind und so eine Sache gemacht haben, auch wenn sie sich so angestellt haben, daß sie geschnappt worden sind. Gerade da hätten alle solidarisch hinterstehen müssen und sagen müssen, klar, in Ordnung, die gehören zu uns.

Gerade die deutsche Arbeiterklasse ist nun von allen immer wieder verschaukelt worden, sei es nun von den Sozis, oder von Mad-Hitler. Jeder ist gekommen und hat sie nur angeschissen, die Reihe durch, von rot bis schwarz, von links nach rechts, das ist in keinem Land so gelaufen wie in Deutschland und da ist es klar, daß sie auf nichts mehr einsteigen.

Und bei Rudi, so'nem Typen, hast du sofort gemerkt, der ist in Ordnung, der Typ, der geht genauso wie du durchs Feuer. Der verkrümelt sich nicht, wenn es Dicke kommt. Bei den anderen Studenten habe ich rein emotional erst einmal für mich die Sache abgescheckt, wie verhält er sich auch wo anders.

Wenn ich heute überlege, wie ich rein emotional oder rein instinktiv die Leute gesehen habe, hat sich das jetzt bestätigt. Da sind einfach so'ne Jungs gewesen, bei denen schon immer irgendwo eine gewisse Arroganz da war, echt.

Die Geschichte fing schon an mit Ohnesorg, als bei diesem Schah-Besuch am 2. Juni so ein vollkommen harmloser Mann wie Ohnesorg erschossen wird, da ist das denn schon anders gewesen.

Zwei Tage vorher war er beim Extradienst und hat den abonniert, und ich habe da gerade ausgeholfen bei der Abonnementstelle, und habe ihn denn noch so kurz gesehen, also zwei Tage vorher und habe denn drei, vier Tage später vor seinem Sarg gestanden, und das hat mir echt einen irrsinnigen Flash denn gegeben, also das kann man schlecht beschreiben, da ist in mir fürchterlich was abgefahren. Das habe ich irgendwo nicht mehr voll überzogen, daß da ein Idiot kommt und knallt einen Wehrlosen einfach ab. Und das Attentat auf Rudi: Ich bin von der Arbeit gekommen und fahre zur KI, war genau Gründonnerstag. Da hatte ich noch Lohn gekriegt, für mich war es klar, ist jetzt Ostern, also sind einfach ein paar Feiertage und jetzt ist irgendwie 'ne gute Sache. Als ich rinkomme und hör das, ich hab's erst gar nicht geglaubt.

Denn sind wir zur TU (Technische Universität) gegangen und denn klar zu Springer in die Kochstraße. Auf dem Weg dahin haben wir im Amerikahaus die ganzen Scheiben eingeschmissen. Bei dieser Demonstration auf dem Weg zur Kochstraße ist bei mir mein ganzes Leben, alles nochmal abgelaufen, verstehst du. Alle Schläge, die ich gekriegt habe, was du so alles erlebst, was du als Ungerechtigkeit empfindest. Die Empörung über das Attentat an Rudi war inzwischen in ganz Deutschland so groß, und in allen Städten ist am selben Abend etwas passiert, da war so eine Stimmung voll Sympathie für Rudi, daß die Bullen gar nicht einschritten. Sie haben sich anders verhalten als sonst. Da waren Polizeioffiziere, die haben gesagt, Kinder wir können euch doch verstehen, aber machts nicht zu doll, die haben ja in dem Getümmel noch richtig mit uns gesprochen.

Als ich denn über die Straße bin und diese Fackeln und dieses Rufen immer "Rudi Dutschke", das war eben für mich eine Verkörperung der ganzen Geschichte. Die Kugel war genauso gegen dich, da haben sie das erste Mal nun voll auf dich geschossen. Wer da schießt, ist scheißegal. Da war natürlich klar, jetzt zuhauen, kein Pardon mehr geben.

An dem Abend ist irrsinnig viel passiert, das hat dir auch wirklich 'ne Kraft gegeben, wirklich ein High. Du hast auch mal plötzlich was erreicht, die Happenings waren natürlich auch alle gut, weil sie humorvoll waren, das hat auch viele angeturnt. Aber hier sind einfach von der anderen Seite die Schranken überschritten worden, und das ist einfach die richtige Antwort gewesen. Bis dahin sind se mit dem Polizeiknüppelchen gekommen oder es hat Herr Kurras geschossen, aber hier fängt's an, gezielt werden Leute umgelegt, die allgemeine Hetze hat einfach ein Klima geschaffen, wo du mit Späßchen nichts mehr erreichen kannst. Wo sie dich so oder so liquidieren, ganz egal was du machst. Bevor ich nun wieder nach Auschwitz transportiert werde, denn schieß ich lieber vorher, das ist doch wohl klar. Wenn sowieso am Ende der Galgen lacht, dann kann man schon vorher zurückschlagen.

Ostern 68 fand ich, war unsere große Chance, weil es von allen gleich erlebt wurde, weil es eben gerade die Person Rudi's war. Wenn es irgendjemand anders gewesen wäre, ein Unbekannter oder so, wäre es natürlich nie so geworden. War irgendwie, vielleicht wie für die Rockgeneration James Dean, einfach ein Idol, hatte eben schon einen Symbolwert. Darüber war das ein spontanes Erleben, irrsinnig stark. Hätte man weiter gemacht in der selben Form, hätten wahrscheinlich wie im Pariser Mai weitere Kreise mitgemacht, das hätten immer mehr überzogen.

Daß daraus nichts geworden ist, liegt glaube ich schon an diesen ganzen Abwieglern, weil einfach die Konsequenz gefehlt hat. Weil alle auf diese bürgerliche Presse eingestiegen sind und gesagt haben, wenn wir richtig radikal auftreten, verschrecken wir irgendjemand damit. Es war ja schon wieder der Anspruch da, man will jemandem etwas erklären. Da gings ja nicht mehr um das gemeinsame Erleben. Die Leute haben da eine Trennung gemacht in ihrem Kopf. Intellektuell zwischen sich, also den sogenannten Politisierten und Arbeitern. Die haben gar nicht gesehen, das ist hier jetzt meine Sache und die mach ich, dann wäre es anders gelaufen. Gerade dadurch gewinnt doch eine Sache an Gehalt, wenn da einer ist, der voll hinter seiner Sache steht, gerade der zieht doch Leute in seinen Bann oder schart Leute um sich.

Das hat die Linke in Deutschland nie überzogen. Die sind immer wieder auf die Presse reingefallen. Haben immer gesagt, wir dürfen die Leute nicht er aschrecken, wenn wir entschlossen auftreten. Gerade das hätte die Anhänger gebracht. Ist doch vollkommen klar.

Es ist Zeit zu zerstören!
In Berlin besteht seit einiger Zeit der
ZENTRALRAT DER UMHERSCHWEIFENDEN HASCHREBELLEN.
Die Hascbrebellen haben dem Poliei- und
Dezernatsterror den aktiven Kampf angesagt.
Sie haben öffentliche Smoke-Ins,
Demonstrationen vor Entziehungsanstalten,
Vergeltungsschläge gegen die Polizei, einem
Rechtsbeistand für verfolgte Kiffer und ein
Ärzteteam für Ausgeflippte organisiert.

Die HASCHREBELLEN sind der militante Kern der
Berliner Subkultur. Sie kämpfen gegen das moderne
Sklavenhaltersystem des Spatkapitalismus.
Sie kämpfen für eigene freie Entscheidung
über Körper und Lebensform.

SCHLIESST EUCH DIESEM KAMPF AN.

Bilder militante Kader auf den Dörfern und Metropolen.
Nehmt Kontakt zu ähnlicben Gruppen auf.

Scheißt auf diese Gesellschaft der Halbgreise und Tabus.
Werdet wild und tut schöne Sachen.
Have a Joint.
Alles was Ihr seht und es gefällt Euch nicht, macht es kaputt!
Habt Mut zu kämpfen, Habt Mut so siegen.
Mit anarchistischen Grüßen
Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

WANDELT EUREN HASS IN ENERGIE
In einem Stadium, wo der imperialistische Feldzug
der Amis in Vietnam ein Schlag ins Wasser wird,
ruft die Linke uu einem weltweiten Protest auf.
Am Sonnabend den 15.11.69 ist die Vietnam-Demonstration,
davor findet noch ein Teach-In im Audi-max statt.
Wie muß unsere Solidarität aussehen?
Ob wir vom Vietcong gelernt haben, muß und wird sich
vor Sonnabend und danach herausstellen.
Sonnabend können wir uns dann kollektiv für diese
vertierte Gesellschaft erkenntlich zeigen,
und unsere Frustration abladen.

Am Sonnabend werden wir kämpferrische Solidartät mit den
revolutionären Bewegungen der Dritten Welt: Vietcong,
El Fatah, Tupamaros usw. üben.

Denn der erste Kern der Stadtguerillas
in den westlichen Metropolen
kann sich nur im Kampf entwickeln.
Bildes Revolutionäre und subversive Zellen,
nehmt den Kampf gegen das entmenschte System des
Spätkapitalismus mit der Waffe in der Hand auf.
Schafft auch hier die Bedingung
für den revolutionären Volkskrieg.

Wandelt Euren Haß in Energie!

Kämpft am Sonnabend auf der Straße,
macht in den Nächten davor an allen Ecken
der Stadt massenhaft Terror!
Gute Ziele sind:
Amerikanische Industrieniederlassungen, Banken,
Bullenreviere und alles was den Menschen sum Sklaven macht.
Zeigt allen, die es noch nicht begriffen haben,
daß Solidarität sich in Taten und nicht nur in Worten zeigt.

I THINK THE TIME IS RIGHT
FOR A VIOLENT REVOLUTION.

DIE JUNGEN WERFEN ZUM SPASS
MIT STEINEN NACH FRÖSCHEN, D
IE FRÖSCHE STERBEN IM ERNST.

mit anarchistischen Grüßen
SCHWARZE FRONT

Steinhagel aus dem Unergründlichen

Vorgestern , am 26.6.1969 führten die Scheissbullen ein Kesseltreiben gegen uns "kriminelle und asoziale Elemente" durch. 145 Typen von uns sackten sie ein; 5 behielten sie bis heute fest. Sie sind wie viele vorher von uns im Knast, im Wittenau und in Jugend-KZ's verschwunden. Keiner von uns wehrt sich dagegen. Gestern, bei der allabendlichen Razzia, fingen wenigstens ein paar von uns an, sich zu wehren.

"Mit einem Steinhagel empfingen in der letzten Nacht etwa 70 junge Leute vor dem Lokal "Unergründliches Obdach für Reisende" am Fasanenplatz in Charlottenburg zwei Einsatzfahrzeuge der Polizei. Drei Beamte wurden verletzt. An den Polizeiwagen entstanden erhebliche Schäden."

Eigentlich waren wir ja sehr viel mehr als 70. Aber viele von uns standen blöde und verdruckst auf dem Bürgersteig herum.

UM UNS INN ZUKUNFT BESSER
WEHREN ZU KÖNNEN
UM UNSERE TREFFPUNKTE ZU ERHALTEN
UND ÜBERHAUPT UM UNS BESSER
KENNENZULERNEN
treffen wir uns am Samstag, dem 5. Juli 1969 zum
ERSTEN WESTBERLINER SMOKE-IN
im Tiergarten, hinterm Zoo.

Mitbringen: Instrumente, Stoff, Schallplatten, Decken, Plattenspieler mit Batterie, Tape-Recorder und was sonst noch Spaß macht.

Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

P.S. Alle Zitate aus DER ABEND; eine Zeitung für Berlin

Genossen, die Lage ist ernst, wir befinden uns in einer Kampfphase, in der nicht mehr wir bestimmen, was gespielt wird, sondern UNS wird der Rhythmus vorgeschrieben. Seit Wochen praktiziert die Polizei an uns, was Menschenraub, was Erpressung und Willkür sind.

Wir befinden uns in der fatalen "Heute Du - morgen Ich - Situation". Viele gute Typen sind unter empörenden Umständen verhaftet worden. Sie wurden eingesperrt oder einfach in eine Entziehungsanstalt gesteckt oder mit den gemeinsten Methoden unter Druck gesetzt. Man will uns auf ein finsteres, bequemes Abstellgleis schieben, man will uns isolieren, uns demoralisieren.

Man will uns kaputt machen!

Nun ist es an uns, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. WIR müssen die, die uns verfolgen, in Angst und Unsicherheit stürzen.

Wir müssen zu den unberechenbarsten und erfolgreichsten Methoden greifen. Unsere Devise: Terror ohne Maß macht maßlos Spaß - und wir werden sehen, ob man uns dann immer noch wie Freiwild behandelt. Wir müssen klug und besonnen sein; wir müssen aus dem Schatten auftauchen, zuschlagen und im Schatten wieder untertauchen.

NUR WIR SELBST MACHEN UNS FREI
UND JUCHHIGH!

Mit anarchistischen Grüßen
Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

Wir demonstrieren unsere Solidarität mit
unseren eingekerkerten Freunden!

ES LEBE DIE SUPERKULTUR

Auf der Suche nach Leuten hat sich denn ein Kreis gebildet um die Wielandkommune. Am Anfang war es noch eine Wohngemeinschaft, die Anfänge sind so Kapitalarbeitskreise gewesen an der Uni, und Georg (Georg von Rauch) hat da gewohnt. Und dann hat sich außerhalb ein Kreis gefunden, und wir sind in die Wielandwohnung eingezogen. Wir lebten zu zehn, 20 Leuten, darunter drei Kinder in acht Zimmern und finanzieren uns von Raubdrucken (Bakunin, Gesammelte Werke) und Ladendiebstahl. Gehen einklauen. Zum Beispiel weil wir nie Bargeld haben, lädt ein Typ seinen Vater ein. Unglückseligerweise haben wir vorher ein riesiges kaltes Buttet zusammengeklaut, eine Tafel voll mit Kaviar, Lachs Salaten und Sekt. Der Alte kommt rein und sieht die Bescherung und sagt, er könne nicht jeden Tag so tafeln, und rückt natürlich keine müde Mark raus. Wir haben bewußt 'ne zeitlang nicht mehr die Lebensmittel bezahlt, sondern sind nur noch rumgefahren von Supermarkt zu Supermarkt, hintendrin 'ne große Kiste and haben geklaut was wir so brauchten.

Es war einfach 'ne neu gegründete Gruppe, da bist du nicht mehr in einen festtstehenden Kreis gekommen mit festgefahrenen Fronten wie in der KI, sondern da war eigentlich ein intensiveres Kommuneerleben; das waren für mich die Erfahrungen in der Wielandkommune. Es haben auch alle in einem Raum geschlafen und diese ganzen Sachen mit Abbau von sexuellen Hemmungen sind da passiert. Durch dieses Raubdrucken hast du auch ein ganz anderes Verhältnis zur Arbeit gekriegt. Du hast gesehen, wenn dich ne Arbeit ganz anders erfüllt, daß der Ertrag denn auch anders eingesetz wird, wie er entsteht und der Inhalt der Arbeit ist anders, macht Spaß, ist richtig gut. Bis dahin war mein Verhältnis zur Arbeit ziemlich kaputt. Das habe ich da neu entdeckt, da sind unheimlich viel positive Sachen passiert. Da werden wieder ganz normale Reproduktionsverhältnisse hergestellt innerhalb einer Gemeinschaft, und es dient auch dem gemeinsamen Gelderwerb, das ist eine vollkommen kompakte Sache, da ist auch die Isolation aufgehoben, alles. Den Raubdruck haben wir in der Mensa von der Uni oder TU und in diesen politischen Buchläden verkauft.

Die Geschichte ist denn so, daß viele von meinen Kumpels, die ich so kannte, über Ostern 68 zum Teil politisiert worden sind, gerade Leute von der Gedächtniskirche her, oder so Leute, die schon immer Dope genommen haben, Turner oder wie du die auch immer nennen willst, die denn och immer in die Wielandkommune gekommen sind.

Da hat sich dann ein neuer Kreis gebildet. Da entstanden die Haschrebellen draus. Wir haben denn gesagt, überhaupt keine privaten Wohnungen mehr. Den Abbau von Privatbesitz soweit vorantreiben, du hast nur noch die Sachen, die du anhast, und so zieht denn ein ganzer Trupp durch die Stadt. Wohnungen gab es inzwischen genug. Da gehst du dann immer irgendwohin und gibst da Gastspiele. Du hast genug Möglichkeiten zu wohnen - einfach umherschweifende Rebellenhaufen.

War ja ne gute Zeit, der ganze Sommer 69 bis Anfang 70, fast ein Jahr sind wir denn durch Berlin gezogen. Du hattest denn nur noch ein Stück Shit in der Tasche, und einen Dietrich und ein bißchen Geld und hattest ein paar bunte Sachen an, und so ist immer ein Trupp von Leuten herumgezogen. Und trotzdem waren wir so organisiert, daß wir etwas unternehmen konnten.

Natürlich sind denn wieder Aktionen gelaufen, da hat sich dann die 883, diese Undergroundzeitung gebildet und wir sind denn sofort da mit eingestiegen und haben jede Woche mit Artikel drin veröffentlicht.

Wir haben dann angefangen, diesem ganzen losen Haufen einen Namen zu geben. Das war der „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen". Wir haben gesagt, wir nehmen Dope, das ist eine wichtige Sache. Und Rebellen, klar, waren wir eh, und Zentralrat war einfach eine Ironie auf die damaligen Politzirkel, weil sich alle Zentralrat nannten. Es gab also schon wieder mal 1000 Zentralräte, das war einfach schwer ironisch, die Bezeichnung.

Wir haben denn angefangen, daß wir nicht abstrakt gesagt haben, du mußt jetzt in der Stadtguerilla kämpfen, sondern wir müssen eine Analyse machen und die Probleme da aufgreifen und verschärfen, wo sie für die Leute konkret sind Tag für Tag, die tägliche Konfrontation mit der Polizei.

Bei der Studentenrevolte am Anfang lief ja die Geschichte über eine Imperialismus-Analyse, und hier haben wir es schon auf ganz konkrete Lebensverhältnisse von Leuten umgesetzt. Da war die Theorie, der Imperialismus muß auch gleichzeitig in den Metropolen mit bekämpft werden. Das war die ausschlaggebene Theorie, daß gekämpft wird oder überhaupt Guerilla gemacht wird, abgesehen von allen anderen Erfahrungen, die man gewonnen hat, und gleichzeitig mußt du den Kampf eben auch umsetzen auf die konkreten Verhältnisse. Man kämpft nicht, weil in Vietnam gekämpft wird, das kannst du von niemanden verlangen, ist reiner Blödsinn. Andere haben es versucht mit den Rockern und wir haben es auf die Art gemacht.

Ganz bestimmte Dealertypen haben wir nicht gerne gesehen, die einfach nur Kohle gemacht haben oder so. Aber wir haben auch selber gedealt, von irgendetwas mußt du ja leben; wir haben zich Leute gekannt, an die wir Shit verkauft haben, das war ja das einzige, was wir überhaupt noch hatten. Du hast richtig mit und von der Droge gelebt.
Genauso haben wir dann angefangen, immer Treffen zu organisieren von allen Leuten der Scene und sind denn als geschlossene Blocks auf Vietnam-Demonstrationen gegangen. Das ist genauso unsere Sache. Wir haben die Leute für die politischen Sachen aktiviert und auf die Straße gekriegt, wir sind manchmal mit drei-, vierhundert Leuten erschienen und haben an den ganzen Vietnam-Demos teilgenommen.

Dazu kommt noch, daß unheimlich viel Leute, die damals schon mitgemacht haben in diesen Gammlerjahren, daß gerade die den Schritt weitergegangen sind und dann tatsächlich die ersten Kader für die Stadtguerilla gebildet haben, zum Beispiel Petra Schelm ist jemand davon, die schon am Anfang immer dabei war und dann später zur RAF (Rote Armee Fraktion) gegangen ist. Sie war auch die erste Tote. Das war dann wirklich die erste Welle, die da am konsequentesten durchgegangen ist. Da war eine Entwicklung drinnen: Diesen Prozeß haben wir da schon richtig abgescheckt. Wenn du auf der Höhe deiner Zeit bist, hast du dann so einen Geschichtsüberblick, daß du so'ne Geschichten und solche Prozesse richtig analysieren und auch auslösen kannst. Nur darin besteht auch eine Chance für eine Revolution, daß du aus diesem Bewußuein heraus etwas machen kannst. Genauso wie wir später diese Truppenparaden von dem Amis gestört haben, das ist ja auch eine Massenaktion geworden, die nur über die 883 inszeniert worden ist. Zum Schluß hatten wir die 883 fest in der Hand, wir hatten dann in der Woche 10.000 bis 12.000 Exemplare draußen, also die größte deutsche Underground-Zeitung, mit der höchsten Auflage wöchentlich.

Der Zentralrat, der natürlich defakto nicht existiert hat, das war einfach nur 'ne lose Gruppe von Leuten, also KI-Leute, ein paar Wielandleute und so Leute, die die ganze Zeit so ringsherum waren, die haben den festen Kern gebildet. Die haben auch immer die militanten Aktionen auf der Straße gemacht, und wer denn mitgemacht hat, klar, das war dann wieder die Propaganda der Tat.

Wir haben gesagt, ist besser wir bauen lieber gleich eine Barriere auf und schützen uns durch unsere eigene Militanz, besser als wenn wir jede Nacht da auf der Gothaer Straße sitzen und uns anöden lassen, da kriegst du ja doch jedesmal mit dem Gummiknüppel die Jacke vollgehauen. Das ist eigentlich die Haschrebellenzeit gewesen.

Für diese Kerntruppe ist denn auch der Name Blues entstanden, der dann später in Berlin im Unterground einen Namen hatte. Der Blues war eigentlich der Zentralrat, da gehörten alle bunten Typen zu, halb Subkultur halb Politunderground. Blues eben, weil wir über diese ganzen Geschichten gekommen sind, über die kulturrevolutionäre Welle eben politisiert worden sind, nicht so sehr durch Politik, sondern mehr durch diese Kultursachen, die die ganzen Jahre gelaufen sind. Zum Beispiel haben wir in Amerika immer das Vorbild gehabt, MC 5, die Musikband, also White Panthers aus Detroit, die einzigen Weißen, die an den Ghettoaufständen teilgenommen haben und über ihre Musik die Sachen vorangetrieben haben, also dieser John Sindair und so'ne Leute. Später hat ja auch die Westberliner Polizei eine Terrorgruppe MC 5 gesucht. Es gab überhaupt gute Sachen mit Namen, als sie Hunderte von Leuten und Gruppen und Sekten gesucht haben, dabei war es immer wieder derselbe Verein, der nachher schon jede Woche einen neuen Namen hatte.

Weil wir über unsere Justizgeschichten noch in diese ganze Justizkampagne verwickelt waren, wurde dann die Ebracher Knastwoche inszeniert. Zu der Zeit war der einzige politische Häftling in Deutschland Rainhard Wetter. Der saß in Ebrach wegen irgendwelcher Demonstrationen früher in München. Da sind denn aus allen Teilen Deutschtands von allen möglichen Gruppen Leute hingefahren, und haben neben dem Knast eine Knastwoche gemacht, das heißt sie haben verlangt, daß der einzige politische Gefangene entlassen werden soll.

Nach dieser Knastwoche ist dann ein Teil unserer Gruppe weitergefahren zu Guerillas nach Jordanien, und sind da ausgebildet worden: Schießen und Bombenbauen, wie sie kämpften. Man sah die Bedingungen unter denen sie lebten und sie haben ihre Problematik erklärt. Auf der anderen Seite haben sie nur gesagt, fahrt zurück nach Deutschland und erzählt von unseren Problemen, sie waren eigentlich nur scharf darauf, daß Propaganda gemacht wird, Waffen haben sie nicht gestellt.

Die Brüder aber haben nach ihrer Rückkehr gesagt, der neue Mensch, es ging ja dabei immer um die Veränderung des Menschen, entsteht im Kampf, mit der Waffe in der Hand. Das ist der Fanonsatz, "als sie ihre Menschlichkeit entdeckten, holten sie ihre Waffen hervor." Das wurde für sie völlig realistisch, und mit dieser Message und dem totalen Willen zu kämpfen sind die Leute dann aus Palästina zurückgekommen.

In der ganzen Zeit ist in Berlin die Haschrebellengeschichte weitergelaufen und die Arbeit hatte schon Erfolge gebracht. Es haben sich wöchentlich immer alle Leute getroffen und haben alle Probleme besprochen, die Scene wurde eigentlich schon ziemlich kompakt, und war auch so sicher, daß keine Spitzel drin waren. Da haben wir schon sehr aufgepaßt, weil sich alle Leute kannten.

Und zu der Zeit der Amnestieverhandlungen überlegten wir uns, daß man die Amnestie entweder herbeibombt, für alle Linken und nicht nur für einzelne, daß alle Amnestie kriegen, daß sie auf absolut massiven Druck herbeigeführt wird oder aber einfach verhindert wird durch die Bomben, daß die sagen, solchen Wahnsinnigen geben wir natürlich keine Amnestie. Das hätte den Vorteil, daß in dem Augenblick in Deutschland 2.000 bis 3.000 Studenten vor die Frage gestellt worden wären, illegalisieren oder Knast, und das hieß in dem Augenblick, machen wir weiter oder geben wir auf. Das hätte natürlich solchen Guerillasachen einen unheimlichen Auftrieb gegeben. Das war die hauptsächliche Anfangsidee. Später war es wieder ein Einfahren auf den Staatsapparat oder 'ne abstrakte Imperialismustheone. Bei Tupamaros Westberlin (TW) kam noch dazu, eben wie der Name „Tupamaro" sagt, daß Stadtguerilla möglich ist. Diese damals noch frischen Südamerika-Erfahrungen, die noch nicht richtig reflektiert waren, weil Latein-Amerika a) die Dritte Welt ist, b) natürlich vollkommen andere Metropolen hat, das heißt diese haben natürlich noch das allgemeine Chaos einer Stadt der Dritten Welt in sich, das eine erfaßte bürokratische, durchgerechnete, europäische Hauptstadt nicht hat. Daher kannst du dich da im rigidesten Fall immer noch besser halten als bei uns im günstigsten Fall. Das ist natürlich von uns nicht übersehen worden.

Es gab eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus, sinnigerweise am Jahrestag der Reichskristallnacht wurde die Bombe gefunden, war nicht losgegangen. Eigentlich sind alle dran ausgeflippt. Trotz des Flugblattes „Schalom und Napalm", das die Palästinaprobleme erklärt hat, aus der Sicht der Linken, daß eben die neue Imperialismus-Strategie über Palästina läuft. Da Vietnam abgeschlossen ist, der Krieg ist quasi vorbei, der kann nicht ewig hinhalten, daß man jetzt einsteigt auf die Palästinaproblematik. Was ja auch viel näher liegt, wie es sich heute auch durch diese Ölgeschichten zeigt, die mit uns hier in Europa, in den Metropolen, viel mehr zu tun haben als Vietnam. Daß das der neue Überbau wird, um den Kampf hier zu führen. Aber für die Presse war das natürlich ein gefundenes Fressen, weil es eben dummerweise auch noch die Reichskristallnacht war, daß wieder Deutsche in der jüdischen Synagoge eine Bombe deponieren, das war nicht mehr zu vermitteln.

Die Leute haben natürlich den Fehler gemacht, sie haben uns das nicht gesagt, also wir wußten das alle nicht, die haben nur gesagt, wir machen ne Aktion. Sie haben uns denn erklärt, genau diese Bombe wäre der Beginn der Guerilla in Deutschland. Jetzt haben sie es geschafft. Sie haben den Prozeß jetzt ausgelöst, alles klar. Für uns heißt es jetzt nur noch auf diesen Zug rechtzeitig aufzuspringen, wenn wir den Kontakt zum Zeitgeist halten wollen, oder wie auch immer. Wir haben denn gedacht, vielleicht kann man das mit unseren Geschichten verbinden. Wir machen unsere Sachen und machen da auch gleichzeitig mit. Wir wollten weiterhin im Blues bleiben, die aber gleichzeitig mit unterstützten und diesen Proseß mit vorantreiben, wenn er nun schon einmal läuft.

In dieser Zeit hatte ich bis auf diese neun Monate auf Bewährung nichts am Hut. Dann sind wir auf diese Justizkampagne eingestiegen.

Da hat gerade K. Pawla gesessen, der hat 10 Monate Knast gekriegt, weil er vor dem Richtertisch sich ausgeschissen hat und die Akten genommen und sich damit den Arsch abgewischt hat. Dafür haben sie ihm 10 Monate gegeben, und der Richter war ein alter SS-Obersturmbannführer, da sind wir denn eingestiegen, daß wir dem dann auch eine Bombe vor die Tür gepackt haben. Die ist denn hoch und hat die ganze Tür kaputt gemacht. Das waren denn die Anfänge.

Da liefen dann in der Zeit zehn oder zwölf Anschläge gegen Richter, Staatsanwälte, Gefängnisdirektoren und alles mögliche. Jedesmal kam dazu ein Flugblatt, das wurde denn bei dpa abgegeben und gleichzeitig in der 883 ein längeres Flugblatt, und jedesmal eben mit einer anderen Unterschrift. Da gab es denn über Nacht plötzlich 20 Gruppen. Das sollte suggerieren, daß hier eine riesige Volksarmee über Nacht entstanden ist, und jetzt loslegt. Eben bei der Polizei die totale Verwirrung schaffen und den Leuten zeigen, wir sind ein unheimlich großer Kreis schon. Waren natürlich immer nur so zehn Leutchen oder so.

Es wurden Anschläge gemacht auf's Amerikahaus, auf das El-AI-Büro, Offiziersclubs von den Amis, und immer wurden Flugblätter dazu gemacht. Mit der Pressegeschichte war das dann so, daß wir auf der einen Seite die 883 als Kommunikationsmittel hatten und die illegalen Sender, die zwar nicht so stark waren. Die haben nur immer ko ein paar Straßenzüge erreicht. Du konntest dich zwar in Fernsehen einblenden, wußte nie ein Meech, wann wir mal senden, wußten wir selber nicht, irgendwann mal in unserem Rausch haben wir ein Tape fertiggemacht und sind mit unseren Autos kreischend durch die Straßen gefahren und haben Köpke unsere Meldungen durchsprechen laßen. Ist natürlich ein irrer Gag, wenn du Köpke siehst und da spricht ein ganz anderer.

Die Bomben waren jetzt schon besser, aber trotzdem sind uns natürlich Flips passiert, weil wir eben der Blues waren. Man muß bedenken. wir waren fürchterliche Bluesbraker, was heute so in dem Comic "Die Freak-Brothers" dargestellt wird, so'ne Jungs waren wir schon immer. Das wir natürlich unser Problem an sich. Das ist auf der einen Seite sehr angenehm, aber für solche Sachen sehr ungünstig. Eine Verbindung zu schaffen, zwischen 'ner ganz rigiden Geschichte, wie so einem Kampf und unserem Anspruch an die Veränderung, die aber über diese Bluesmentalität lief, ist uns nie gelungen, auch zum Schluß nicht ....

Quelle: Der Blues, Seite 116-125