Nachruf von Werner Pieper: Abschied für nimmer

Quelle: gruenekraft.com

Ein Nachruf auf Tim Leary

Im Herbst ‘95 war klar,daß Tim uns bald verlassen wird. Schon im November schrieb mir die psychedelische Oma Nina Graboi: "Timothy stirbt sehr öffentlich. Nie habe ich ihn so geliebt und bewundert wie jetzt, wo er einer Welt voll zu Tode geängstigter Menschen zeigt, daß man seinem Tod mit Würde und Style begegnen kann. What a man! Ich war kürzlich zwei Tage bei ihm. Obwohl er ständig Schmerzen hat, ist er so munter und vital wie eh und je! Er hat mich zu seinem Tod eingeladen. Der wird sicherlich bald kommen, sein Körper sieht sehr elend aus... Ihn gekannt zu haben und seine Freundin gewesen zu sein, ist für mich eine der Juwelen in der Krone meines Lebens... Du kannst mich retro nennen, das macht mir nichts. Mein Timothy ist der Timothy der 60er Jahre, als er der Prophet und Super-Vertreter für höhere Bewußtseinszustände war. Als er lauthals, eloquent und poetisch die Existenz einer unbekannten Dimension der Realität verkündete. In all den Jahren habe ich nie aufgehört, Tim für seine Beiträge zur Evolution des menschlichen Bewußtseins zu lieben - bis er den Sterbevorgang neu definierte und lebte. Und das war zweifelsohne sein gloriosester Verdienst”.

Tim war sich bewußt, daß sein Tod große Medienaufmerksamkeit erzeugen würde. Also widmete er sich die letzten zwei Jahre seines Lebens dem Tabu des 'selbstbewußten Sterbens'. Er war der Meinung, daß die Umstände in denen ein Mensch stirbt, von diesem weitmöglichst selbst bestimmt werden sollten. Ja, dies sei eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben eines Menschen. Er verfügte testamentarisch, daß sein Körper auf keinen Fall länger als 36 Stunden in der Fabrikatmosphäre eines Krankenhauses verbringen dürfe. Er wollte nicht anonym im Kreis von Fremden und Maschinen sterben, sondern folgte seiner frühzeitig ausgegebenen Losung: "Do it with friends! Do it with friends! Do it with friends!"

Sein Haus war für jedermann offen. Als ich ihn letztmals besuchte, war niemand im Haus, aber es stand offen. Und das in L.A.! Die Besucher kamen zu jeder Tages- und Nachtzeit. "Sieben Millionen Menschen habe ich angetörnt", schmunzelte er angesichts der Besucherströme, "aber nur ein paar Hunderttausend sind vorbeigekommen, um sich zu bedanken”. Blanker Wille scheint seinen Körper über viele Monate am funktionieren gehalten zu haben. So ließ er wenige Monate vor seinem Abgang im Internet Optimismus verbreiten: "Mentalstatus: Excellent. Good spirits. Swimming webs of wise friendship. Very happy. Exhultant, actually. Physicalstatus: Mademoiselle Cancer has moved in to share 'my' body. So far she is taking Room & Board in 'my' prostate and 'my' backbones. ‘I’ feel minimal pain ... The 'I' speaking is my brain. Neuroactive drugs: 3 cups of coffeee, 36 cigarettes, 4 glasses of Champagne, 1 midnight brownie, 12 ballons of Nitrous Oxide, 3 lines of cocaine, 4 Leary biscuits (Ritz crackers spreadwith green marijuana butter)”.

In den 70er und 80er Jahren haben ihn die permanenten Fragen nach Drogen eher genervt. Von sporadischen Experimenten abgesehen, und vom Erfahrungsschatz hunderter Trips in den 60ern zehrend, begnügte er sich weitgehend mit Zigaretten und Weißwein. In den letzten Monaten seines Lebens steigerte sich sein Drogenkonsum jedoch in jene Sphären, die man ihm immer unterstellt hatte. Vielleicht sogar noch mehr. Plötzlich nahmen Drogen und auch das Gerede darüber einen sehr prominenten Teil seines Tagesablaufes ein. Jeder Gast schien ihm Gutes tun zu wollen und die letzten Wochen wurde jeden Tag eine Liste der Drogen, die Tim zu sich nahm, auf einem Aushang festgehalten, um zu abstruse Mischungen zu vermeiden. Alte Freunde waren über die Radikalität dieses Wechsels sehr verblüfft. Sie fragen sich noch heute, ob es die ungeheuren Schmerzen waren, die Tim zu seinem ins uferlose ausweitenden Drogenkonsum trieben, oder die Angst vor dem Tod oder die Präsenz der vielen jungen Menschen, die sich um ihn scharten oder alles zusammen. Oder eine durchbrechende take-it-while-you-can-Mentalität? Klar wurde, daß er an starken körperlichen, sowie mentalen und emotionalen Schmerzen litt. Er vermißte seine Familie, er trauerte seinen Ex-Frauen und Kindern nach - vor allem jenen zweien, die sich durch Selbstmord von dieser Welt verabschiedet hatten. Trotz der vielen jungen Menschen im Haus fühlte er sich zeitweilig einsam.

Alte Freunde und Kollegen machten ihre Abschiedsbesuche. Ralph Metzner z.B.: ”Bei meinen letzten Besuchen kam er mir körperlich geschwächt, mental aber so genau und gegenwärtig wie immer vor. Er hatte nichts von seiner Fähigkeit verloren, Gesprächspartnern seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen, seine Schlagfertigkeit und sein Gelächter waren ansteckend wie eh und jeh. ... Ich habe viele Menschen erlebt, die Drogen mißbrauchten. Tim gehörte nicht zu ihnen. Obwohl er zeitweilig unter großen Schmerzen litt, zog er es vor, nicht in einem Opiatnebel zu versumpfen. Statt dessen nutzte er Lachgas, um seine Schmerzen in erträglichem Rahmen zu halten. Auf diese Weise war er in der Lage, weiterhin die liebevolle Gesellschaft seiner Freunde und seiner Familie zu genießen, sich mit ihnen unterhalten, zusammen trinken, rauchen, lachen ...” Sein Gebrauch von Lachgas wurde geradezu chronisch. Sein letztes psychedelisches Erlebnis hatte er wenige Tage vor seinem Tod, als er etwa 50Milligramm DMT rauchte. Nach seinem konkreten Erleben auf diesem Trip befragt meinte er: "Ich fuhr gen Himmel und traf dort William Burroughs”.

Gegen Ende nahm sein Alkoholkonsum, den er vormals fast eingestellt hatte, wieder zu. Wenige Monate vor seinem Tod zeigte ein Gehirn-Scan an, daß seine grauen Zellen 'normal' waren. Mit zunehmendem Alkoholkonsum nahm temporär seine Verwirrung zu. Seine Fähigkeit zuhören, nahm rapide ab und er hatte Schwierigkeiten, alte Freunde oder gar sich selber im Spiegel zu erkennen.

Eine Woche vor seinem Tod gab er bekannt, daß er seinen Drogenkonsum drastisch einschränken wolle. Er habe noch Arbeiten zu erledigen und wolle sein Leben bei klarem Bewußtsein beenden. Am Tag vor seinem Tod inhalierte er mit Ansage seinen letzten Ballon Lachgas. Er wollte sein Ende drogenfrei durchleben. Tim entschied sich voll bewußt für seinen Todestag und für eine Einäscherung: "Voller Spannung erwarte ich das größte Abenteuer meines Lebens - das Sterben. Seit über zwanzig Jahren beschäftigt mich das Thema selbstverantwortlichen Sterbens. Man sollte das Sterben so angehen wie das Leben: voller Neugierde, voll Hoffnung, voller Faszination, mutig und mit der Hilfe von Freunden”.

"Nichts machte Tim glücklicher, als wenn seine Freunde gelobt wurden. Too bad, daß er es meist selber war, der diese Aufgabe übernahm. Doch nach und nach erkannten auch wir, daß Menschen mitunter den höchsten Anforderungen gerecht werden, die wir an sie stellen. Der Grund, daß die Menschen die Tim besuchten fast ausnahmslos intelligent, anmutig und herzensgut waren, lag darin, daß Tim uns immer behandelte, als wären wir so. Uns blieb doch nichts anderes übrig, als seinen Anforderungen gerecht zu werden ... Tims ganzer Trip, von der Psychedelic über Computer bis zum Designer-Tod, galt allein dem Ziel, den Menschen klar zu machen, daß sie in der Lage sind, die Verantwortung für ihr eigenes Gehirn, Herz und ihren Geist zu übernehmen. Er glaubte, daß Menschen zu einer ganzen Menge mehr in der Lage sind, als ihnen von den Autoritäten zugebilligt wird”. Douglas Rushkoff

Sterben ist ein Teamsport

Am Frei!tag, den 31. Mai, kurz nach Mitternacht, verließ Tim Leary, "a generations Pied Piper" (Los Angeles Times) seinen Körper und uns und den Planeten. Das letzte T-Shirt, das er trug, propagierte die Botschaft: "If you only have one wish, make it BIG". Noch wenige Wochen zuvor hatte er in einem Arte-Interview Roger Willemsen erzählt: "Dying is a teamsport". Seit gut einem Jahr hatte er sich geradezu euphorisch auf das Sterben vorbereitet." Da werden endlich Milliarden von Zellen befreit, was für ein Fest!".

"Tim starb, ohne daß jemand besorgt und pflichtgemäß lügen mußte 'es wird dir bald wieder besser gehen'. Er starb, ohne sich zu einem makaberen und sinnlosen medizinischen Experiment degradieren zu lassen - daheim, ohne Schläuche in allen Körperöffnungen. Er unterwarf sich nicht der heute 'normalen', grundsätzlich aber stupiden Sterbeentfremdung, von der die Masse der Amerikaner schier hypnotisiert scheint. Rund 80% des gesamten Gesundheitsetats des Durchschnitts-Amerikaners werden, letztendlich vergebens, für seine letzten sechs Lebensmonate verbraucht. Er dagegen starb schamlos bewußt und erlebte dabei, wie für ihn üblich, eine wundervolle Zeit”. So John Perry Barlow.

"Eine der Gazillionen Dinge, die ich in meinen vierundzwanzig Jahren und vor allem in den letzten Monaten von Tim lernte war, wie nobel, wunderschön und witzig ein Mensch sein kann, wenn er seinen Tod kommen fühlt. Es nahm mir sehr viel Angst. Ich war sehr froh, bei ihm zu sein, als es um das Abschiednehmen ging", kommentierte Tims Patentochter, die Schauspielerin Winona Ryder, seinen irdischen Abgang.

Tim starb im eigenen Bett, umgeben von 20 Freunden und Familienmitgliedern, unter ihnen auch seine zweite (Ex-)Ehefrau Rosemary, die nach längerer Trennung (sie lebte seit den 70ern bis kurz vor seinem Tod im Underground), zum Ende seines Lebens, wieder eine hervorragende Stellung innerhalb seiner Familie einnahm. Er starb, wie er es gewünscht hatte, weitgehend bewußt. Mit offenen Augen. Kurz vor seinem Wechsel ins nächste kosmische Abenteuer rief er plötzlich aus: "Why?". Diese seine letzteFrage beantwortete er selber mit einem mehrfachen, jeweils anders betonten und im Wechsel jedem der Anwesenden zugerufenen, witzigen "Why not?", so daß die Anwesenden in Gelächter ausbrachen. Laut Stiefsohn Zachary war anschließend sein letztes Wort "Beautiful".....

Tim's Asche wurde zum Teil in kleinen Behältnissen im Freundeskreis verteilt. Der Rest wurde Ende April ‘97 in den Weltraum geschossen. Zwei Tage vor seinem Ableben fixte er den Deal mit der Firma Celestis Inc., daß er mit seinem letzten Lift den Weltraum 'erobern' wird - die Erfüllung eines langjährigen Wunsches. Für das Urnen-Ticket brachten Freunde $4.800 auf. Es war die erste Bestattung im All und neben seiner Urne gingen die letzten Reste von Leuten wie dem Visionär der Raumstationen, Gerald O'Neill und dem Startrek Erfinder Gene Roddenberry auf ihre letzte Tour. Far out! Ihre Asche umkreist uns einige Jahre, bis der Satellit beim Wiedereintritt in die irdische Atmosphäre verglühte.

Sein ehemaliger Forschungs-Partner Ralph Metzner schrieb mir: ”Ich glaube, daß ihn die Zukunft generöser einschätzen wird, als seine Zeitgenossen. Man wird in ihm einen der außergewöhnlichsten, visionären Genies des 20. Jahrhunderts sehen. Er schrieb mehr als zwanzig Bücher über Themen, die von der Psychologie über Sozialkritik bis hin zu seiner Neufassung fernöstlicher religiöser Texte reichten. Er entwickelte Theorien und Modelle des Bewußtseins, über die man noch in vielen Jahren in der Zukunft debattieren und diskutieren wird.”

Tims posthum erschienenes Buch Design for Dying ist auf deutsch unter dem Titel Learys Totenbuch bei Ullstein vergriffen.

Robert Anton Wilsons liebste Erinnerung an Tim: ”Ich habe Hunderte und Aberhunderte von liebsten Erinnerungen an Tim, aber ich glaube, meine allerliebste ist die eMail, die ich einen Monat nach seinem Tod von ihm bekommen habe. Darin stand: ‘Robert, wie gehts? Schöne Grüße von der anderen Seite ... Es ist hier nicht so wie ich es erwartet habe. Ganz nett, aber etwas überfüllt ... Ich hoffe, es geht dir gut. In Liebe, Timothy’.

Timothy Leary war allemal wie ein fremdartiges Engelswesen, das uns auf Erden besuchte und inspirierte. "Licht ist die Sprache der Sonne und der Sterne, wo wir uns alle wieder treffen werden", meinte er am Tag vor seinem irdischen Abschied:

“...time bends
has no end

knows not who or when or why
sit a while
love your smile
this is hello not good-bye”

siehe auch: