Sympathy for the Dealer

Jungle World 14. Oktober 1998

Warum man Drogenhändler hassen soll - 15 Aufsätze über ein verrufenes Gewerbe 

Wie erkennt man Drogendealer? Für den Süchtigen stellt sich diese Frage nicht; "Wenn man ihn sieht", schreibt William S. Burroughs in "Junkie", "schlägt die Wünschelrute aus". 

Die Mehrheit der Bevölkerung, die keinerlei Kontakte zu Drogenhändlern unterhält, ist von diesem Erfahrungswissen ausgeschlossen; sie verfügt jedoch über einen Wissensvorrat, der ihr erlaubt, den Dealer sehr genau zu beschreiben: er ist arbeitsscheu, raffgierig, brutal; kennt keinerlei Skrupel, geht über Leichen und kommt aus dem Ausland. "Drogenhandel ist", wie es Norbert Hacker von der GAL während der Dealer-raus-Kampagne im Hamburger Schanzenviertel formulierte, "eine der moralisch abstossendsten Sachen, die es gibt." und Dealer sind, versichert Hacker, "persönliche Schweine". 

Neben dem Dealer ist nur der "Kinderschänder" einem so einhelligen Unwerturteil quer durch alle politischen Szenen ausgesetzt; gleich jenem muss der Dealer regelmässig zur Rechtfertigung polizeilicher Massnahmen und Gesetzesverschärfungen herhalten; gleich jenem fungiert er als Scharnier zwischen rechten und linken Politikfeldern. 

In dem von Bettina Paul und Henning Schmidt-Semisch herausgegebenen Aufsatzband "Drogendealer. Ansichten eines verrufenen Gewerbes" haben sich Kriminologen, Historiker und Soziologen des modernen Dämons angenommen. Bislang wurden die Akteure des Drogenhandels als Gegenstand der Sozialwissenschaft ignoriert. Zum einen, weil die Forschung dem gesellschaftlichen Trend folgte, sich den offensichtlich Elenden zu widmen und den Süchtigen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellte; zum Anderen, weil sich der Zugriff auf die Händler ungleich schwieriger gestaltet. Dealer werden "als Zwitterwesen" wahrgenommen, schreibt Stephan Quensel, "zwischen rational handelndem Geschäftsmann einerseits und moralisch abartigem Dämon andererseits. Eine Ambivalenz, die auf Wertfreiheit und Methodenreinheit bedachte 'moderne' Sozialwissenschaftler den Umgang mit ihnen meiden lässt." 

Einige der wenigen existierenden Untersuchungen aus den USA zu Lebenssituation, Karriere und Identität der Illegalen sind im hinteren Teil des Buches dokumentiert, u.A. die Studie von Patricia und Peter Adler über "Grossdealer und -Schmuggler in Kalifornien". Da diese Studien keiner spezifischen Fragestellung folgen, sind sie eher als Steinbruch zukünftiger Forschungen anzusehen. Man kann den Selbstauskünften der Befragten entnehmen, dass bestimmte Annahmen über den Dealer nicht zutreffen (z.B. die gesteigerter Gewaltbereitschaft), andere (z.b. die des hedonistischen Lebenstils mit Gelegenheitssex, Partys, teuren Autos) zutreffen, bleibt aber auf die vermittelnde, z.T. in ethnographischen Vorannahmen befangene Perspektive des Forschers angewiesen. 

Aufschlussreicher als die Dealer-Biographien sind jene Aufsätze, die sich mit der Schaffung rassistischer und kriminalistischer Klischees befassen und die öffentliche Dealer-Debatte im Kontext ökonomischer und innen- oder ausländerpolitischer Interessen diskutieren. 

So rekonstruiert Christine Gräbsch das Image des ausländischen Dealers in in Deutschland, wie es sich aus der Kopplung von Straf- und Ausländergesetzen ergibt. Susanne Krasmann und Werner Lehne analysieren die Bekämpfung des Drogenhandels im Kontext der Debatte um Globalisierung und organisierte Kriminalität und kritisieren die ideologische Funktion, "über die isolierte Diskussion der internationalen organisierten Kriminalität einen Schauplatz aufzumachen, auf dem (...) die Dominanz des ökonomischen auf eine Weise abgearbeitet werden (kann), die das Grundproblem, die Strukturierung der Weltökonomie, unangetastet lässt". 

Zwar fehlt eine gesonderte Darstellung "linker" Drogenpolitik, da Linke jedoch seit den siebziger Jahren die Debatte massgeblich prägen, findet sich auch hierzu einiges Material. Zu den eher kuriosen Fundsachen zählt ein Kommentar des Journalisten und Kabarettisten Henning Venske im Stern. "Betroffen als Vater und Staatsbürger", forderte Venske "den staatlichen Repressionsapparat" zu Zeiten der RAF-Hysterie, 1979, dazu auf, besser "Dealer statt Terroristen" zu "jagen". 

Fürsprecher einer drogenliberalen Politik standen von Anfang an unter ungeheurem Legitimationsdruck. Vor allem dann, wenn sich linke Politiker und Sozialarbeiter zum Anwalt der Süchtigen machten, durfte die Warnung vor dem Dealer nicht fehlen. Unbestritten haben sie die Drogendebatte entdramatisiert, unzweifelhaft aber auch am Feindbild des Dealers ihren Anteil. Im selben Moment, als man den Konsumenten entlastete - indem man ihn zum Süchtigen/Kranken erklärte -, belastete man den Händler, indem er zum Verursacher der "Drogenkrankheit" gestempelt wurde. Damit waren die, die gegen die herrschende Drogenpolitik opponierten, Teil des morality play. Verfolgten einige von ihnen mit der Verwerflichmachung des Dealers zunächst noch die Strategie, u.a. Forderungen nach Legalisierung plausibel zu machen, hat sich das taktische Argument längst verselbständigt. 

Das Fazit nach Rund 30 Jahren Drogenliberalisierung muss lauten, dass den bescheidenen Zugeständnissen an den Konsumenten (Wasserpfeifchen, Fixerraeume, evtl. Methadon) ein sich ständig perfektionierender Apparat zur Kontrolle und Verfolgung (Lauschangriff, Datenstaubsauger) der Händler gegenübersteht. 

Einer der mit den Phantasien über den Dealer beschäftigten Aufsätze des Bandes fragt nach dem Gebrauchswert medialer Dealer-Bilder für ein Publikum, das sich selbst als anständig und rechtschaffen definiert. Johannes Stehr hat sich dazu mit Urban Legends (modernen Sagen) Beschäftigt, die von skrupellosen Dealern handeln und eine Art Nachdichtung bestimmter Medienberichte sind. Seinen ganz persönlichen Gewinn zieht der Leser oder Zuschauer aus den Presseberichten dann, wenn er diese so umschreibt, dass sie seine eigenen Moralkonstrukte stützen. 

Ein von Stehr untersuchter Legenden-Typ variiert z.B. die Warnung an junge Frauen, gefährliche Orte (Disko/Grossstadt) zu meiden, und berichtet von Dealern, die in Diskotheken ahnungslosen Mädchen Koks in die Cola schütten. Ein anderes Legendenschema handelt von den Risiken kindlicher Eigenständigkeit, z.B. die Geschichte von den LSD-Klebebildchen, mit denen Kinder angeturnt werden. "Zwei wesentliche Elemente sind in diesen Geschichten immer vorhanden: der skrupellose Dealer, der die Abhängigkeit zur Maximierung des eigenen Profits herstellen will, und die Annahme einer allein durch den (einmaligen) Kontakt mit der Droge erzeugbaren Abhängigkeit und Sucht." 

Das Image des Drogendealers, konstatieren die Autoren, ist durch die Abwesenheit von Dissens gekennzeichnet; die Schmuggler und Verkäufer verkörpern heute - im Unterschied zu anderen Epochen, die den Dealer als ehrbaren Kaufmann oder Sozialrebellen kannten - das absolut Böse, sie sind, wie Stehr Anhand der Urban Legends zeigt, inzwischen "Mörder", nicht mehr wie zu Beginn der Drogen-Panik in der BRD "exotische Verführer". 

Dissidente Erzählstrategien, die sich der moralischen Verurteilung widersetzen, finden sich allenfalls in der US-amerikanischen Underground- oder Popkultur (Bereichen, in denen sich die Autoren und Autorinnen dieses Bandes allerdings nicht umgesehen haben). Dealer-Images, angedeutet durch bestimmte Kleidung oder Requisiten, funktionieren beispielsweise im Kontext von Gangsta-Rap als positives Modell der Auflehnung. Auch in den Filmen Quentin Tarantinos haben die amoralischen Dealer den Junkie in seiner Funktion als Subversionsmodell abgelöst; stand der Drogenkonsument im Kino der sechziger und siebziger noch für Rebellion, ist er inzwischen ein braver Verbraucher. 

Gemeinsam ist den Autorinnen und Autoren von "Drogendealer", dass sie sich einer administrativen Sozialforschung ebenso widersetzen wie dem Paradigma, wonach der Sozialforscher seinen Blick "nach Unten" zu richten habe. Angenehmerweise ist die Mehrzahl der Beitraege perspektivisch angelegt, ohne jedoch von vornherein im Hinblick auf konkrete (drogen)politische Veränderungen zu argumentieren oder die Vormundschaft des entrechteten Dealers übernehmen zu wollen. 

Eine Entdramatisierung der Dealer-Debatte erwarten sich Holger Mach und Sebastian Scheerer am ehesten durch die Fokussierung auf die Langzeitkonsumenten harter Drogen (Heroin, Crack). "in dem Masse, in dem die illegalen 'Suchtstoffe' gar nicht zwangsläufig zur Sucht führen (...), wird sich auch die moralische Bewertung von Droge, Konsument und Dealer der Bewertung beim Alkohol angleichen." 

Grotesk allerdings ist in diesem Zusammenhang ihr auf flächendeckende Prävention zielender Vorschlag, "das Schwergewicht moralischer Steuerung von der negativen Sanktion gegenüber Dealern auf die positive 'Heldenverehrung'" derjenigen umzulenken, "die es schaffen, ein Leben ohne Zigaretten, Alkohol, Ecstasy, Opium, Kokain usw." zu führen. 

In die richtige Richtung weist dagegen die Fragestellug von Johannes Stehr, "ob sich der dämonisierte Zwischenraum, den die Dealer bewohnen, nicht in einen karnevalesken Zwischenraum - wie ihn Bachtin - vorgeführt hat - verwandeln lässt, der die Angst und die Identität lächerlich macht und der Neugierde, Grenzüberschreitung und Autonomiebestrebungen nicht bestraft, sondern die Subjekte kompetenter werden lässt."

  • Heike Runge


Bettina Paul/Henning Schmidt-Semisch (hg): Drogendealer. Ansichten eines verrufenen Gewerbes. Lambertus. Freiburg/ Breisgau 1998, 235 s